Ausgabe Januar 2013

Chronik des Monats November 2012

1.11. – Syrien-Konflikt. Während sich UN-Vermittler Brahimi weiter um einen Waffenstillstand bemüht (vgl. „Blätter“, 12/2012, S. 109), halten die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der bewaffneten Opposition in Syrien unvermindert an. Die Luftwaffe greift Ziele in verschiedenen Teilen des Landes und in den Vororten der Hauptstadt Damaskus an. Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter veröffentlicht ein Video, das die Hinrichtung gefangener Soldaten durch eine Rebelleneinheit zeigen soll. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf beklagt am 8.11. die kritische Lage der Menschen, die sich trotz verstärkter Hilfseinsätze immer mehr verschlechtere. – Am 9.11. verbreitet der Fernsehsender „Russia Today“ das längere Gespräch einer Journalistin mit dem syrischen Präsidenten Assad. Zu im Ausland umlaufenden Gerüchten erklärt Assad, er werde in Syrien leben und auch sterben. Er rechne nicht mit einer Militärintervention des Westens. Die Kosten wären nicht tragbar und „würden einen Dominoeffekt haben“. Gleichzeitig wird berichtet, in den letzten Tagen hätten sich 26 Offiziere, darunter zwei Generäle, mit ihren Familien vom Regime losgesagt, mehr als 120 000 Flüchtlinge hätten im Nachbarland Türkei Schutz gefunden. – Am 11.11. einigen sich verschiedene Oppositionsgruppen nach einwöchigen Verhandlungen in Katar auf die Gründung einer Dachorganisation. Den Vorsitz des neuen Gremiums („Syrische Nationale Koalition für oppositionelle und revolutionäre Kräfte“) übernimmt der Islamwissenschaftler Maath al-Khatib, der am 13.11. die Staaten Europas auffordert, die Koalition als legitime Regierung Syriens anzuerkennen und das Bündnis mit Mitteln zu versorgen, um Waffen für den Sturz Präsident Assads zu kaufen.

2.11. – Naher Osten. Das israelische Fernsehen gibt eine Äußerung von Palästinenserpräsident Abbas wieder, Palästina bestehe für ihn aus dem Gazastreifen, dem Westjordanland und Ostjerusalem. Die Hamas-Führung protestiert: diese Stellungnahme bedeute einen Verzicht auf das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge. In Kreisen ausländischer Diplomaten heißt es, auch andere Repräsentanten der Autonomiebehörde hätten schon mehrfach das Rückkehrrecht als Verhandlungsgegenstand bezeichnet. – Am 14.11. löst Israel mit der gezielten Tötung eines führenden Hamas-Funktionärs durch eine Drohne mitten in Gaza-Stadt eine Spirale der Gewalt aus. Auf israelischem Gebiet gehen zahllose Raketen aus dem Gazastreifen nieder, die auch die Umgebung von Tel Aviv und Jerusalem erreichen. Die israelische Armee antwortet mit einem Bombenhagel aus der Luft und von See her („Operation Wolkensäule“), der vor allem in Gaza-Stadt verheerende Schäden anrichtet und zahlreiche Tote und Verletzte fordert. In Tel Aviv wird in der Nähe des Verteidigungsministeriums ein Bombenanschlag auf einen Linienbus verübt. Der ägyptische Präsident Mursi erreicht einen Waffenstillstand, der am 21.11. in Kraft tritt. In die tagelangen Verhandlungen schalten sich vor Ort auch US-Außenministerin Clinton und UN-Generalsekretär Ban ein. Präsident Obama telefoniert mit Regierungschef Netanjahu, um Israel zum Einlenken zu bewegen. – Am 26.11. vermittelt Ägypten in Kairo indirekte Gespräche zwischen Israel und der Hamas-Regierung, bei denen es um die israelische Blockade des Gazastreifens, um die Öffnung der Grenzübergänge für Personen und den Güterverkehr geht. – Am 30.11., einen Tag nach der Anerkennung der Staatlichkeit der Palästinenser durch die UN-Generalversammlung, kündigt Israel den Bau von 3000 neuen Wohneinheiten in den besetzten Gebieten an.

