Ausgabe Juni 2014

Chronik des Monats April 2014

1.4. – Ukraine-Konflikt. Im Rahmen des „Weimarer Dreieck“ (Deutschland, Frankreich, Polen) beraten die Außenminister Steinmeier, Fabius und Sikorski über die zugespitzte Lage in der Ukraine nach dem Anschluss der Krim an die Russische Föderation (vgl. „Blätter“, 5/2014, S. 125). Die Führung der Krim lehnt am 3.4. ein Autonomes Gebiet für die Minderheit der Krimtartaren ab, die muslimische Volksgruppe könne lediglich „kulturelle Autonomie“ beanspruchen. Bei einem informellen Treffen in Athen appellieren die EU-Außenminister am 4.4. an die russische Regierung, ihre Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine abzuziehen. Bundesaußenminister Steinmeier äußert die Hoffnung, Russland werde sich an der wirtschaftlichen Stabilisierung der Ukraine beteiligen. Außenminister Kurz teilt mit, Österreich habe Experten nach Kiew entsandt, um die ukrainische Regierung zu Themen wie Neutralität und Blockfreiheit zu beraten. In der Ostukraine finden am 6.4. organisierte Kundgebungen statt. Redner fordern mehr Eigenständigkeit für die Regionen und die gesetzliche Verankerung des Russischen als zweite Amtssprache. In Donezk, Luhansk, Charkiw und anderen Städten kommt es zu gewaltsamen Besetzungen von Amtsgebäuden und zur Entwaffnung der örtlichen Polizei, die sich zunehmend den Demonstranten anschließt. Selbsternannte „Volksbürgermeister“ setzen sich an die Spitze prorussischer Separatisten. Der ukrainische Übergangspräsident Turtschinow sagt am 10.4. den Besetzern Straffreiheit zu, wenn sie ihre Aktionen beenden und die Waffen niederlegen. Sprecher der Separatisten verlangen dagegen ein Referendum über die staatliche Unabhängigkeit der mehrheitlich von Menschen mit russischer Nationalität bewohnten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine. Die Krim erhält am 11.4. eine neue Verfassung. In dem vom Parlament in Sinferopol angenommenen Text heißt es, die Halbinsel sei ein unabänderlicher Teil der Russischen Föderation. Turtschinow regt am 13.4. ein landesweites Referendum über Verfassungsänderungen zur Regionalisierung an, zeitgleich mit den für den 25. Mai d.J. geplanten Präsidentschaftswahlen. Er sei sicher, dass sich eine große Mehrheit für eine unteilbare demokratische und unabhängige Ukraine aussprechen werde. Zusammenstöße zwischen den Separatisten und regierungstreuen Sicherheitskräften nehmen zu, es gibt Tote und Verletzte. Russlands Vertreter im UN-Sicherheitsrat macht die Regierung in Kiew für die Eskalation verantwortlich und warnt vor Gewaltanwendung gegen prorussische Demonstranten. Die „Neue Zürcher Zeitung“ veröffentlicht am 14.4. ein Interview mit Steinmeier, der sich nachdrücklich für eine diplomatische Lösung ausspricht: „Der Versuch, Russland einzubinden, bedeutet kein Entgegenkommen und kein Geschenk, sondern entspricht den Interessen der Europäischen Union.“ Die ukrainische Regierung startet am 15.4. einen „Antiterror-Einsatz“ im Osten des Landes. Eliteeinheiten des Innenministeriums setzen Helikopter und Panzerfahrzeuge ein. In Genf einigen sich am 17.4. hochrangige Vertreter der USA, Russlands, der Ukraine und der Europäischen Union auf einen Plan, der u.a. die Entwaffnung aller illegalen militanten Gruppen und die Räumung der besetzten Gebäude vorsieht. Die Unterzeichner rufen die Konfliktparteien zum Verzicht auf Gewalt, Einschüchterung und Provokationen auf und verurteilen alle Formen des Extremismus. Eine Verfassungsreform dürfe niemanden ausgrenzen. Die Durchführung der geplanten Maßnahmen soll von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwacht werden. Die Genfer Vereinbarung bleibt jedoch ohne nachhaltige Wirkung, die Unruhen in den Krisengebieten gehen weiter, beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld. US-Vizepräsident Biden führt am 22.4. Gespräche in Kiew und sagt umfangreiche Wirtschaftshilfe und militärische Ausrüstungen zu. Bewaffnete Milizen nehmen am 25.4. nahe der ostukrainischen Stadt Slawjansk (Region Donezk) acht Mitglieder eines Inspektorenteams fest, das sich auf Einladung der ukrainischen Regierung im Rahmen von OSZE-Vereinbarungen im Lande aufhält. International unterstützte Bemühungen des OSZE-Vorsitzes um die Freilassung bleiben zunächst erfolglos. Ein Nato-Diplomat erklärt am 29.4. in Brüssel: „Wir haben derzeit keine Informationen, die auf einen Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze hindeuten.“

