[AsylbLG] Gö: Bargeld gerichtlich erstritten

Tauscherin 17.12.2012 22:10 Themen: Antirassismus
Nun hat es auch das Sozialgericht festgestellt: Die Stadt Göttingen hätte die Nachzahlungen, die einigen Flüchtlingen aufgrund des AsylbLG-Urteils des BVerfG zustanden, in Bargeld statt in Wertgutscheinen auszahlen müssen. Und auch das Innenministerium in Hannover will sich nicht mehr so recht über den vorauseilenden Gehorsam aus Göttingen freuen.
Nun hat es also auch das Sozialgericht Hildesheim festgestellt: Die Stadt Göttingen hätte die Nachzahlungen, die einigen Flüchtlingen aufgrund des AsylbLG-Urteils des BVerfG zustanden, in Bargeld statt in Wertgutscheinen auszahlen müssen. In einem anderen Verfahren, in dem es um die regelmäßigen, monatlichen Leistungen ging, die die Stadt Göttingen ebenfalls in Wertgutscheinen erbringt, fiel hingegen "trotz intensiver mündlicher Erörterung" noch keine Entscheidung.

Während die Göttinger Medien zur Entscheidung in Hildesheim weitestgehend schweigen, sendete der NDR einen kurzen Fernsehbeitrag. Und gleichzeitig scheint das Thema auch hinsichtlich der bevorstehenden Landtagswahl an Bedeutung zu gewinnen: So sieht die SPD in dem Urteil einen "Schlag gegen Schünemanns Diskriminierungspolitik"[1] und auch die Grünen "begrüßen [das] Gerichtsurteil gegen die Stadt."[2]

1 vgl. Bemerkung der integrationspolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion
2 vgl. Pressemitteilung der Grünen vom 13.12.2012

Über die Ausgabe der Gutscheine entschieden und an der Entscheidung dann vehement festgehalten hatte aber just diese tief rot-grüne Stadt Göttingen, in deren Rat die CDU nur als drittstärkste Kraft vertreten ist. Aber jetzt will sich selbst das Innenministerium in Hannover nicht mehr über den vorauseilenden Gehorsam aus Göttingen freuen: In einer Erklärung vom 13.12. formuliert das Ministerium scharf: "Beklagter war die Stadt Göttingen, nicht das Innenministerium!" Und weiter: "Eine Weisung zur Ausgabe von Wertgutscheinen in Nachzahlungsfällen hat es vom Innenministerium nicht gegeben. Diese Entscheidung wurde ausdrücklich den Kommunen selbst überlassen!"

Spannender als die Nachzahlungen sind jedoch die regelmäßigen Leistungen. Hier könnte sich die Stadt Göttingen nach der "peinliche[n] Niederlage vor Gericht"[2] nun wunderbar in Szene setzen und endlich mal einen Schritt nach vorne wagen. "Schaffen Sie dieses rassistische System der Gutscheine endlich ab!" fordert die Gutscheingruppe Göttingen daher von der Stadt. Den Schünemannschen Rüffel –sofern er denn wirklich käme– wäre es dann wenigstens wert.

2 vgl. Pressemitteilung der Grünen vom 13.12.2012

Zum Hintergrund:
AsylbewerberInnen und rechtlich Gleichgestellte sind in Deutschland einem Netz staatlicher Schikanen, Verbote und Zumutungen ausgesetzt. Beispielsweise erzwingt ein faktisches Arbeitsverbot die Sozialhilfebedürftigkeit dieses Personenkreises und bedeutete in der Folge eine über viele Jahre hinweg "in der Höhe evident unzureichende" Leistungsgewährung. So festgestellt im Sommer diesen Jahres in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bekanntlich verfügte das Gericht in diesem Urteil, dass zum einen ab sofort höhere Grundleistungen ausgezahlt werden müssen und dass zum anderen den wenigen Flüchtlingen, die ihren Leistungsbescheid in der Vergangenheit angefochten hatten, rückwirkend Ausgleichszahlungen für die rechtswidrig vorenthaltenen Leistungen seit maximal 2011 zustehen.

Eine weitere rassistische Sonderbehandlung gegenüber Flüchtlingen erfolgt hinsichtlich der Art der Leistungsgewährung. Gemeint ist das sogenannte Sachleistungsprinzip, das zwar in Deutschland überall anders ausgelegt wird, aber in Göttingen seither zur Begründung eines speziellen Gutscheinsystems in Anschlag gebracht wird: Demnach erhalten Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus die ihnen zustehenden Leistungen abgesehen von einem sogenannten "Taschengeld" in Form von aufwendig hergestellten Gutscheinen, die dann beschränkt auf einzelne Warengruppen nur in bestimmten Läden eingesetzt werden können. Obwohl –wie zuletzt auch das BVerfG dokumentierte– "die Mehrzahl der Länder und Kreise"[3] in Deutschland ebendiese Leistungen, die in Göttingen als Gutscheine ausgegeben werden, in Form von Geldleistungen gewährt, behauptet man in Göttingen felsenfest nach der derzeitigen Gesetzeslage gäbe es "keinerlei Handlungsspielraum, Bargeld auszuzahlen". Als Zuckerbrot für die sensibilisierten, kritischeren Stimmen konstatiert man dann gerne, die Gutscheine seien "diskriminierend", "stigmatisierend" und auch noch "teuer", ihre "dauerhafte Anwendung mit der Würde des Menschen nicht vereinbar", nur ändern könne man –leider– nichts, das "Niedersächsische Innenministerium" müsse erst "die Diskriminierungen des AsylbLG aufheben" (sic!).[4] Aber fällt das Innenministerium als Schwarzer Peter aus, dann kann man in Göttingen statt Zuckerbrot natürlich auch Peitsche:

