Ausgabe März 2013

Das böse Erwachen: Aufstieg und Fall der Mittelschicht

Jeder Möchtegern-Populist gibt heute vor, die „Mittelschicht“ zu verteidigen. Dabei herrscht keinerlei Einvernehmen darüber, was der Begriff überhaupt bedeutet.

Schauen wir nur auf die letzten Jahre: Da wurde die middle class in den Vereinigten Staaten abwechselnd so definiert, als sei buchstäblich jede und jeder gemeint – oder aber „jedermann“ abzüglich der 15 Prozent, die unter der offiziellen Armutsgrenze leben, oder aber umgekehrt abzüglich der allerreichsten Amerikaner. Das Department of Commerce verzichtet inzwischen sogar ganz auf einkommensbezogene Definitionsversuche. 2010 verkündete es in einem Report, middle-class families seien „eher durch ihren Erwartungshorizont als durch ihr Einkommen“ geprägt: „Mittelschichtfamilien erstreben ein Eigenheim, ein Auto, Hochschulausbildung für ihre Kinder, gesicherte Gesundheits- und Altersversorgung sowie gelegentliche Familienurlaube“[1] – eine Definition also, die so gut wie niemanden ausschließt.

Die Denunziation des Klassenbegriffs

Doch nicht nur der Begriff der middle class, schon der Klassenbegriff als solcher wirft Probleme auf – besonders in Amerika, wo jeder Hinweis auf die unterschiedlichen Interessen unterschiedlicher Beschäftigten- und Einkommensgruppen damit rechnen muss, als Klassenkampf oder class warfare denunziert zu werden.

Sie haben etwa 3% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 97% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (9.50€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Mai 2024

In der Mai-Ausgabe analysiert Alexander Gabujew die unheilige Allianz zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping. Marion Kraske beleuchtet den neu-alten Ethnonationalismus und pro-russische Destabilisierungsversuche auf dem Balkan. Matthew Levinger beschreibt, wie Israel der Hamas in die Falle ging. Johannes Heesch plädiert für eine Rückbesinnung auf die demokratischen Errungenschaften der jungen Bundesrepublik, während Nathalie Weis den langen Kampf der Pionierinnen im Bundestag für mehr Gleichberechtigung hervorhebt. Und Jens Beckert fordert eine Klimapolitik, die die Zivilgesellschaft stärker mitnimmt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Kitas in der Krise, Wirtschaft in Gefahr

von Uta Meier-Gräwe

Seit über zehn Jahren schon haben Familien hierzulande einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige. Doch was einst dazu gedacht war, Familien den Alltag zu erleichtern, wird in der Praxis längst nicht überall eingelöst.

Ein Gewerkschaftsintellektueller der besonderen Art

von Hans-Jürgen Urban

In der aufgeregten Debatte um kulturelle Identitätspolitik trat der Sozialphilosoph und Ökonom Amartya Sen mit der These hervor, dass alle Menschen nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Identitäten und Loyalitäten besitzen. Diese multiple Ausstattung beruhe darauf, dass alle Individuen unterschiedlichen sozialen Gruppen und kulturellen Milieus zugleich angehörten.