1.-2.4. – Nato. Als Reaktion auf die Krimkrise setzt die Allianz die technische Zusammenarbeit mit Russland aus. Später wird auch die Bewegungsfreiheit der russischen Diplomaten auf dem Gelände des Nato-Hauptquartiers in Brüssel eingeschränkt. Die politischen Kontakte sollen jedoch fortgesetzt und gleichzeitig die Kooperation mit der Regierung in Kiew verstärkt werden. Während eines Kurzbesuches in der belgischen Hauptstadt hatte US-Präsident Obama erklärt, weder Georgien noch die Ukra-ine seien derzeit auf dem Weg zu einer Nato-Mitgliedschaft. – Am 9.4. teilt der litauische Verteidigungsminister Olekas mit, der Luftraum der Nato-Mitgliedstaaten Estland, Lettland und Litauen werde ab Mai d.J. von Kampfflugzeugen aus Polen, Großbritannien und Dänemark überwacht. Die Entsendung zusätzlicher Flugzeuge und Schiffe, aber auch militärischen Personals nach Osteuropa sieht ein Beschluss der Allianz vom 16.4. vor. Generalsekretär Fogh Rasmussen: „Die Nato wird jedes Bündnismitglied gegen jede Bedrohung verteidigen.“

2.4. – Frankreich. Der neue Premierminister Valls (vgl. „Blätter“, 5/2014, S. 127) kündigt in Paris umfangreiche Reformen in Wirtschaft und Verwaltung an, um einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zu begegnen und die Staatsverschuldung einzudämmen. Die Grünen, bisher mit zwei Ministern vertreten, hatten das Kabinett zuvor verlassen. Valls erhält am 8.4. mit 306 gegen 239 Stimmen das Vertrauen der Nationalversammlung; das Quorum liegt bei 289 Stimmen. – Am 29.4. stimmt das Parlament nach kontroverser Debatte mit 265 gegen 232 dem umstrittenen Wirtschaftsprogramm zu, das bis 2017 Einsparungen von 50 Mrd. Euro bringen soll. Mehr als 40 Abgeordnete der regierenden Sozialisten enthalten sich aus Protest oder stimmen mit Nein.

2.-3.4. – EU. Kommissionspräsident Barroso kündigt auf einem EU-Afrika-Gipfel eine Neuausrichtung der Beziehungen der Union mit dem afrikanischen Kontinent an, es müsse ein Verhältnis auf Augenhöhe entstehen. Am Gipfel nehmen Delegationen aus den 28 EU-Mitgliedern und aus allen 54 afrikanischen Staaten teil. – Am 15.4. verabschiedet das Europäische Parlament weitere Vorschriften zur Abwicklung maroder Banken. Damit kann der Rechtsrahmen für die Bankenunion in Kraft treten, die Beobachter als das weitreichendste Integrationsprojekt seit der Einführung des Euro ansehen.

5.4. – Afghanistan. Unter noch einmal verschärften Sicherheitsmaßnahmen ist die Bevölkerung zur Wahl eines Nachfolgers für den scheidenden Präsidenten Karsai aufgerufen. Die Wahlbeteiligung ist trotz Drohungen der Taliban unerwartet hoch, keiner der drei Kandidaten kann im ersten Wahlgang die vorgeschriebene Mehrheit erreichen. Die Stichwahl soll am 7. Juni d.J. erfolgen.

6.4. – Ungarn. Trotz Stimmenverlusten werden der vor allem in Europa umstrittene Regierungschef Orban und seine Fidesz-Partei bei den Parlamentswahlen mit fast 50 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Das linksliberale Oppositionsbündnis erreicht nur rund 25 Prozent, die als rechtsextrem geltende Jobbik-Partei erhält rund 20 Prozent der Stimmen. Wegen des geänderten Wahlrechts kann Fidesz künftig über eine knappe Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügen. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisieren die Benachteiligung der Opposition.

8.4. – EuGH. Der Europäische Gerichtshof legt in einem Urteil fest, für die Datenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Verbrechen müsse es klare und präzise Regeln geben. Das verdachtslose Sammeln privater Kommunikationsdaten sei ein Verstoß gegen Grundrechte. Die Gerichtsentscheidung stellt die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in Frage und hat Auswirkungen auf die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten.

             – Spanien. Das Parlament lehnt mit großer Mehrheit (299 gegen 47 Stimmen) den Antrag der Regionalregierung Kataloniens ab, ein Referendum über die Unabhängigkeit der Provinz abzuhalten. Sprecher der regierenden Konservativen und der oppositionellen Sozialisten bezeichnen das Vorhaben als verfassungswidrig. Die Souveränität stehe lediglich dem gesamten spanischen Volk zu, so Ministerpräsident Rajoy.

