Die letzte Birne von Bosnien

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"Kulinarisches Kino" ist eine Reihe im an Reihen und Sonderveranstaltungen nicht armen Berlinale-Programm, bei der erst ein Film geschaut wird (mit Essensbezug) und danach Sternekoch-Essen gegessen wird. Für die Kosslick-Kritiker ist das "Kulinarische Kino" das Furunkel am Arsch der Eventisierung, fürs Festival selbst ein weiteres Tool auf dem Weg zur Wundertütenriesenmaschine, die solvente Festivalbesucher da abholt, wo sie sitzen, und die hilft, durch Wuseln das zu kompensieren, was Berlin von Cannes und Venedig unterscheidet: die Filmauswahl im Wettbewerb. Lustigerweise trägt einer der Sterneköche, der in diesem Jahr fürs "Kulinarische Kino" arbeitet, den Namen Marco Müller - so hieß in Venedig in den letzten Jahren der Festvialdirektor.

Unabhängig von Segen oder Fluch - das Kulinarische Kino ist nicht nur aufs "Kulinarische Kino" beschränkt. Oder anders gesagt: Gegessen wird auch in anderen Filmen. In Angelina Jolies Bosnien-Kriegs-Film-Regiedebüt etwa serviert der serbische Militärlover Daniel seiner gefangenen bosnischen Geliebten irgendwann die "letzte Birne von ganz Bosnien". Außerdem versorgt er sie immerfort mit besseren Essen, und so sitzt die Frau, die im bürgerlichen Leben Malerin sein wollte, in ihrem Turmzimmer und isst.

Jolies Film In the Land of Blood and Honey, der als Special zu sehen sein wird, versucht, die Absurdität des Bürgerkriegs zwischen Ethnien, die jahrelang friedlich in Jugoslawien zusammengelebt haben, als Liebesgeschichte in Zeiten des Krieges zu erzählen. Das ist eher so halb gelungen: Jolie erzählt langwierig und zäh, und wenn die Malerin und der Militär kurz vor Ende noch mal das kaputte städtische Museum von Sarajewo besuchen, auch unfreiwillig komisch. Am Schluss geht leider alles bös' aus, man wird als Zuschauer ums Happy End gebracht.

Heut' gab's Fisch

Gegessen wird auch in Formentera (im Forum) von Ann-Kristin Reyels: Jeden Abend sitzt das Berliner Jungdynamo-Paar Ben (Thure Lindhardt) und Nina (Sabine Timoteo) vor pittoresker Kulisse mit den Hippie-Eltern-Freunden von Ben (darunter Christian Brückner, die Synchronstimme von Robert de Niro, der irgendwas mit Kunst macht), und pickt Oliven, isst Salat. Formentera wirkt wie eine Parodie auf Maren Ades Film Alle Anderen, der vor drei Jahren auf der Berlinale zu sehen war: Ein desorientiertes Paar (hier schon mit Kind, das allerdings - warum auch immer - zu Hause bleiben musste) hat im Urlaub Probleme.

Während Ade den Konflikt zwischen ihren Figuren sehr schön herausarbeitete, ohne ihn je auszusprechen, weiß Reyels offenbar selbst nicht, was genau ihre Figuren umtreibt - irgendwas mit Problem. Formentera könnte - gerade durch die Besetzung mit dem limitierten Lindhardt - die Rache am in Fragen der Gleichstellung verbal aufgeschlossenen, dabei aber weitgehend verhaltensstarren Akademikermann als Deppen sein - dafür fndet der Film sein bürgerliches Lebensgefühl, das im abendlichen Essen zum Ausdruck kommt, aber viel zu gut.

Die einzige Szene, in der mal so etwas wie innere Spannung aufkommt - ein misslungener Nightswimming-Ausflug zur Nachbarpartyinsel Ibiza -, wird im Rest des Films so unsinnig wie konsequent beschwiegen. So dass es nicht verkehrt ist zu sagen, dass sich dieser Film vor allem ums Essen dreht: Die Hippie-Eltern-Freunde kommentieren die Abwesenheit der Kinder mit dem lapidaren Satz: "Schade, dass ihr gestern nicht da wart, es gab Fisch."

(Foto auf der Startseite: Unafilm)

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

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