Ausgabe September 2013

Chronik des Monats Juli 2013

1.7. – EU.  Kroatien wird 28. Mitglied der Europäischen Union. An einem Festakt in der Hauptstadt Zagreb nehmen die Spitzen der Union sowie zahlreiche Staats- und Regierungschefs teil. – Am 4.7. verlangt das Europäische Parlament angesichts immer neuer Enthüllungen über umstrittene Praktiken amerikanischer u nd europäischer Geheimdienste in einer Entschließung, „alle Überwachungsprogramme auszusetzen, die gegen die Rechte der EU-Bürger verstoßen“. – Am 9.7. stimmen die Finanzminister der Einführung des Euro in Lettland und dem Beitritt das Landes als 18. Mitglied der Eurozone zum 1. Januar 2014 zu. – Am 10.7. legt die EU-Kommission neue Vorschläge für die Abwicklung maroder Banken vor. Mit dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und dem Abwicklungsfonds, so Kommissionspräsident Barosso, „werden in Zukunft nicht mehr die europäischen Steuerzahler, sondern die Banken selbst die Kosten von Verlusten schultern müssen.“

        – Russland/USA.  Präsident Putin äußert sich zu einem möglichen Asylantrag des ehemaligen US-Geheimdienstlers Edward Snowden, der sich nach zunächst unbestätigten Meldungen seit dem 23. Juni d.J. ohne gültige Papiere im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhält. Sollte Snowden in Russland bleiben wollen, müsse er „seine Tätigkeit einstellen, die darauf gerichtet ist, unseren amerikanischen Partnern zu schaden“. Der Computerspezialist, der auf der Flucht vor den amerikanischen Behörden ist, die ihm wegen Geheimnisverrat, Spionage und Diebstahl den Prozess machen wollen, hatte gegenüber der Londoner Zeitung „The Guardian“ und anderen Medien den Umfang eines weltweiten elektronischen Ausspäh- und Überwachungsprogramms der National Security Agency (NSA) enthüllt und brisantes Material aus seiner Tätigkeit für die NSA vorgelegt. Nach einem Telefongespräch mit Obama (12.7.) erklärt Putin am 17.7. in der ostsibirischen Stadt Tschita während des größten Militärmanövers seit 1991, die Beziehungen zu den USA seien wichtiger als Streitereien der Geheimdienste. Snowden, der zunächst Asyl in Lateinamerika angestrebt hatte, beantragt bei der russischen Migrationsbehörde eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung.

        – Ägypten.  Armeechef al-Sissi stellt den rivalisierenden Kräften ein Ultimatum, innerhalb von 48 Stunden die Forderungen des Volkes zu erfüllen (vgl. „Blätter“, 8/2013, S. 127), anderenfalls werde die Armee ihre Verantwortung für das Land übernehmen und einen politischen Fahrplan festlegen. Die Oppositionsbewegung Tamarod (Rebellion) hatte nach eigenen Angaben landesweit mehr als 20 Mio. Unterschriften für den Rücktritt von Präsident Mursi gesammelt; der Präsident lehnt jedoch einen Amtsverzicht ab. Nach Ablauf des Ultimatums am 3.7. setzt das Militär den Obersten Verfassungsrichter Adli Mansur als Übergangspräsident ein, dem provisorischen Kabinett gehört al-Sissi als Verteidigungsminister und stellvertretender Regierungschef an. Friedensnobelpreisträger ElBaradei, früher Chef der Internationalen Atomenergie- Organisation (IAEO) in Wien, wird Vizepräsident und zuständig für die Außenpolitik. Eine Roadmap des Übergangspräsidenten Mansur sieht Parlaments- und Präsidentenwahlen in vier Monaten vor. Der abgesetzte Präsident Mursi wird an einem unbekannten Ort festgehalten und mit Anklage bedroht. Die Muslimbruderschaft ruft zum Widerstand auf. Das internationale Echo auf die Vorgänge in Kairo ist geteilt. Während einige Regierungen Verständnis für das Vorgehen der Armee zeigen, sprechen andere von einem „Putsch“. Politiker aus aller Welt, darunter UN-Generalsekretär Ban, setzen sich für die Freilassung des entmachteten Präsidenten ein. Die Armeeführung fordert die Bevölkerung zu Massenkundgebungen am 26.7. auf, um so ein Mandat für Maßnahmen gegen „potentiellen Terrorismus“ zu erhalten. Zusammenstöße zwischen den Anhängern Mursis und den Sicherheitskräften mit Toten und Verletzten halten an. Die EU-Außenbeauftragte Ashton erhält am 29.7. bei einem Besuch in Kairo überraschend die Möglichkeit zu einem zweistündigen Treffen mit Mursi.

5.7. – AU.  Die Afrikanische Union hebt die Mitgliedschaft Ägyptens vorläufig auf. Sie folgt dem Artikel 25 ihrer Charta von 2007, der die Mitgliedschaft eines verfassungswidrig regierten Staates suspendiert.

