Ausgabe März 2012

Chronik des Monats Januar 2012

1.1. – EU.  Dänemark übernimmt von Polen den Vorsitz in den Gremien der Europäischen Union für das erste Halbjahr 2012; beide Länder gehören nicht zum Euro-Raum. In Kopenhagen heißt es, Dänemark wolle sich bei den anstehenden schwierigen Verhandlungen in den nächsten sechs Monaten darauf konzentrieren, Brückenbauer zwischen den 17 Euro-Staaten und den übrigen EU-Mitgliedern zu sein. – Am 17.1. leitet die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Teile der Anfang des Jahres in Kraft getretenen neuen Verfassung seien ebenso wie einige neue Gesetze mit EU-Recht unvereinbar. Ungarns Premier Orban äußert sich am 18.1. im Europäischen Parlament in Straßburg und verspricht, ohne Details zu nennen, die von der Kommission benannten Probleme „schnell und einfach“ zu lösen. – Am 23.1. verhängt die Europäische Union Sanktionen gegen den Iran, darunter ein Öl-Embargo, und wiederholt die „ernste und sich vertiefende Sorge über das iranische Atomprogramm“. Laufende Verträge könnten noch bis zum 1. Juli d.J. erfüllt werden. – Am 30.1. befassen sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel mit einem von Kommissionspräsident Barroso vorgelegten „Pakt für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum“, um vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Auf einem informellen Gipfel einigen sich 25 der 27 EU-Staaten auf einen „Fiskalpakt“, der die Teilnehmer zur Haushaltsdisziplin und zur Aufnahme einer Schuldenbremse in ihre Verfassungsgesetze verpflichtet. Bei Nichteinhaltung drohen Strafmaßnahmen. Großbritannien und auch Tschechien wollen sich dem Pakt nicht anschließen, der nach der für März d.J. geplanten Unterzeichnung von mindestens zwölf Staaten ratifiziert werden muss.

2.1. – Ungarn.  Mit einem Festakt in Budapest feiern die Spitzen des Staates das Inkrafttreten der umstrittenen neuen Verfassung zum Jahresbeginn. Damit verbundene gesetzliche Bestimmungen zum Wahl-, Justiz- und Medienrecht (vgl. „Blätter“, 2/2012, S. 127) werden in der Öffentlichkeit und innerhalb der Europäischen Union heftig kritisiert. Der Regierung Orban wird außerdem vorgeworfen, mit einem veränderten Statut die Unabhängigkeit der Notenbank zu gefährden. Während des Festakts demonstrieren in der Hauptstadt Zehntausende. Eine der Losungen lautet: „Es wird wieder eine Republik geben.“ Die Präambel des neuen Grundgesetzes beansprucht „Verantwortung für alle Ungarn“ und bezieht auch die jenseits der Grenze lebenden ungarischen Minderheiten ein.

3.1. – Iran/USA.  Zum Abschluss eines Flottenmanövers in der Straße von Hormus warnt der Iran die USA, man sei in der Lage, die eigenen Interessen durchzusetzen. Das US-Militär bestätigt die Verlegung von zwei Flugzeugträgern in das Arabische Meer, die „Carl Vinson“ trifft am 9.1. in der Region ein.

4.1. – Syrien.  Ein Vertreter des Syrischen Nationalrats (SNC) schließt in Berlin Anschläge auf die Truppen Assads nicht aus, auf friedlichem Wege sei der Potentat offenbar nicht zum Machtverzicht zu bewegen. Dies gelte insbesondere, „wenn die internationale Gemeinschaft so langsam handelt, wie sie es bis anhin tut“. Von der Bundesregierung und der Europäischen Union erwarte der Nationalrat eine offizielle Anerkennung und ein härteres Auftreten gegenüber Damaskus. – Am 10.1. verteidigt Präsident Assad in einer Rede an der Universität Damaskus das Vorgehen gegen die Opposition und übt Kritik an dem Beschluss über die Suspendierung der Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga. Assad kündigt zum wiederholten Male die Vorbereitung einer neuen Verfassung an. – Am 29.1. melden Beobachter vor Ort erstmals heftige Kämpfe in den Vororten der Hauptstadt Damaskus. An den bewaffneten Auseinandersetzungen sind zunehmend Einheiten der aus Deserteuren gebildeten Freien Syrischen Armee beteiligt. Die ägyptische Tageszeitung „Al-Masry Al-Youm“ berichtet über einen gescheiterten Fluchtversuch der Familie von Diktator Assad.

