Übersetzen in Ravensbrück?

Fragwürdig

  • Lesedauer: 3 Min.
Übersetzen in Ravensbrück?

nd: In der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück endet jetzt ein zweiwöchiges internationales Workcamp. Die Teilnehmer - junge Leute aus Staaten wie Armenien, Russland, Frankreich und Südkorea - haben Dokumente und fremdsprachige Literatur aus dem Archiv der Mahn- und Gedenkstätte übersetzt. Sie haben dieses Camp geleitet. Wie sind Sie dazu gekommen?
Gosiorowicz: Ich bin 19 Jahre alt, komme ursprünglich aus Lodz in Polen und habe Abitur gemacht. Bevor ich zu studieren beginne, arbeite ich zurzeit in Rostock bei der Organisation Norddeutsche Jugend im Internationalen Gemeinschaftsdienst (NIG). Ich absolviere dort einen europäischen Freiwilligendienst. Der NIG organisiert dieses Camp. Ich hatte die Chance, hier die Workcampleiterin zu sein. Es gibt auch Camps, wo die Teilnehmer die Blumenbeete pflegen. Aber ich interessiere mich sehr für Sprachen.

Was haben Sie selbst in Ravensbrück übersetzt?
Da war einmal ein amtlicher Brief an einen Mann in Polen, dessen Mutter im KZ Ravensbrück gewesen ist und der mitgeteilt bekam, wie er Informationen darüber aus Archiven erhalten kann. Außerdem hatte ich die Erinnerungen eines ehemaligen polnischen Häftlings zu übersetzen. Das war sehr schwierig, weil es handschriftliche Aufzeichnungen waren, die ich nicht gut lesen konnte. Deshalb bin ich mit der Übersetzung ins Deutsche nicht weit gekommen. Außerdem musste ich mich ja noch um Organisatorisches kümmern. Vielleicht kann ich den Text mit nach Rostock nehmen. Ich hoffe, es dann noch zu schaffen, ihn zu Ende zu übersetzen.

Wie war es, hier in Ravensbrück zu sein?
Wenn man zu Hause ist und etwas über die Zeit damals liest, dann ist das nicht so, wie hier zu sein. Ich habe davon erfahren, dass in den See am Lager die Asche der Toten gekippt wurde. Das muss man sich einmal vorstellen. Seit ich das weiß, will ich hier nicht baden.

Wie war es, in der Jugendherberger in der alten SS-Siedlung zu schlafen?
Das war beschissen. Ich wusste, dass dort früher die SS-Offiziere mit ihren Familien gelebt haben. Andere Teilnehmer des Internationalen Workcamps wussten das vorher noch nicht. Wir haben darüber gesprochen, und wir haben auch über Geister geredet. Das klingt komisch, aber es ist so unheimlich.

Von meinem Zimmer aus kann ich das Häftlingslager sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gewesen ist: Ich bin eine Frau, habe Kinder und mein Mann arbeitet gleich da drüben im Konzentrationslager - und aus dem Fenster sehe ich den Ort, wo Menschen sterben.

In meiner Familien gibt es niemanden, der im KZ gewesen ist. Aber ich weiß, dass hier sehr viele Polinnen eingesperrt waren. Viele sind ermordet worden, an einigen wurden grausame medizinische Experimente gemacht. Ihnen wurden zum Beispiel die Beine aufgeschnitten und in die Wunden wurde Rinde gestopft. Das erschüttert mich.

Würden Sie hier wieder wohnen?
Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Antwort darauf. Jetzt hatten wir keine andere Möglichkeit. Aber wenn ich im Urlaub in die Gegend kommen würde, dann würde ich nicht hier wohnen. Das könnte ich mir nicht vorstellen.

Interview: Andreas Fritsche

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