7.-8.7. – Syrien-Konflikt.  Das in Istanbul tagende größte syrische Oppositionsbündnis, die Nationale Koalition (NK), wählt eine neue Führung. Vorsitzender wird Ahmed Jarba, der sich in der Stichwahl gegen den bisherigen Generalsekretär Mustafa Sabbagh durchsetzt. Jarba werden familiäre Bindungen zum saudischen Königshaus nachgesagt. Einer der drei Vizepräsidenten wird Mohammed Faruk Taifur, ein Vertreter der Muslimbrüder. – Am 16.7. berichtet der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) Antonio Guterres dem Sicherheitsrat in New York über die Lage in Syrien. Ein Drittel der vom UNHCR registrierten 1,8 Millionen Flüchtlinge hätten das Land seit Beginn dieses Jahres verlassen: „Einen so erschreckend raschen Anstieg der Flüchtlingszahlen haben wir seit dem Genozid in Ruanda vor etwa 20 Jahren nicht gesehen.“ Monatlich würden in Syrien 5000 Menschen getötet, täglich seien 6000 Syrer auf der Flucht in die Nachbarländer oder innerhalb des Landes. Untergeneralsekretärin Valerie Amos, zuständig für humanitäre Fragen im UN-Sekretariat, spricht vor dem Rat von einer „unabsehbaren humanitären Tragödie“: „Wir sehen nicht nur die Zerstörung eines Landes, sondern auch seines Volkes.“ In London teilt Außenminister Hague mit, die Regierung werde der syrischen Opposition Ausrüstungen zur Abwehr von Chemiewaffen zur Verfügung stellen, darunter 5000 Schutzmasken und Tabletten gegen Nervengift. – Am 22.7. empfängt Außenminister Lawrow in Moskau den syrischen Vizeregierungschef Kadri Jamil. Thema des Gespräches ist die Vorbereitung einer internationalen Syrien-Konferenz in Genf. Lawrow ruft „alle Oppositionsgruppen“ zur Kooperation auf, nur so könne die Krise ohne militärische Mittel beendet werden. Jamil lehnt Vorleistungen ab und weist insbesondere die Forderung nach Absetzung von Präsident Assad zurück. – Am 24.7. treffen in Damaskus auf Einladung der Regierung zwei hochrangige Experten der Vereinten Nationen ein, um die Bedingungen für eine Untersuchung über den vermuteten Einsatz von chemischen Kampfstoffen auszuhandeln. Ein solcher Einsatz soll am 19.3. d.J. bei Kämpfen um das Dorf Khan al-Assal erfolgt sein.

9.7. – Türkei.  Kurz nach Wiedereröffnung des Gezi-Parks in Istanbul (vgl. „Blätter“, 8/2013, S. 125 f.) räumt die Polizei das Gelände erneut unter Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Begründung der Stadtverwaltung: Für Diskussionsforen der Protestbewegung sei hier ebenso wenig Platz wie für andere Manifestationen.

        – Frankreich.  Die Nationalversammlung verabschiedet ein Gesetz, das es Abgeordneten und Senatoren ab 2017 nicht mehr erlaubt, gleichzeitig das Amt eines Bürgermeisters, des Präsidenten einer Region, eines Departements oder einer anderen Gebietskörperschaft auszuüben. Der Kampf gegen Ämterhäufung war eines der Wahlversprechen von Präsident Hollande.

10.7. – Luxemburg.  Die Große Koalition von Christdemokraten (CSV) und Sozialdemokraten (LSAP) löst sich auf. Anlass ist eine Geheimdienstaffäre, für die Premierminister Jean-Claude Juncker (CSV) die Verantwortung ablehnt. Im Oktober d.J. sollen vorzeitig Parlamentswahlen stattfinden.

11.7. – UNO.  Nach Angaben des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) zum Weltbevölkerungstag leben derzeit auf der Erde rund 7,2 Mrd. Menschen. Bis 2025 werde eine Milliarde hinzukommen, langfristige Schätzungen gingen von 9,6 Mrd. im Jahre 2050 aus. Dieser Anstieg bringe große soziale Probleme und gefährde die Ziele im Kampf gegen die Armut in Entwicklungsländern.

        – Brasilien.  Acht Gewerkschaften rufen zum „Nationalen Tag der Kämpfe“ einen Generalstreik aus. Neben einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohneinbußen wird mehr Geld für Bildung und Gesundheit gefordert.

        – Bulgarien.  Bei den seit Wochen andauernden sozialen Protesten kommt es in der Innenstadt von Sofia erstmals zu Zusammenstößen mit der Polizei. In Sprechchören und auf Transparenten fordern die Demonstranten den Rücktritt der Regierung, die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Das Mitte-Links-Kabinett unter dem Finanzfachmann Plamen Oreschareski ist erst seit Juni d.J. im Amt.