5.1. – USA.  Präsident Obama stellt im Pentagon im Beisein von Verteidigungsminister Panetta und Stabschef Dempsey eine neue Militärstrategie vor. Das strategische Augenmerk der Vereinigten Staaten werde sich in Richtung Pazifik verschieben, ein weiterer Schwerpunkt werde der Nahe Osten sein. Europa, so deutet der Präsident an, müsse sich dagegen stärker auf sich selbst verlassen. Besonderes Gewicht liege künftig auf dem verstärkten Einsatz unbemannter Waffensysteme. – Am 11.1. demonstrieren Menschenrechtsaktivisten in mehreren Ländern für die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba. Die Teilnehmer erinnern an das Versprechen Obamas während des Wahlkampfes 2008, das Lager binnen eines Jahres aufzulösen. Eine der Kundgebungen findet vor der US-Botschaft in Berlin statt. – Am 13.1. kündigt Panetta im Rahmen der Neuorientierung der Streitkräfte den Abzug von zwei der vier Kampfbrigaden aus Europa an. Nach Angaben der „Washington Post“ bedeute dies eine Reduzierung um rund 10 000 bis 15 000 Soldaten. Betroffen sind sechs Garnisonen auf dem Territorium der Bundesrepublik.

6.1. – Saarland.  Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) gibt überraschend die Aufkündigung der „Jamaika-Koalition“ aus Christdemokraten, Freien Demokraten und Grünen bekannt und begründet die Entscheidung mit anhaltenden Differenzen innerhalb der FDP-Gremien. Die Landesspitzen von CDU und SPD sondieren zunächst ergebnislos die Möglichkeiten einer „Großen Koalition“. Der Landtag löst sich am 26.1. auf und setzt für den 25. März d.J. Neuwahlen an.

15.1. – Rumänien.  In der Hauptstadt Bukarest kommt es zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Proteste richten sich gegen den verordneten Sparkurs mit Lohneinschnitten, gekürzten Zulagen, höheren Steuern, aber auch gegen die weit verbreitete Korruption. Regierungschef Boc warnt vor einer Gefährdung der wirtschaftlichen Stabilität des Landes, verspricht aber gleichzeitig eine Überarbeitung der besonders umstrittenen Gesundheitsreform.

17.1. – Griechenland.  Bei der Ankunft der „Troika“ aus Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Finanzlage und Sparbeschlüsse der griechischen Regierung bewerten soll, kommt es in Athen zu Protesten und Streiks.

18.1. – Bundesregierung.  Das Kabinett beschließt ein Zentralregister für alle Informationen der Sicherheitsorgane des Bundes und der Länder über Personen, die rechtsextreme Ziele verfolgen und zu rechtsextremer Gewalt aufrufen oder aufgerufen haben. Damit wird die „Anti-Terror-Datei“ über gewaltbereite Islamisten ergänzt. Die neue „Verbunddatei“ steht im Zusammenhang mit der Aufdeckung einer Bewegung Nationalsozialistischer Untergrund/NSU. Die Mitglieder der „Zwickauer Zelle“ werden verdächtigt, neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft und eine Polizeibeamtin ermordet zu haben. Die Diskussion über ein mögliches NPD-Verbot geht in der Öffentlichkeit weiter.

        – Russland.  Außenminister Lawrow lehnt auf einer Pressekonferenz seines Ministeriums Interventionen und Zwangsmaßnahmen gegen Syrien ab und bezeichnet die Vorgänge als innere Angelegenheit. Der UN-Sicherheitsrat solle die Vermittlungsbemühungen der Arabischen Liga positiv bewerten, Russland setze sich für einen Gewaltverzicht aller Akteure ein. Der Nahe Osten befinde sich im Übergang, nur ein breiter Dialog könne die gegenwärtige Krise beenden. Russland, so Lawrow einige Tage später, werde Sanktionen gegen Syrien nicht unterstützen und jede Strafmaßnahme der Vereinten Nationen blockieren. Vordringlich seien Gespräche zwischen Regierung und Opposition. Die Tageszeitung „Kommersant“ berichtet am 23.1. über den Verkauf von 36 russischen Kampfjets des Typs Jak-130 an Syrien. Das Rüstungsgeschäft habe einen Umfang von 550 Mio. US-Dollar.

18.-19.1. – Naher Osten.  Palästinenserpräsident Abbas trifft in Berlin mit Bundespräsident Wulff, Außenminister Westerwelle und Bundeskanzlerin Merkel zusammen. Westerwelle fordert Palästinenser und Israeli auf, provokative Maßnahmen zu unterlassen; ernsthafte Verhandlungen auf der Grundlage des Fahrplans des Nahost-Quartetts seien der beste Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Bundeskanzlerin Merkel erklärt zur Lage in Syrien, die Gewalt müsse ein Ende haben, gegenüber „Herrn Assad“ müsse man eine „sehr klare Sprache“ finden. Ein Festhalten an der Gewalt und an der Macht könne keinen Frieden bringen. – Am 26.1. enden in der jordanischen Hauptstadt Amman die am 3. d.M. begonnenen „Vorgespräche“ zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde über die Wiederaufnahme der seit September 2010 unterbrochenen Friedensverhandlungen. Die unter dem Druck des Nahost-Quartetts aus Vereinten Nationen, Europäischer Union, USA und Russland geführten Gespräche bleiben ohne Ergebnis, beide Seiten halten an ihren Positionen fest. Die Palästinenser beharren auf ihrer Forderung nach Einstellung des israelischen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten, Israel lehnt Vorbedingungen ab und verurteilt die sich abzeichnende Annäherung zwischen der von Abbas geführten Fatah und der im Gazastreifen regierenden Hamas. Man könne keinen Friedensprozess mit einer Regierung führen, die mit einer Terrororganisation gemeinsame Sache mache. Ein Vertreter der Palästinenser wird mit den Worten zitiert: „Ab sofort gibt es keine Vorgespräche mehr.“

