Zuckerbrot und Haferbrei

Bühne Thomas Rothschild besucht für uns auch in diesem Jahr die Salzburger Festspiele. Teil 1 seines Reports
Ausgabe 31/2013

Die Jungfrau steht, im weißen Kleid über der engen Hose und den klobigen Schuhen, mit dem Schwert in der Rechten, im Lichtkegel eines Scheinwerfers. Die restlichen Darsteller schälen sich aus der Rückwand der schwarz ausstaffierten leeren Bühne und sprechen fast durchweg aus dem Halbdunkel. Michael Thalheimer macht aus Schillers Jungfrau von Orleans ein Oratorium. Er inszeniert das Stück aus der Sprache heraus: ein asketischer Balanceakt der Reduktion, als wollte er den Aufwand der Salzburger Festspiele verhöhnen.

Sven-Eric Bechtolf, der aktuelle Schauspielchef der Festspiele, ist ein guter Interview-Partner. Seine Antworten sind in der Regel deutlich intelligenter als die Fragen, die ihm gestellt werden. Das heißt freilich nicht, das, was er dann in der Praxis umsetzt, überzeugt. Nicht einmal Bechtolf selbst wird wohl behaupten wollen, dass ein Schauspielprogramm, in dessen Zentrum Ein Sommernachtstraum, Die Jungfrau von Orleans und Lumpazivagabundus stehen, sonderlich einfallsreich sei. Vielmehr entspricht es dem Opernangebot der Salzburger Festspiele vom Vorjahr, als Die Zauberflöte, La Bohème und Carmen die Zuschauer lockten. Und die Rechnung geht, jedenfalls an den Kassen, auf. Fragt sich bloß, ob ein hoch subventioniertes Unternehmen damit zufrieden sein kann, wenn die Platzausnutzung Rekorde schreibt. Darf man nicht erwarten, dass hier das Besondere entsteht, das sich Stadttheater nicht leisten können, dass hier auch Unbekanntes entdeckt und Neues gefördert wird? Und zwar nicht nur in marginalen Alibiveranstaltungen. Wir warten also auf Markus Hinterhäuser.

Vorläufig freuen wir uns, immerhin, über Harrison Birtwistles Gawain, neben dessen Ausgrabung freilich selbst die prestigemäßig hinterherhinkenden Bregenzer Festspiele mit der Uraufführung von André Tchaikowskys acht Jahre älterem Kaufmann von Venedig keine schlechte Figur machten. Und vergessen wir nicht: Gawain ist nur der Ersatz für György Kurtágs Oper nach Samuel Becketts Endspiel, die eigentlich für 2013 angekündigt war, deren Fertigstellung aber auf sich warten lässt – was Kenner der Materie schon vor zwei Jahren ahnten. Nun soll sie 2015 aufgeführt werden.

Vor der Premiere von Gawain – die Pressekonferenz. Intendant Alexander Pereira ließ wissen, dass seine Vorgänger Mortier, Ruzicka und Flimm sicher auch gern Birtwistles Oper aufgeführt hätten, dass aber nur er über die Ausdauer verfüge, das Kuratorium davon zu überzeugen. Dann erklärte er, dass er ja eigentlich das seit Langem bestellte Auftragswerk von Kurtág präsentieren wollte, für den Birtwistle einspringen durfte, und dass der 86-Jährige immerhin schon 120 Seiten geliefert habe. Er sagte das, als sei man mit 86 gemeinhin grenzdebil. Der 79-jährige Birtwistle dürfte diese Perspektive mit gemischten Gefühlen aufgenommen haben. Als Dirigent Ingo Metzmacher gefragt wurde, ob es einen Unterschied bedeute, mit dem ORF-Radio-Symphonieorchester zu arbeiten statt mit den Wiener Philharmonikern, lachte er nur schelmisch, und Birtwistle sprang ihm zur Seite: Mit den Philharmonikern sei es, wie wenn man ein Kind dazu bringen wolle, Haferbrei zu essen.

Salzburger Festspiele bis 1. September 2013

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