6.11. – USA. Barack Obama, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, wird für eine zweite Amtszeit gewählt. Nach Auszählung in den Bundesstaaten entfallen von den 538 Elektorenstimmen 332 auf Obama (Kandidat der Demokraten) und 206 auf Mitt Romney (Kandidat der Republikaner). Das vorgeschriebene Minimum liegt bei 270 Elektorenstimmen. Bei zeitgleichen Teilwahlen zum Kongress können die Demokraten im Senat und die Republikaner im Repräsentantenhaus ihre bisherige Mehrheit verteidigen. (Zum Ergebnis der Wahl von 2008 vgl. „Blätter“, 1/2009, S. 125.)

 – EU. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg verurteilt Ungarn wegen des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot. Die EU-Kommission hatte gegen ein Gesetz der Regierung Orban geklagt, das die vorzeitige Pensionierung von Richtern und Staatsanwälten erlaubt. – Am 19.11. begrüßen die Außenminister bei einem Treffen in Brüssel die Bildung der Nationalen Koalition der syrischen Opposition als „legitimen Vertreter der Wünsche des syrischen Volkes“. – Am 22. und 23.11. befasst sich ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel mit dem Finanzrahmen der Europäischen Union für die Jahre 2014 bis 2020 in Höhe von über einer Billion Euro. Wegen tiefgreifender Differenzen zwischen den Nettozahler- und Empfängerstaaten wird die Entscheidung vertagt. – Am 27.11. einigt sich die Euro-Gruppe mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die Freigabe weiterer Hilfszahlungen für Griechenland im Gesamtumfang von zunächst 44 Mrd. Euro. Dazu gehören eine Fristverlängerung für Sparauflagen und verlängerte Laufzeiten für Darlehen mit Zinssenkungen. Außerdem wird ein Rückkaufprogramm für griechische Staatsanleihen aufgelegt. Details bleiben offen. – Am 28.11. erläutert Kommissionspräsident Barroso Reformpläne für die Wirtschafts- und Währungsunion und plädiert für einen Schuldentilgungsfonds sowie kurzfristige gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Staaten (Eurobills). Ein EU-Schatzamt solle die Haushaltskontrollen übernehmen. Das Ziel könne ein eigener Etat der Eurozone sein. – Am 30.11. teilt das EU-Statistikamt in Luxemburg mit, die Arbeitslosigkeit im Euroraum habe im Oktober d.J. mit 18,8 Millionen und einer Quote von 11,7 Prozent einen Höchststand erreicht. Besonders betroffen seien Griechenland und Spanien.

7.11. – Libyen.  Das Parlament regelt mit einem Gesetz die Demonstrationsfreiheit. Künftig müssen die Veranstalter einer Kundgebung die Behörden 48 Stunden im Voraus informieren und drei Verantwortliche für die Organisation benennen. In Ausnahmefällen kann eine Demonstration verboten werden.

7./8.11. – Griechenland. In nächtlicher Sitzung stimmt das Parlament mit knapper Mehrheit (153 von 300 Abgeordneten) neuen drastischen Sparbeschlüssen im Umfang von 13,5 Mrd. Euro zu. Landesweit findet ein zweitägiger Generalstreik statt, zu dem die Gewerkschaften aufgerufen hatten.

8.-15.11. – China. In der Pekinger Großen Halle des Volkes stellt die Kommunistische Partei die Weichen für einen Führungs- und Generationswechsel. Der scheidende Vorsitzende Hu Jintao würdigt in seiner Eröffnungsrede vor dem 18. Parteitag die Errungenschaften des „Sozialismus chinesischer Prägung“. Hu warnt vor der grassierenden Korruption als tödliche Gefahr für Staat und Partei. Die 2270 Delegierten wählen in geheimer Abstimmung ein neues Zentralkomitee und eine neue Kommission für Disziplin und Inspektion und beschließen Änderungen an den Parteistatuten. Neuer Parteivorsitzender wird Xi Jinping, der von Hu auch das Amt des Staatsoberhaupts übernehmen soll.

