Ausgabe Januar 2012

Auf Salz gebaut: Die Lehren aus Gorleben

Der Salzstock in Gorleben ist seit Jahrzehnten heftig umkämpft. Das belegten Ende November 2011 die massiven Proteste gegen den jüngsten Castor-Transport – den letzten aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague. Mit einer Transportzeit von 126 Stunden war der Atommüll länger als jemals zuvor unterwegs. Sogar Niedersachsens Innenminister Schünemann sprach danach vom härtesten Castor-Transport aller Zeiten. Dass der Widerstand gegen die Atompolitik der Bundesregierung trotz des beschlossenen Ausstiegs aus der Atomkraft stark und lebendig geblieben ist, ist vor allem einer, weiterhin völlig ungeklärten Frage geschuldet: der nach der atomaren Endlagerung.

Als einziger Standort in der Bundesrepublik wird derzeit Gorleben auf seine Eignung als mögliches Endlager für hochradioaktive Abfälle erkundet. Dass dies so ist, geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf manipulierte Gutachten der Regierung Helmut Kohls zurück – das zumindest legen die Aussagen von Zeugen im Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages mehr und mehr nahe.[1]

Doch auch die schwarz-gelbe Bundesregierung setzt unvermindert auf Gorleben – daran wird auch die von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) im November einberufene Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines Endlagersuchgesetzes aller Voraussicht nach nichts ändern. Denn während Röttgen mit ihr einen Neustart in der Suche nach einem Endlager suggeriert, werden in Gorleben offenbar Tatsachen geschaffen und der Salzstock weiter ausgebaut.[2]

Die jährlichen Atommülltransporte – bisher aus Frankreich und zukünftig aus England – verstärken diesen Eindruck noch. Und damit nicht genug: Geprüft wird zudem, ob in Gorleben mehr als das Dreifache der bisher bekannten Menge an Atommüll eingelagert werden soll.[3]

Der Streit um Gorleben hat – immerhin – einen positiven Nebeneffekt: Endlich kommt eines der zentralen Probleme der Atomkraft, nämlich die atomare Endlagerung, auf den Tisch. Schließlich verbirgt sich dahinter eine der größten Herausforderungen der Politik.

Hier in Deutschland wird die Hinterlassenschaft aus den Atomkraftwerken von Eon, Vattenfall, RWE und EnBW unsere Nachkommen noch dann gefährden, wenn sie gar nicht mehr wissen, wer Eon und Co. überhaupt waren. Über eine Million Jahre muss der Atommüll sicher verwahrt werden – eine schier unlösbare Aufgabe. Die Suche nach einer Lösung erscheint umso auswegloser, wenn man bedenkt, dass die beteiligten Unternehmen allein in Gewinnmaximierungskategorien denken. Dabei ist das Atommüllproblem natürlich kontraproduktiv – solange es den Unternehmen nicht gelingt, die Ewigkeitskosten auf die Gesellschaft abzuwälzen.

Gorleben revisited

Seit die schwarz-gelbe Bundesregierung nach dem Atom-Moratorium vom März 2011 die Erkundung des Salzstocks Gorleben wieder aufgenommen hat, versucht Umweltminister Röttgen einen sogenannten Gorleben-Dialog zu starten. Ein solcher garantiere Offenheit und Integrität des Verfahrens. Dabei stehe „Sicherheit für uns kompromisslos an allererster Stelle“ – so zumindest schreibt es der Minister in der Broschüre „Weitererkundung des Salzstocks Gorleben“.[4] Meinte Röttgen diese Vorgabe tatsächlich ernst, müsste dies allerdings das sofortige Aus für Gorleben bedeuten.

Dass Gorleben als Endlagerstandort ungeeignet ist, müsste dem Bundesumweltministerium eigentlich schon seit Abschluss der oberirdischen Erkundung 1981, spätestens aber seit 1995 klar sein. In einer vom Ministerium eigens in Auftrag gegebenen Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus demselben Jahr wurde Gorleben nämlich interessanterweise gar nicht erst aufgenommen. Diese Studie sollte die Sicherheitskriterien für die Lagerung von Atommüll in Salz festlegen und untersuchungswürdige Salzstrukturen auswählen.

