Ausgabe Dezember 2012

Chronik des Monats Oktober 2012

1.10. – Syrien-Konflikt. Medien berichten über anhaltende heftige Kämpfe in der nordsyrischen Metropole Aleppo (vgl. „Blätter“, 11/2012, S. 125). Brände in der Altstadt hätten Teile des historischen Marktviertels erfasst und zerstört, das Teil der UNESCO-Liste geschützter Monumente ist. Der Diplomat Lamani, Vertreter der Vereinten Nationen in Damaskus, bedauert die tiefe Spaltung innerhalb der Anti-Assad-Opposition. Neben der überwiegend aus Deserteuren der Regierungstruppen bestehenden Freien Syrischen Armee gebe es viele Gruppen innerhalb und außerhalb Syriens, zwischen ihnen herrsche „großes Misstrauen“. – Am 4.10. billigt das türkische Parlament ein Gesetz, das Militäroperationen im Nachbarland Syrien zulässt. Anlass ist eine Verschärfung der Spannungen an der gemeinsamen Grenze. Nach dem Einschlag mehrerer syrischer Granaten auf türkischem Gebiet am 2.10. mit Toten und Verletzten, nimmt die türkische Armee Ziele in Syrien unter Beschuss. Das syrische Regime beschuldigt die Türkei, sie biete den Rebellen Unterschlupf und unterstütze den Terrorismus. Der türkische Generalstabschef Özel droht mit verstärkten Angriffen, falls der Granatenbeschuss über die Grenze anhalte. Ministerpräsident Erdogan bezeichnet Syrien als „blutendes Herz der Menschheit und der islamischen Welt“. – Am 10.10. zwingen türkische Kampfjets eine syrische Passagiermaschine auf dem Flug von Moskau nach Damaskus zur Landung auf dem Flughafen Esenboga. Ohne Einzelheiten zu nennen, erklärt Außenminister Davutoglu, man habe verbotene Fracht beschlagnahmt, die gemäß internationaler Regeln meldepflichtig sei. Syrien bezeichnet den Vorgang als feindlichen Akt und sperrt den Luftraum für türkische Flugzeuge. – Am 11.10. erläutert Außenminister Yang Jiechi gegenüber Bundesaußenminister Westerwelle in Peking die Haltung der Regierung. China plädiere für eine politische Lösung in Syrien und lehne Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Landes prinzipiell ab. – Am 21.10. ruft der Syrien-Beauftragte Brahimi in Damaskus beide Seiten zu einseitiger Waffenruhe während des islamischen Opferfestes Eid al-Adha Ende des Monats auf. Dies sei eine persönliche Initiative und nicht Teil eines politischen Plans. Brahimi trifft Präsident Assad und Vertreter der Opposition. Die Kämpfe lassen zwar vorübergehend nach, gehen jedoch nur wenig später mit unverminderter Intensität weiter.

 – Georgien. Das Oppositionsbündnis Georgischer Traum des Geschäftsmanns Bidsina Iwanischwili geht aus den Parlamentswahlen als stärkste Kraft hervor. Präsident Michail Saakaschwili, dessen Amtszeit erst 2013 abläuft, erkennt das Wahlergebnis an. Er werde mit einer neuen Regierung zusammenarbeiten, seine Partei, die Vereinigte Nationalbewegung, werde in die Opposition gehen. Iwanischwili wird vom Präsidenten als künftiger Regierungschef nominiert.

5.10. – Valetta-Gipfel. In der maltesischen Hauptstadt Valetta beraten Staats- oder Regierungschefs von fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frankreich, Italien, Malta, Portugal und Spanien) sowie von fünf Maghreb-Ländern (Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko und Tunesien). Der „5+5-Dialog“ strebt eine verstärkte Kooperation der Teilnehmer an, um für Stabilität und Sicherheit im Mittelmeerraum zu sorgen. Dies gelte umso mehr, so Regierungschef Lawrence Gonzi (Malta), als die politische Situation in einigen arabischen Ländern noch sehr labil sei.

 – Tadschikistan/Russland. Die Präsidenten Rahmon und Putin unterzeichnen in der Hauptstadt Duschanbe einen Vertrag, der der Russischen Föderation den Verbleib ihrer Militärbasis in der früheren Sowjetrepublik für weitere 30 Jahre sichert. Russland werde einige hundert Mio. Dollar in die Infrastruktur des Nachbarlandes investieren.

6.-7.10. – Pakistan. Tausende Bürger demonstrieren mit einem Protestzug gegen den zunehmenden Einsatz amerikanischer Drohnen auf pakistanischem Gebiet. Die Allianz der Regierung mit den USA sei der Hauptgrund für das Erstarken des Extremismus.