9.11. – Ägypten. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo beginnen die Salafisten mit einer Großkundgebung eine Kampagne für die strikte Anwendung der islamischen Scharia. In der neuen Verfassung dürfe nichts stehen, „was dem Koran widerspricht“. – Am 22.11. greift Präsident Mursi massiv in die Kompetenzen der Justiz ein, entlässt den Generalstaatsanwalt und erklärt seine Dekrete bis zur Wahl eines neuen Parlaments für gerichtlich unanfechtbar. Die Oppositionsparteien formieren sich, um gemeinsam die „diktatorischen“ Vollmachten des Präsidenten zu bekämpfen und deren Rücknahme zu verlangen. Der Hohe Justizrat, Ägyptens höchste Justizinstanz, bezeichnet Mursis Vorgehen am 24.11. als beispiellosen Angriff auf eine unabhängige Rechtsprechung, der Präsident spricht von einer befristeten Maßnahme zur Durchsetzung von Reformen. Auf dem Tahrir-Platz findet am 27.11. die größte Kundgebung seit Beginn der Revolution im Januar 2011 statt (vgl. „Blätter“, 3/2011, S. 127). „Das Volk will den Sturz des Regimes“, rufen die Demonstranten, und auf Transparenten ist zu lesen: „Die Muslimbrüder haben die Revolution gestohlen.“ – Am 29./30.11. entscheidet die nach dem Rückzug der Opposition von Islamisten dominierte Verfassunggebende Versammlung in einer Nachtsitzung im Eilverfahren über die 234 Artikel einer neuen Verfassung. Die „Prinzipien der Scharia“, so heißt es darin, seien die „wichtigste Quelle der Gesetzgebung“.

 – OSZE. Das Büro für Menschenrechte und Demokratische Institutionen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa übt in einem Bericht über die Parlamentswahlen in der Ukraine am 28. Oktober d.J. Kritik. Bei 77 der 161 von Wahlbeobachtern besuchten Bezirke sei die Verarbeitung und Auswertung der abgegebenen Stimmzettel intransparent gewesen, u.a. habe man die Existenz von blanko unterzeichneten Protokollen festgestellt. Die regierungsnahe Zeitung „Kyiv Post“ richtet heftige Angriffe gegen die OSZE-Vertreter. Die Ukraine soll im Jahr 2013 den Vorsitz der Organisation übernehmen.

13.11. – Bundesregierung. Bei einem Besuch in Mazar-i-Sharif äußert sich Bundesverteidigungsminister de Maiziere vor Journalisten zum künftigen Engagement der Bundeswehr in Afghanistan: „Es kommt zu einer deutlichen Reduzierung.“ Das Anfang nächsten Jahres fällige neue Mandat sehe zunächst eine Truppenstärke von 4400 vor: „Wie das neue Mandat Anfang 2014 endet, da müssen Sie sich noch ein bisschen gedulden.“

14.11. – Russland. Mit der Veröffentlichung in der „Rossijskaja Gaseta“ tritt ein Gesetz in Kraft, das die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen mit Strafe bedroht, wenn Sicherheitsinteressen des Staates betroffen sind. Nach Meinung von Bürgerrechtlern soll das Gesetz der Unterdrückung und Einschüchterung der Opposition dienen.