3 vgl. Rd.-Nr. 44
4 sämtlich zitiert aus einem vom Rat der Stadt Göttingen so beschlossenen Antrag vom 13.07.2012, vgl. ebenfalls den Artikel der Gutscheingruppe "Weiterhin kein Bargeld in Göttingen" vom 17.07.2012

Im November war der Fall einer Leistungsempfängerin bekannt geworden, der aufgrund des Urteils des BVerfG rückwirkende Leistungen in Höhe eines hohen dreistelligen Betrages zustanden, ausbezahlt von der Stadt Göttingen in Form von Gutscheinen. Die Frau setzte nun also vor dem Sozialgericht gegen dies –wie hieß es im Stadtrat?– "diskriminierende" und "stigmatisierende" Form der Nachzahlung zur Wehr und konnte somit zumindest den Rücktausch von Gutscheinen im Nennwert von 120 Euro erzwingen.

Im Innenministerium in Hannover hatte man die Nachzahlungen von vorneherein anders als in Göttingen beurteilt. In einer internen Mitteilung in einem ähnlich gelagerten Fall im Landkreis Göttingen hatte es geheißen, bei den Nachzahlungen handele es sich um "eine besondere Sachkonstellation", die die Gewährung von Geldleistungen rechtfertige. Trotzdem hatte Göttingens Sozialdezernentin Dr. Schlapheit-Beck noch am 23.11.2012 öffentlichkeitswirksam erklärt, dass der erwähnte Fall aus dem Landkreis "für die Stadt Göttingen keinen Präzedenzfall darstellt". Nicht zutreffend heißt es in der Erklärung weiter, ein Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 03.09.2012 fordere das Sachleistungsprinzip –gemeint ist die Gutscheinausgabe– von der Stadt Göttingen ein. Tatsächlich trägt der indizierte Erlass natürlich nichts in dieser Sache aus. Es folgte ein unwürdiges Ränkespiel, in nicht-öffentlichen Gremien wurden ohnehin unpraktikable Regelungen für den Umtausch abgelaufener Gutscheine im Januar 2013 besprochen.[5] Glücklicherweise sorgt das Hildesheimer Gerichtsurteil hier nun für Klarheit.

5 vgl. hierzu die Pressemitteilung der Gutscheingruppe vom 04.12.2012

Deutlich komplexer ist die Frage "Bargeld oder Gutscheine" aber hinsichtlich der regelmäßigen Leistungen. Auch diesbezüglich wir derzeit ein Verfahren vor dem Sozialgericht in Hildesheim geführt. Dabei geht es zunächst darum, ob die gegenwärtige Entscheidungspraxis bei der Bewilligung der Leistungen ermessensfehlerhaft ist, da die Behörde das ihr per Gesetz anheim gestellte Ermessen gar nicht ausübt, gar behauptet, es stünde ihr gar nicht zu. Sodann geht es um die weitreichendere Fragestellung, ob eine fehlerfreie Ermessensausübung die Gewährung von Bargeld statt Wertgutscheinen zum Ergebnis haben müsste.

Es bleibt also juristisch spannend und ist in der Sache doch zugleich schon im Vorfeld ein Armutszeugnis: Seit Jahren ist klar, dass nach dem AsylbLG Bargeld ausgezahlt werden darf. Trotzdem müssen die Flüchtlinge nun den rechtlichen Kampf auf sich nehmen, um zu zeigen, dass Bargeld nicht nur ausgezahlt werden darf, sondern auch muss. Der zentrale Satz des BVerfG-Urteils zum AsylbLG gibt hierbei die Richtung vor: "Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren."[6]

6 vgl. Rd.-Nr. 121

Der Göttinger Rechtsanwalt Adam, der die AsylbewerberInnen in Hildesheim vertritt, hat die verschiedenen rechtlichen Aspekte der Frage "Bargeld oder Gutscheine" untersucht und in einer aktuellen Stellungnahme zusammengestellt. Sie kann auf der Homepage der Kanzlei eingesehen werden.

Weitere Informationen zur Gutscheinpraxis in Göttingen auf der Seite der Gutscheingruppe.
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Ergänzungen