8.10. – EU. In Anwesenheit von Kommissionspräsident Barroso setzen die Finanzminister der 17 Euro-Staaten in Luxemburg den vereinbarten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Kraft. Wichtige Entscheidungen trifft künftig ein Gouverneursrat, dem die Finanzminister der beteiligten Staaten angehören. Der ESM verfügt über ein Stammkapital von 700 Mrd. Euro und kann bis zu 500 Mrd. an Krisenstaaten vergeben. – Am 10.10. heißt es in einem „Fortschrittsbericht“ der Kommission, Kroatien müsse einen Schlussspurt bei den notwendigen Reformen hinlegen, um Mitte 2013 das 28. EU-Mitglied zu werden. – Am 12.10. regt Ratspräsident Van Rompuy zur Vertiefung der Währungsunion eigene Organe für die Eurozone an. Parlamentspräsident Schulz warnt, nur das Europäische Parlament könne Kontrollorgan sein, es dürfe kein „Euro-Zonen-Parlament“ geben. – Am 18./19.10. befassen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs mit den Rechtsgrundlagen für die geplante Bankenaufsicht unter Federführung der Europäischen Zentralbank (EZB).

 – Ägypten. Präsident Mursi erlässt eine Amnestie für im Zusammenhang mit den Ereignissen während des Sturzes des früheren Machthabers Mubarak verhaftete und verurteilte Personen. – Am 12.10. kommt es auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu Auseinandersetzungen. Islamisten skandieren: „Das Volk will die Säuberung der Justiz“ und „Wir lieben Dich, oh Mursi“. Gegendemonstranten fordern „Nieder mit der Herrschaft der Muslim-Brüder“ und „Nieder mit dem Verfassungsrat“.

9.10. – Griechenland/BRD. Bundeskanzlerin Merkel hält sich zu Gesprächen mit der griechischen Regierung in Athen auf. Der Kurzbesuch findet unter extremen Sicherheitsbedingungen statt, in der Innenstadt demonstrieren Tausende gegen die von der „Troika“ verordneten rigiden Sparmaßnahmen und ein neues Kürzungspaket in Höhe von 13,5 Mrd. Euro. Die Kanzlerin wird mit den Worten zitiert: „Ich wünsche mir, dass Griechenland in der Eurozone bleibt.“

10.10. – Tschechien/BRD. Bundespräsident Gauck macht seine Antrittsvisite in der benachbarten Tschechischen Republik. Neben politischen Gesprächen in Prag besucht der Bundespräsident auch Lidice. Nach einem Attentat auf den Reichsführer-SS Reinhard Heydrich im Jahre 1942 hatten die Nationalsozialisten die männlichen Bewohner des Dorfes in Mittelböhmen erschossen, Frauen und Kinder verschleppt und die Häuser dem Erdboden gleichgemacht.

12.10. – UNO. Der Sicherheitsrat unterstützt mit Resolution 2071 (2012) die Vorbereitung eines möglichen Militäreinsatzes, um den Einfluss terroristischer Gruppen im Norden Malis einzudämmen. Die Regierung des westafrikanischen Landes, so heißt es in New York, habe die Kontrolle über fast die Hälfte ihres Territoriums verloren. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Romano Prodi wird UN-Sondergesandter für die Sahel-Zone. – Am 18.10. wählt die Generalversammlung Argentinien, Australien, Luxemburg, die Republik Korea (Südkorea) und Ruanda in den Sicherheitsrat für die Jahre 2013/2014; Deutschland, Indien, Kolumbien, Portugal und Südafrika scheiden Ende d.J. aus. – Am 13.10. übt der türkische Regierungschef Erdogan Kritik an der gegenwärtigen Zusammensetzung des Sicherheitsrates und am Verhalten der Veto-Mächte: „Wir haben die Welt der Gnade von fünf ständigen Mitgliedern ausgeliefert. Was immer sie sagen, geschieht.“ Ohne Russland und China namentlich zu nennen, fügt Erdogan hinzu, wenn der Rest der Welt weiterhin auf ein oder zwei ständige Mitglieder warte, „werden die Folgen für Syrien sehr gefährlich sein“.

 – Bundesrat. Die Länderkammer verabschiedet in Berlin einstimmig das Gesetz über die innerdeutsche Umsetzung des EU-Fiskalpakts. Kernelement ist die Verpflichtung, das gesamtstaatliche Defizit auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen.

15.10. – Philippinen. Beauftragte der Regierung und der im Süden des Landes operierenden Rebellenbewegung „Moro Islamic Liberation Front“ (MILF) unterzeichnen einen Friedensvertrag, der den Weg für einen endgültigen und dauerhaften Frieden in Mindanao ebnen und einen Schlussstrich unter den rund 40jährigen bewaffneten Konflikt ziehen soll. Vorgesehen ist die Errichtung einer halbautonomen Region in den mehrheitlich muslimischen Teilen Mindanaos. Die Kontrolle über Verteidigung sowie die Außen- und Währungspolitik verbleibt bei der Zentralregierung. An der Unterzeichnungszeremonie nehmen Präsident Benigno Aquino und der MILF-Führer Ebrahim Murad teil.