15.7. – Großbritannien.  Das Unterhaus billigt eine Vorlage von Innenministerin Theresa May, die die Regierung ermächtigt, den einseitigen Rückzug aus etwa 130 Bestimmungen über die sicherheitspolitische und juristische Zusammenarbeit in der Europäischen Union einzuleiten. Außerdem soll der europäische Haftbefehl modifiziert werden.

17.7. – Griechenland.  Das Parlament verabschiedet mit den Stimmen von 152 der 300 Abgeordneten unter dem Druck der ausländischen Geldgeber („Troika“) ein heftig umstrittenes Gesetzespaket über die Entlassung von Beamten aus dem öffentlichen Dienst. Bis Ende 2014 sollen 15 000 Stellen abgebaut, weitere 12 500 Personen sollen auf andere Posten versetzt werden. Die Gewerkschaften hatten am Vortag zum Generalstreik aufgerufen.

19.7. – Vatikan.  Papst Franziskus setzt eine Kommission für Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen ein, die vor allem die Finanzgeschäfte des Kirchenstaates transparenter machen soll. Der aus Lateinamerika stammende Papst (vgl. „Blätter“, 5/2013, S. 127) unternimmt seine erste offizielle Auslandsreise vom 22.-28.7. nach Brasilien, wo er am Weltjugendtag in Rio de Janeiro teilnimmt, dem internationalen Jugendtreffen der Katholischen Kirche; das nächste Treffen ist 2016 im polnischen Krakau geplant.

19.-20.7. – G 20-Treffen.  Die Finanzminister und Notenbankchefs der beteiligten Staaten befassen sich in Moskau mit einem Aktionsplan der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gegen Steuervermeidung. Damit soll erreicht werden, dass multinationale Konzerne künftig am Ort der Wertschöpfung Steuern zahlen. OECD-Generalsekretär Angel Gurria spricht von der tiefgreifendsten Änderung des weltweiten Steuerrechts seit den 1920er Jahren.

25.7. – Tunesien.  Der Mord an dem Oppositionspolitiker und Abgeordneten der Verfassunggebenden Versammlung Mohamed Brahmi löst eine Welle regierungsfeindlicher Demonstrationen aus. Der Gründer und Koordinator der Partei „Le Mouvement Populaire“ wird vor seinem Haus in einem Vorort von Tunis erschossen. Die sich ausdehnende Protestbewegung macht die islamistische Regierungspartei Ennahda für das Attentat verantwortlich. Die Regierung kündigt für Dezember d.J. Neuwahlen an, lehnt aber einen sofortigen Rücktritt ab.

29.7. – Irak.  Eine Woche nach einem Überfall auf das Hochsicherheitsgefängnis Abu Ghraib am 22.7., bei dem mehr als 500 z.T. hochrangige Mitglieder der Al-Qaida frei kommen, explodieren in Bagdad innerhalb von nur einer Stunde mindestens elf Autobomben in neun verschiedenen Stadtteilen. Die Wirkung ist verheerend. Im Armenviertel Sadr City explodiert ein Kleinbus in einer Gruppe von Arbeitern. Beobachter verweisen auf die zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage. Seit Anfang Juli d.J. seien mehr als 750 Personen bei Anschlägen ums Leben gekommen. Al-Qaida sei auf dem Vormarsch.

29.-30.7. – Naher Osten.  In Washington finden Vorgespräche für die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Israeli und Palästinensern statt. Unter Leitung des US-Sondergesandten Martin Indyk treffen sich die israelische Justizministerin Zipi Livni und der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat. Der amerikanische Außenminister Kerry, der das Treffen in monatelanger Pendeldiplomatie vorbereitet hatte, empfängt die Delegationen zu einem Abendessen und lobt Livni und Erekat, die trotz Kritik im eigenen Lager zu einer direkten Begegnung bereit seien. Das Ziel kommender Verhandlungen sei ein „vernünftiger Kompromiss“. Das israelische Kabinett hatte am 28.7. beschlossen, mehr als 100 palästinensische Häftlinge freizulassen. Nach Abschluss der Gespräche in Washington zieht Kerry eine zuversichtliche Bilanz. In den nächsten neun Monaten solle der Weg für eine Zwei-Staaten-Lösung gefunden werden.

31.7. – Afghanistan.  Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (United Nations Assistence Mission in Afghanistan/UNAMA) veröffentlicht in Kabul Einzelheiten über die verschlechterte Sicherheitslage im Lande. Nach einem Rückgang im vergangenen Jahr sei die Zahl der Opfer bei kriegerischen Auseinandersetzungen im ersten Halbjahr 2013 wieder deutlich angestiegen. Bis Ende Juni d.J. seien 1319 Zivilisten getötet worden, 14 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die steigende Zahl der Opfer unter Frauen und Kindern sei „besonders beunruhigend“. Für 74 Prozent aller Toten und Verletzten macht UNAMA Terroristen und Taliban verantwortlich. Das afghanische Verteidigungsministerium hatte am 29.7. über zunehmende Gefechtstätigkeit in den östlichen und südlichen Provinzen berichtet und Opferzahlen genannt. 

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