10.4. – Europarat. Wegen der Annexion der Krim entzieht die Parlamentarische Versammlung der Organisation den 18 russischen Abgeordneten zunächst bis Januar 2015 das Stimmrecht. Die Entscheidung im Palais de l‘Europe in Straßburg fällt mit 145 gegen 21 Stimmen.

             – UNO. Der Sicherheitsrat erteilt das Mandat für eine weitere „Blauhelm“-Mission. Die von Frankreich eingebrachte Resolution 2149 (2014) sieht die Entsendung von 10 000 Soldaten und 1800 Polizisten in die Zentralafrikanische Republik vor, um die Zivilbevölkerung vor bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen zu schützen und der Übergangsführung bei der Organisation von Wahlen zu helfen.

11.4. – Türkei. Das Verfassungsgericht erklärt die umstrittene Justizreform der Regierung Erdogan in wichtigen Teilen für verfassungswidrig. Annulliert werden insbesondere Bestimmungen, die eine Kontrolle des Justizministers über den Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte erlauben. Damit sei die Gewaltenteilung gefährdet.

14.4. – Venezuela. Die Regierung und das Oppositionsbündnis „Mesa de la Unidad Democrática“ (MUD) einigen sich auf einen Dialog, um die anhaltende politische Krise beizulegen (vgl. „Blätter“, 4/2014, S. 127). Der Dialog soll im staatlichen Rundfunk übertragen und von ausländischen Mediatoren begleitet werden.

21.4. – Syrien. Parlamentspräsident Lahham kündigt Präsidentschaftswahlen für den 3. Juni d.J. an. Präsident Assad will für eine weitere siebenjährige Amtszeit kandidieren.

23.4. – Naher Osten. Fatah und Hamas, die beiden zerstrittenen Fraktionen der Palästinenser, die das Westjordanland und den Gazastreifen regieren, schließen ein Versöhnungsabkommen. Eine gemeinsame Übergangsregierung aus Technokraten soll Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorbereiten. Kritik kommt aus Israel, aber auch aus den USA. Ministerpräsident Netanjahu fordert von Palästinenserpräsident Abbas, das Abkommen zurückzunehmen. – Am 27.4. bezeichnet Abbas in einer auf Englisch und Arabisch verbreiteten Erklärung zum Holocaust-Gedenktag das Verbrechen an Juden als beispiellos in der Geschichte der Moderne. Der Holocaust stehe für Rassismus und ethnische Diskriminierung, was die Palästinenser in aller Form ablehnten.

24.4. – IGH. Beim Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag geht eine Klage der Marschall-Inseln ein. Das UN-Mitglied wirft den acht Kernwaffenstaaten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Nordkorea und Israel vor, ihren Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung nicht nachzukommen. Die Marschall-Inseln waren nach dem Zweiten Weltkrieg Testgelände für amerikanische Atomversuche.

26.-29.4. – Türkei/BRD. Bundespräsident Gauck äußert während eines Staatsbesuches in der Türkei seine Besorgnis. Er frage sich „heute und hier“, ob die Unabhängigkeit der Justiz noch gesichert sei, wenn die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten daran hindere, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken. Ministerpräsident Erdogan weist die Kritik Gaucks öffentlich zurück: „Behalten Sie Ihre Ratschläge für sich.“

28.4. – Ägypten. Ein Gericht in Minia verurteilt weitere 683 Personen zum Tode, denen die Teilnahme am Sturm auf einen Polizeiposten im vergangenen Jahr vorgeworfen wird. Der Prozess dauert nur eine Stunde. Unter den Angeklagten ist der oberste Führer der Muslimbrüder, Mohammed Badie. Das gleiche Gericht bestätigt 37 von im März d.J. ausgesprochenen 529 Todesurteilen, die übrigen werden in lebenslange Haft umgewandelt.

             – Philippinen/USA. Der amerikanische Präsident Obama beendet auf den Philippinen eine ausgedehnte Asienreise, in deren Verlauf er Japan, Südkorea und Malaysia besucht hatte. US-Botschafter Philip Goldberg und Verteidigungsminister Voltaire Gazmint unterzeichnen ein Abkommen, das den USA in den nächsten zehn Jahren eine größere militärische Präsenz erlaubt.

30.4. – Irak. Erstmals seit dem Abzug der amerikanischen Truppen Ende 2011 finden Parlamentswahlen statt, an denen sich nach amtlichen Angaben etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Das Ergebnis soll erst Wochen später vorliegen.

             – Nigeria. Vor dem Parlament in der Hauptstadt Abuja findet auf Initiative der Vereinigung „Frauen für Frieden und Gerechtigkeit“ eine Demonstration statt. Die Teilnehmer protestieren gegen den zunehmenden Terror der Islamisten von Boko Haram. Die Sekte hatte am 14.4. aus einer Schule im Gliedstaat Borno mehr als 200 Mädchen mit unbekanntem Ziel verschleppt und mit deren Versklavung gedroht.

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