Deshalb beauftragte Greenpeace im Jahr 2007 den Hannoveraner Geologen Jürgen Kreusch damit, den Salzstock Gorleben nach den Kriterien der BGR-Untersuchung zu bewerten. Das Ergebnis hätte eindeutiger nicht ausfallen können. Kreusch kommt zu dem Ergebnis: „Die Bewertung des Deckgebirges des Salzstocks Gorleben mittels der von [der] BGR (1995a) aufgestellten Kriterien zeigt zweifelsfrei, dass dieser Salzstock nicht als untersuchungswürdig angesehen worden wäre, hätte die BGR ihn bei ihrer Untersuchung und Bewertung der Salzformationen mit berücksichtigt.“[5] Nach den Kriterien der dem Bundeswirtschaftsministerium unterstehenden BGR wäre Gorleben also nicht einmal untersuchungswürdig (und wurde deshalb, durchaus konsequenterweise, eventuell auch gar nicht erst untersucht). Dennoch schreibt der derzeit amtierende Umweltminister Röttgen, dass „eine ergebnisoffene Erkundung die Eignung oder Nichteignung des Salzstocks Gorleben umfassend begründen muss.“ Aus geologischer Sicht ist die Frage dagegen längst geklärt: Gorleben ist nicht geeignet und muss als Standort für die Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll aufgegeben werden.

Bedingungen für einen Endlagerprozess

Das eigentliche Problem der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle liegt jedoch viel tiefer. Um sich einer Lösung auch nur anzunähern, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Die erste und grundsätzlichste Bedingung ist der endgültige Ausstieg aus der Atomkraft, da andernfalls ständig, quasi ad infinitum, neuer Müll erzeugt und das Problem niemals endgültig beseitigt würde.

Diese Bedingung scheint in der Bundesrepublik nun immerhin erfüllt, nachdem (unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe in Fukushima) die große Mehrheit des deutschen Parlaments inzwischen für einen Atomausstieg bis 2022 einsteht. (Nach Berechnungen von Greenpeace wäre der Atomausstieg zwar schon bis 2015 umsetzbar, doch ist diese Einsicht in weiten Teilen der Politik leider noch nicht angekommen.)[6]

Zweitens bedarf es der Einrichtung einer Ethikkommission, die sich mit den grundsätzlichen gesellschaftlichen Fragestellungen der Endlagerung von Atommüll beschäftigt. Sie hätte die Aufgabe, ein transparentes Verfahren unter Einbindung sämtlicher Interessen und gesellschaftlicher Gruppen zu entwickeln. In diesem müssten auch die Fehler, die in Gorleben gemacht wurden, berücksichtigt werden.

Ethiker, Soziologen, Risikoforscher, Zukunftsforscher, Philosophen und Vertreterinnen und Vertreter der Bevölkerung sollten in diesem unabhängig zusammengestellten Gremium über alle grundsätzlichen Fragen der Endlagerung von Atommüll beraten.

Grundsätzlich ginge es bei dem Verfahren zunächst vor allem darum festzustellen, welche Ansprüche die Bevölkerung in Deutschland an die Endlagerung von Atommüll stellt: Wie ist die Endlagerung mit der Forderung nach Generationengerechtigkeit in Übereinstimmung zu bringen? Ist es gerechtfertigt, den Müll heute zu vergraben, obwohl wir womöglich gar nicht die technischen Fähigkeiten haben, dies so zu tun, dass er die nächsten Generationen nicht gefährdet? Kann und sollte der Müll stattdessen für lange Zeit in oberirdischen Zwischenlagern verbleiben? Oder muss eine Kompromisslösung, wie beispielsweise das Schweizer Pilot-Lager, gefunden werden?