19.1. – UNO.  Der Sicherheitsrat bekräftigt in einer Erklärung „den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit“ als unverzichtbares Element des friedlichen Zusammenlebens und der Verhütung bewaffneter Konflikte und wendet sich gegen Straflosigkeit bei schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechtsnormen. Staaten seien verpflichtet, eingehend zu ermitteln und die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen. Sanktionen seien ein „wichtiges Instrument zur Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“.

21.1. – Jemen.  Das Parlament verabschiedet einstimmig ein Gesetz, das dem scheidenden Präsidenten Saleh und seinen Sicherheitskräften Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung wegen möglicher Verbrechen während seiner 33jährigen Herrschaft einräumt. Die Entscheidung stößt bei der Opposition und bei Menschenrechtlern auf Proteste. Während einer Kundgebung am 22.1. fordern Zehntausende die Hinrichtung Salehs.

22.1. – Arabische Liga.  Der Ministerrat legt in Kairo einen Plan für den Übergang zur Demokratie in Syrien vor, der die Übergabe der Macht des Präsidenten Assad an seinen Stellvertreter, die Bildung einer Regierung unter Einschluss der Opposition, die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung sowie Parlaments- und Präsidentenwahlen vorsieht. Der den Vereinten Nationen vorgelegte Plan wird in Damaskus zurückgewiesen. Die arabische Initiative, so schreibt die amtliche Nachrichtenagentur, erfolge „im Rahmen einer Verschwörung gegen Syrien“. – Am 24.1. fordern die Staaten des Golf-Kooperations-Rates den UN-Sicherheitsrat  auf, den Druck auf die Führung in Damaskus zu erhöhen und dafür „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“. Angesichts zunehmender Gewalt setzt die Liga ihre Beobachtermission in Syrien zunächst aus (vgl. „Blätter“, 2/2012, S. 127).

23.1. – Ägypten.  Die in Etappen während eines Zeitraums von zwei Monaten gewählte erste Kammer (Volkskammer) des neuen Parlaments konstituiert sich in Kairo. Islamistische Parteien verfügen über zwei Drittel der Sitze, stärkste Kraft mit 47 Prozent ist die Partei Freiheit und Gerechtigkeit, die als politischer Arm der Muslimbrüder gilt. Von den 508 Abgeordneten wurden zehn durch die regierenden Militärs ernannt. Die zweite Parlamentskammer (Schura-Rat) wird später gewählt.

26.1. – Bundestag.  Das Parlament setzt auf Antrag aller fünf Fraktionen einen Untersuchungsausschuss ein, der die Mordserie der Zwickauer Neonazi-Gruppe aufarbeiten soll. Dabei geht es vor allem um das Versagen der Sicherheitsbehörden. Mit 424 von 569 Stimmen verlängern die Abgeordneten die deutsche Beteiligung am Einsatz der „International Security Assistance Force“ (ISAF) in Afghanistan unter Führung der NATO bis zum 31. Januar 2013. Die Obergrenze der eingesetzten Bundeswehrsoldaten soll von bisher maximal 5350 ab Februar d.J. bis auf 4900 verringert werden. Die Kosten für den Einsatz im laufenden Jahr belaufen sich nach Schätzungen auf über eine Mrd. Euro.

27.1. – Italien.  Das Kabinett annulliert per Dekret fast 350 „unnötige“ Gesetze und Verwaltungsvorschriften. Das Dekret muss nach Unterzeichnung durch den Staatspräsidenten innerhalb von 60 Tagen vom Parlament als Gesetz beschlossen werden.

29.1. – Kuba.  Präsident Raoul Castro schließt vor dem nationalen Kongress der Kommunistischen Partei in Havanna die Einführung eines Mehrparteiensystems kategorisch aus. Die Zulassung weiterer Parteien würde zu einer „Kommerzialisierung der Politik“ führen und einer Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten Kubas Tür und Tor öffnen: „Es wäre so, als wenn wir eine Partei des Imperialismus auf unserem Boden legalisieren würden.“ Ranghohe Regierungs- und Parteiämter sollen künftig nur noch für maximal zehn Jahre vergeben werden.

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