 – Großbritannien. Premierminister Cameron und der „Scottish First Minister“ Salmond einigen sich in Edinburgh auf ein Referendum über Austritt oder Verbleib Schottlands als Teil des Vereinigten Königreichs. Vermutlicher Termin: Oktober 2014. Nach Umfragen sind weniger als 30 Prozent der Schotten für eine Abspaltung von Großbritannien. – Am 31.10. muss Premierminister Cameron eine Niederlage hinnehmen. Eine Mehrheit des Unterhauses (307:294) fordert die Regierung auf, beim Gipfel am 22. November d.J. auf einer realen Kürzung der Mittel zu bestehen und anderenfalls ein Veto gegen den EU-Haushalt einzulegen.

16.10. – Kuba. Eine Verordnung im Amtsblatt enthält neue Regelungen für Auslandsreisen der Bürger. Künftig wird für die Ausreise nur ein gültiger Pass und ein Visum für das Zielland benötigt. Die Aufenthaltsdauer im Ausland kann bis zu 24 Monate betragen. Einschränkungen gelten für bestimmte Berufsgruppen, um das geistige Kapital des Landes zu schützen. Auch die temporäre Rückkehr von Exilkubanern soll erleichtert werden.

18.10. – Bundestag. Während der Debatte über den bevorstehenden EU-Gipfel (18./19.10.) treffen Bundeskanzlerin Merkel und der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück aufeinander. Die Kanzlerin befürwortet erneut einen Verbleib Griechenlands im Euroraum, lehnt eine Vergemeinschaftung der Schulden ab und setzt sich für die Schaffung eines Fonds zur Unterstützung von Reformen in den Krisenstaaten ein. Steinbrück übt Kritik, Merkel habe Deutschland in die Isolation geführt: „Sparen, sparen, sparen“ allein helfe nicht, notwendig seien Wachstumsimpulse und historisches Verantwortungsgefühl. Die Euro-Rettung werde noch viel mehr kosten, dies müsse die Bundeskanzlerin der Bevölkerung endlich sagen. – Am 24.10. wird in Berlin das nach einem Bundestagsbeschluss von 1992 errichtete Mahnmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht. Die künftige Betreuung der Gedenkstätte südlich des Reichstagsgebäudes soll die „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ übernehmen.

23.10. – Naher Osten. Als erstes Staatsoberhaupt seit der Machtübernahme der radikal-islamischen Hamas besucht der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani, den Gazastreifen. Der Scheich überquert, von Ägypten kommend, den Grenzübergang Rafa, wo er von Hamas-Regierungschef Ismail Haniya begrüßt wird. Katar sagt Hilfszahlungen in Höhe von 250 Mio. Dollar zu. Die PLO übt Kritik, die Vertiefung der Spaltung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland sei „sehr gefährlich“.

 – Russland. Die Oppositionsbewegung gibt die Zusammensetzung eines Koordinierungsrates bekannt. An der Spitze der 45 Mitglieder stehe der Anti-KorruptionsAktivist und Anwalt Alexej Nawalny, der bei einer Wahl im Internet die meisten Stimmen erhalten habe.

26.10. – Italien. Sechs Jahre nach Beginn des Verfahrens verurteilt ein Mailänder Gericht den ehemaligen Regierungschef Silvio Berlusconi wegen Steuerhinterziehung zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Außerdem wird dem Politiker die Ausübung öffentlicher Ämter untersagt. Berlusconi (zum Rücktritt vgl. „Blätter“, 1/2012, S. 126), der Berufung ankündigt und offiziell die Spitzenkandidatur seiner Partei „Popolo della Liberta“ (PdL) aufgibt, bezichtigt Bundeskanzlerin Merkel und den früheren französischen Präsidenten Sarkozy des Rufmordes. Beide hätten ihn seinerzeit zum Rücktritt gezwungen.

29.10. – Niederlande. Die Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) des amtierenden Ersten Ministers Mark Rutte und die Partij van de Arbeid (PvdA) mit ihrem Vorsitzenden Diederik Samsom einigen sich auf eine Koalition; beide Parteien verfügen nach den Parlamentswahlen vom 12. September d.J. über die Mehrheit in der Zweiten Kammer. Die Koalitionsvereinbarung sieht Einsparungen im Haushalt um rund 16 Mrd. Euro bis 2017 vor, Beiträge zur Krankenversicherung sollen neu berechnet und die Dauer der Arbeitslosenhilfe verkürzt werden. Weitere Einsparungen betreffen die Entwicklungshilfe. Rutte bleibt Regierungschef.

31.10. – BRD/Türkei. Ministerpräsident Erdogan wirbt in Berlin bei Bundeskanzlerin Merkel für eine Vollmitgliedschaft seines Landes in der Europäischen Union und für einen verbindlichen Zeitplan. Beitrittsdatum könne 2023 sein, das 100. Jubiläum der Gründung der Türkischen Republik. Die Bundeskanzlerin wiederholt, man werde ehrlich und „ergebnisoffen“ weiter verhandeln. Unmittelbarer Anlass für den Besuch Erdogans ist die Eröffnung der neuen Botschaft in der deutschen Hauptstadt, künftig die größte Botschaft der Türkei im Ausland.

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