19.11. – Türkei. Justizminister Sadullah Ergin bestätigt Berichte über vertrauliche Kontakte mit dem inhaftierten Vorsitzenden der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalan. Ein PKK-Sprecher erklärt, die kurdische Frage könne durch einen Dialog gelöst werden: „Wir sind zum Dialog bereit.“

 – Kongo. Bewaffnete Milizen verdrängen die Regierungstruppen aus der Stadt Goma an der Grenze zu Ruanda und erobern auch den Flughafen. Der UN-Sicherheitsrat, der schon am 19.10. die „destabilisierenden Aktivitäten“ des Mouvement du 23. mars (M23) im Osten der Demokratischen Republik Kongo verurteilt hatte, ruft am 20.11. zu Sanktionen gegen die M23 auf. Ohne die beiden Nachbarländer Uganda und Ruanda namentlich zu nennen, fordert der Rat ein Ende der ausländischen Unterstützung der Rebellenbewegung. Jean-Marie Runiga, Chef von M23, deutet am 27.11. die Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Regierung, und zum Rückzug aus Goma an, um einer Forderung der Konferenz der Großen Seen, eines regionalen Machtblocks, nachzukommen.

22.11. – NATO. Generalsekretär Rasmussen befürwortet in einem Vortrag an der Universität Zürich eine engere Zusammenarbeit der Allianz mit der neutralen Schweiz. Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet, die Regierung habe Rasmussen bei einem Arbeitsbesuch in Bern Interesse an einem engeren Dialog signalisiert.

26.11. – Ungarn. Gegen den Widerstand der Oppositionsparteien beschließt das Parlament eine im In- und Ausland heftig kritisierte Wahlrechtsreform. Die Vorlage der Regierung Orban wird mit 251 gegen 91 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Die Wähler müssen sich künftig alle vier Jahre für die Stimmabgabe registrieren lassen, Wahlwerbung wird eingeschränkt, Werbespots im privaten Fernsehen sind verboten.

27.11. – Portugal. Mit Regierungsmehrheit und gegen das Votum der Opposition verabschiedet das Parlament den angekündigten Sparhaushalt für 2013 mit Steuererhöhungen und Einschnitten im Sozialbereich. Vor dem Parlamentsgebäude in Lissabon protestieren Tausende.

29.11. – UNO.  Palästina wird „Beobachterstaat“ (Non-Member Observer State) in den UN-Organen. Die Resolution „Der Status Palästinas in den Vereinten Nationen“ erhält 138 Stimmen, neun Gegenstimmen, darunter die USA und Israel, bei 41 Enthaltungen. Von den 27 Mitgliedern der Europäischen Union stimmen 14 dafür, nur Tschechien stimmt dagegen, zwölf EU-Mitglieder enthalten sich, darunter Deutschland. Vor der Abstimmung wirbt Palästinenserpräsident Abbas vor den Vertretern der 193 Mitgliedstaaten, die Versammlung sei aufgerufen, die „Geburtsurkunde“ eines Staates auszustellen. Die Resolution erinnert an den Antrag der Palästinenser auf Vollmitgliedschaft, der seit September 2011 dem Sicherheitsrat vorliegt (vgl. „Blätter“, 11/2011, S. 126).

30.11. – Bundestag. Das Parlament stimmt dem neuen 44 Mrd. Euro Hilfspaket für Griechenland mit 473 Stimmen bei 100 Gegenstimmen und elf Enthaltungen zu. Gegenstimmen kommen aus allen Fraktionen, die Linke stimmt geschlossen mit Nein. Bundesfinanzminister Schäuble verteidigt das Paket, sollte die Eurozone zerbrechen, würde dies eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen. Im kommenden Jahr werde der Bundeshaushalt mit Mindereinnahmen von 730 Mio. Euro belastet.

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In der Mai-Ausgabe analysiert Alexander Gabujew die unheilige Allianz zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping. Marion Kraske beleuchtet den neu-alten Ethnonationalismus und pro-russische Destabilisierungsversuche auf dem Balkan. Matthew Levinger beschreibt, wie Israel der Hamas in die Falle ging. Johannes Heesch plädiert für eine Rückbesinnung auf die demokratischen Errungenschaften der jungen Bundesrepublik, während Nathalie Weis den langen Kampf der Pionierinnen im Bundestag für mehr Gleichberechtigung hervorhebt. Und Jens Beckert fordert eine Klimapolitik, die die Zivilgesellschaft stärker mitnimmt.

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