Wie kann sichergestellt werden, dass die Produzenten des Atommülls sich langfristig an der Finanzierung der Endlagerung beteiligen? Nach dem Abschalten ihrer Atomkraftwerke werden sie nämlich das Interesse an einer weiteren Finanzierung der Atommüllentsorgung allzu schnell verlieren.

Diese grundsätzlichen ethischen Fragen, wie auch die Fragen der konkreten Umsetzung der Endlagerung, sind bisher in keinster Weise geklärt.

In einem dritten Schritt müssten die für Atommülllagerung zuständigen Behörden zusammen mit den Verursachern des Abfalls Mindestsicherheitskriterien entwickeln, die den zuvor festgelegten ethischen Maßstäben entsprechen. Dabei müssten sämtliche an dem bisherigen Verfahren beteiligten Wissenschaftler und wissenschaftlichen Institutionen wegen Befangenheit von einem künftigen Verfahren ausgeschlossen werden. Damit würde verhindert, dass Wissenschaftler, die sich für das notgeschlossene Atommülllager Morsleben, das abgesoffene Atommülllager Asse und wider besseres Wissen für den Salzstock Gorleben stark gemacht haben, einen Endlagerprozess, der den Namen tatsächlich verdient, weiterhin durch ihre Entscheidungen zum Scheitern bringen können. Deutschland hat genügend gut ausgebildete Geologen und Ingenieure, die sich dieser schwierigen Problematik unvoreingenommen annehmen könnten.

Das Verfahren selbst muss höchsten Transparenzansprüchen genügen. Es sollte daher unbedingt öffentlich stattfinden. Dabei darf es keine Vorfestlegung auf Salz oder ein anderes Wirtsgestein geben. Der Prozess darf zudem nicht automatisch auf eine tiefengeologische Lagerung hinauslaufen. In Deutschland sind sämtliche möglichen geologischen Strukturen zur Endlagerung von Atommüll vorhanden. Mögliche Salzlagerstätten finden sich vorwiegend in Norddeutschland (zum Beispiel in Niedersachsen), Ton und Granit dagegen in Bayern und Baden-Württemberg.

Wichtig ist, dass ein solcher beteiligungsorientierter Prozess mit ausreichenden Mitteln vom Staat – umlagenfinanziert durch die Abfallverursacher – ausgestattet wird. Nur so hätten auch zivilgesellschaftliche Gruppen die Möglichkeit, finanziell und wissenschaftlich auf Augenhöhe mit Behörden und Betreibern zu diskutieren.

Von der Beteiligung zum Gesetz

Erst nach einer derartigen gründlichen gesellschaftlichen Prüfung würde in einem vierten Schritt die Entwicklung eines Gesetzes durch den Bundestag stehen, das den weiteren Prozess definiert und die mit den Stakeholdern abgestimmten Sicherheitskriterien rechtlich verbindlich festhält. Ein solches Gesetz darf also erst am Ende eines gesellschaftlichen Prozesses stehen, nicht aber an dessen Anfang, wie es Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) plant. Bereits im Sommer 2012 will er ein Endlagersuchgesetz vorlegen.

Auf Grundlage des vom Parlament beschlossenen Gesetzes würden im fünften Schritt Standorte, die den Mindestsicherheitskriterien entsprechen, für die Endlagerung gesucht. Diese müssten den Stakeholdern erneut zur Überprüfung vorgelegt werden. Erst nachdem sie sich mit der Auswahl einverstanden erklären, sollten mehrere Standorte parallel untertage erkundet werden – zumindest sofern sich die Gesellschaft für eine tiefengeologische Lagerung entschieden hat. Parallel dazu sollten ein oder mehrere Felslabors zur Erforschung verschiedener Gesteinsformationen eingerichtet werden, wie es die Schweiz in Mont Terri vorgemacht hat.

