Picknick in Vlaamse Velden

Belgien Die Wahlen werden zur Kraftprobe zwischen zwei Lagern flämischer Nationalisten
Ausgabe 21/2014

Dieser Tage schlief ich zweimal auf flämischen Feldern. Nicht, dass ich dem Rohstoff der weltbesten Fritten beim Wachsen zuhören wollte – nein, ich muss sparen. Flandern ist selbst in der ländlichen Provinz Limburg so dicht besiedelt, dass man lange durch schmale Waldstücke kurvt, bis man eine diskrete Ecke findet. Endlich, am Rand einer Obstplantage hieve ich mich auf die Rückbank meines Wagens.

Ich kam, um die Wahlkampagne der flämischen Nationalisten zu beobachten. Zusätzlich zum EU-Parlament wählt Belgien am 25. Mai seine föderalen und regionalen Kammern. Der separatistisch-rassistische Vlaams Belang schrumpft, seit ihm mit der Neu-Flämischen Allianz (N-VA) salonfähige Konkurrenz erwuchs. Der Führer der auf antiwallonisch-antisozialistische Ressentiments setzenden Partei, der Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever, holt Stimmen von überall, vom Vlaams Belang, von Christdemokraten und Liberalen. Kaum jemand zweifelt an seinem zweiten Wahlsieg nach dem von 2010, der Belgien den Weltrekord in Unregiertheit bescherte. De Wevers Rezept des „Konföderationalismus“ bleibt freilich ein Buch mit sieben Siegeln.

Von einem Hahn geweckt, komme ich viel zu früh auf dem Marktplatz der Kleinstadt Bilzen an. „Der Vlaams Belang kommt zu ihnen“, ist angekündigt, „am Sonntag 9.30 Uhr“. Am Autokennzeichen der Kandidatin ist das „BE“ durch ein „VL“ ersetzt. Um 8.15 Uhr wachsen aus dem Dach des Wahltrucks zwei Parteifahnen heraus, langsam und elektrisch, immer höher. Um 8.45 Uhr sind etwa 15 Funktionäre versammelt, die häufig laut und demonstrativ lachen. Den Salon des offenen Trucks betritt niemand, um 9.15 Uhr werden die albernen Wahlspots abgedreht.

Bilzen ist an diesem Sonntagmorgen still, zweimal halten Radfahrer, plaudern mit einem Funktionär, ohne aber vom Rad zu steigen. Um 9.45 Uhr hält der geleckte Sportwagenfahrer eine kurze Rede. Er ruft die Funktionäre dazu auf, „24 Stunden am Tag Enthusiasmus“ zu versprühen. Er rafft das Wahlprogramm: „Gegen Islamisierung, für die Unabhängigkeit Flanderns, gegen das bürokratische Monster EU.“

Kurz bevor die Parteienförderung verfrühstückt ist, holt mich ein älterer Glatzkopf in die Runde. „In Flandern darf ich keinen Grünabfall verbrennen“, schimpft der pensionierte NATO-Offizier, „die Wallonen dürfen das.“ Die Wahlaussichten des Vlaams Belang sieht er nüchtern. „Wenn irgendwelche Marokkaner vor der Wahl zwei flämische Mädchen vergewaltigen, gehen wir zwei Prozent hoch.“ – „Sie hoffen auf eine Vergewaltigung?“ – „Natürlich nicht.“

Zur ungleich erfolgreicheren N-VA, die zu einem „Picknick in Vlaamse Velden“ lädt, komme ich viel zu spät. In Brecht, zwischen Antwerpen und der holländischen Grenze gelegen, empfängt mich eine seltsame Pflanzung barock geschnittener Zierbäume. Im Festzelt englische Popmusik, schwarze Blutwurst, Wurstplatten, Obst. Hier ist die Mitte, hier ist das Volk. Der redselige Kassierer vertritt überzeugt das Parteiprogramm, gerade auch die neoliberalen Züge: „Belgien ist zu teuer, die Arbeitskosten in Deutschland sind 15 Prozent niedriger.“ Nur als ich ihn nach dem „Konföderationalismus“ frage, gerät er ins Schwimmen. „Das wäre so was wie in Deutschland“, meint er. – „Dann müsste sich Belgien aber rezentralisieren.“ – „Okay, dann so was wie in der Schweiz.“

Ich fahre noch nach Dessel, in eine einsame Hochburg der N-VA. Doch finde ich in der Kleinstadt nur türkische Mitarbeiter von Kebab-Buden, die so tun, als hätten sie noch nie von flämischen Nationalisten gehört. Ich suche wieder einen Ort zum Schlafen. Kurz nach Sonnenuntergang wird die Gegend plötzlich tränentreibend schön. Aus Stallungen erleuchtet ein orangen Feuerlicht den zartweißen Nebel, der auf frischgrünen Weiden liegt. Auf der Watte des Nebels galoppiert ein Pferd.

Martin Leidenfrost schrieb im Freitag zuletzt über die EU-Spitzenkandidaten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker

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