Ende des Monats wird in Österreich der Nationalrat, die Abgeordnetenkammer des Parlaments, gewählt. Doch von Wahl-„Kampf“-Stimmung kann bisher nicht die Rede sein. Die Republik liegt eher im Dämmerschlaf. Ganz anders als 1986: Damals musste Bundeskanzler Fred Sinowatz von der SPÖ zurücktreten, nachdem er nur versucht hatte, den konservativen Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim wegen seiner NS-Vergangenheit zu kritisieren. Die Konsequenz: Waldheim gewann die Wahl mit seiner „Jetzt erst recht“-Kampagne mit stolzen 54 Prozent.
Der junge Politologe Cornelius Lehnguth hat sich nun speziell dieser Phase angenommen. Seine brillante Arbeit ist die erste systematische Darstellung der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte in Österreich durch die Parteien. Lehnguth folgt dabei der zentralen Stellung des Opferbegriffs in der Gedächtnisgeschichte und der Geschichtspolitik Österreichs.
Die Opferthese unterstellte, dass die schwachen Österreicher vom Nationalsozialismus mit Gewalt unterworfen wurden. Legitimiert wurde sie durch die Moskauer Deklaration von 1943, die Österreich als das „erste Opfer der Hitlerschen Aggression“ bezeichnete.