Ein Endlagerort, der höchsten Sicherheitsanforderungen genügt, stünde somit erst ganz am Ende dieses langen Prozesses. Setzt man – wie hier skizziert – die Beteiligung der Gesellschaft an einem solchen Prozess voraus, dann wird deutlich, dass eine Endlagersuche, wie sie Norbert Röttgen derzeit plant, nicht funktionieren kann: Viel zu hoch ist das Misstrauen der Bevölkerung in diejenigen, die sich auf Seiten des Bundesministeriums an der Suche nach einem Endlager beteiligen. Zu ihnen gehören der Atom-Hardliner Gerald Hennenhöfer wie auch der mit Teilen der vorläufigen Sicherheitsanalyse in Gorleben betraute ehemalige Vattenfall-Manager Bruno Thomauske.

Anstatt weitere Transporte nach Gorleben zuzulassen, könnte die Regierung Vertrauen schaffen, indem sie den Atommüll beispielsweise ins Zwischenlager des Atomkraftwerks Philippsburg in Baden-Württemberg transportieren lässt. Dieses liegt nahe an der Grenze zu Frankreich, womit auch die Transportstrecke deutlich reduziert würde.

Doch bisher finden solche Überlegungen im Bundesministerium offenbar keinen Anklang. Vielmehr scheint die aktuelle Regierung mit dem „Gorleben-Dialog“ und der nun einberufenen Bund-Länder-Arbeitsgruppe den Trend ihrer Vorgänger fortzusetzen: Seit über 30 Jahren haben fast alle Regierungen wider besseres Wissen versucht, Gorleben als Endlager für hochradioaktive Abfälle durchzusetzen.

Dabei ignoriert Norbert Röttgen völlig, dass die mit der atomaren Endlagerung verbundenen gesellschaftlichen Fragen vor der Entwicklung eines Endlagersuchgesetzes geklärt werden müssen. Wie sonst ließe sich erklären, dass die von Röttgen eingesetzte Arbeitsgruppe bis Sommer 2012 ein Endlagersuchgesetz entwickeln soll, während Niedersachsens Ministerpräsident McAllister parallel und ebenfalls bis Sommer 2012 zumindest einen Teil der oben skizzierten Fragestellungen beantworten will? Auch die vorgeschlagene Zusammensetzung der Arbeitsgruppe aus Vertretern von acht Bundesländern und einem Vertreter des Bundes ist weit von einer unabhängigen Ethikkommission entfernt, wie sie hier vorgeschlagen wird.

Immerhin einen Hoffnungsschimmer aber gibt es: Bislang sind alle Regierungen mit ihrem Vorhaben am Widerstand der Bevölkerung gescheitert – und das mit gutem Recht. Der Bundesumweltminister wäre daher gut beraten, aus der Geschichte Gorlebens endlich die richtigen Lehren zu ziehen.

 

[1] Malte Kreuzfeldt, Gorleben-Legende eingestürzt, in: „die tageszeitung“, 27.10.2011; vgl. auch Wolfgang Ehmke, Kontaminiert in Ewigkeit, in: „Blätter“, 10/2009, S. 8-11.

[2] Laut Entwurf der Bundesregierung zum Bundeshaushaltsplan 2012, Einzelplan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sind für den Weiterbau im Bundeshaushalt 2012 73 Mio. Euro vorgesehen, für die Suche nach Alternativen lediglich 3,5 Mio.

[3] Vgl. Joachim Wille, Mehr Atommüll für Gorleben, in: „Frankfurter Rundschau“, 5.10.2011.

[4] BMU (Hg.), Weitererkundung des Salzstocks Gorleben, Berlin 22010, S. 4.

[5] Jürgen Kreusch, Die Bewertung des Standortes Gorleben mittels Kriterien, die von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zur Untersuchung und Bewertung von Salzformationen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle aufgestellt wurden, Hannover 2007.

[6] Vgl. Greenpeace, Der Plan. Deutschland ist erneuerbar!, in: http://www.greenpeace.de.

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