Ausgabe Juni 2012

Das Jahrhundertbuch zum Waffenhandel

Bild: Cover

Am 5. April verurteilte ein New Yorker Richter den bekannten russischen Waffenhändler Viktor But zu 25 Jahren Gefängnis. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges hatte But Waffen aus dem Ostblock in fast jedes Krisengebiet der Welt geliefert. Seine Verurteilung, die eigentlich nach einer guten Nachricht klingt, enthüllt der südafrikanische Autor Andrew Feinstein in der „Zeit“ als Heuchelei: Denn Viktor But war, wie Feinstein schreibt, für die Internationale der Waffenstaaten und Waffenhändler nicht mehr nützlich. Deshalb ließ man ihn verschwinden.[1]

Diese und ähnliche Verwicklungen beschreibt Andrew Feinstein auch in seinem neuen Buch „Waffenhandel“. Denn von dem „globalen Geschäft mit dem Tod“, so der Untertitel des Bandes, profitieren bei weitem nicht nur Schurken wie Viktor But. Auf über 700 Seiten Text und stattlichen hundert Seiten detaillierter Anmerkungen zeigt Feinstein auf, wie der Waffenhandel die Welt verdorben hat.

Das wahrscheinlich eindrucksvollste Kapitel, die „Saudi Connection“, im zweiten Abschnitt des Buches, beginnt mit dem Besuch von Margaret Thatcher in Riad. Dabei habe sie einen so tiefen Knicks gemacht, „als wollte sie auf die Knie fallen“. Die Eiserne Lady, von der der saudische Prinz Bandar sagte, sie sei „ein ganzer Kerl“, ließ sich selten zu solch unterwürfigen Gesten hinreißen wie dieser. Bei ihrer Ankunft 1985 in Saudi-Arabien, einem Land, in dem Frauen keine Autos fahren und nicht neben Männern auf einer Bank sitzen dürfen, war sie, die Iron Lady nur zu gern bereit, sich vor der königlichen Familie in Bescheidenheit zu üben. Aber warum?

Die Saudis standen damals vor dem Abschluss des berüchtigten Al-Jamamah-Vertrags, der den gerade erst privatisierten British-Aerospace-Konzern vor dem Kollaps bewahren sollte – und zwar mit dem größten Rüstungsgeschäft aller Zeiten. Der Vertrag brachte dem Konzern 43 Mrd. Pfund ein, für die Lieferung von 96 Jagdbombern, 24 Abfangjägern, 50 BAE-Hawks, 50 Flugzeugen sowie speziellen Marineschiffen, Raketen, Granaten und dazugehöriger Infrastruktur. Als Gegenleistung lieferte Saudi-Arabien 400 000 Barrel Öl pro Tag.

Es geht eben nichts über die unglaubliche Bigotterie des saudischen Staatsunternehmens, das aufgrund der weiter sprudelnden Ölquellen die ganze Welt an der Nase herumführt und dabei gerne die USA gegen Israel, Israel gegen Frankreich und Frankreich gegen Großbritannien ausspielt.

Das damalige Geschäft war auch ein Racheakt gegenüber den USA. Denn die Saudis hatten vergeblich versucht, von den Vereinigten Staaten F-15-Kampfflugzeuge zu erwerben, doch die jüdische Lobbyorganisation AIPAC verhinderte das Geschäft. Das Vereinigte Königreich musste deshalb nur noch Frankreich ausstechen, das 1984 kurz vor dem Vertragsabschluss mit Saudi-Arabien stand. Doch Thatcher bekam den Zuschlag – für das Geschäft unterbrach die „Eiserne Lady“ sogar ihren Urlaub in Salzburg. Der Saudische Prinz Bandar überbrachte ihr persönlich ein Schreiben von König Fahd, in dem dieser sich für den Kauf der Tornados aussprach. Thatchers Reaktion war: „Abgemacht!“ Die Korruption, die sich im Zuge des Waffendeals ungeniert und in verschiedenen Formen ausgebreitet hatte, nahm sie bereitwillig in Kauf.

„Waffensupermacht“ USA

Der Al-Jamamah-Vertrag ist nur ein Beispiel unter vielen, die eines zeigen: Vom weltweiten Handel mit Waffen profitieren zuallererst die Industriestaaten. Nicht umsonst widmet Feinstein den USA ein eigenes Kapitel unter dem Titel „Waffensupermacht“. Feinstein hält fest: Das Pentagon kennt seit mehr als 20 Jahren keine Buchprüfung. Erst kürzlich habe es erklärt, es werde bis 2017 dafür gerüstet sein. Eine parteiübergreifende Gruppe von Senatoren hält dies dennoch nicht für möglich. Feinstein: „Würden in einem Entwicklungsland solche Zustände herrschen, so erhielte es keine US-Entwicklungshilfe“.

Den tragischen Höhepunkt im Dickicht des US-amerikanischen Beschaffungswesens bildete ein Munitionskauf für die afghanischen Sicherheitskräfte. Zu diesem Zweck heuerte das Pentagon die Firma „AEY“ in Miami Beach an, das von dem mehrfach vorbestraften Efraim Diveroli geführt wird. Diveroli wollte die Munition so billig einkaufen wie möglich. Er fand heraus, dass die Preise in Albanien am günstigsten waren. In dem Land wimmelte es von Waffen, ein großer Teil war aus chinesischer und vorher sowjetischer Produktion. Unter abenteuerlichen Bedingungen wurde im albanischen Gerdec eine Fabrik aufgebaut, um diese Munition umzuwidmen. Auf diese Weise machte Diveroli ein einträgliches Geschäft: Es gelang ihm, für 100 Projektile einen Preis von 22 US-Dollar zu vereinbaren. Allerdings musste die Munition neu verpackt werden, denn die Händler wussten, dass die Projektile für Afghanistan teilweise 40 Jahre alt, schadhaft und unbrauchbar waren. Zumeist ungelernte Arbeiter holten also in Gerdec 60 Mio. Projektile aus jahrzehntealten Kisten, reinigten und verpackten sie neu. Am 15. März 2008 kam es bei diesen Arbeiten zu einer schweren Explosion: 26 Personen starben, mehr als 300 Menschen wurden verletzt, 318 Häuser vollkommen zerstört, fast 400 weitere beschädigt.

Der globalisierte Handel mit dem Auslagern von Firmen und Produktionen gebiert Skandale wie diesen, die hier in einer Fülle nebeneinander Platz haben, dass einem der Atem stockt.

Das Buch ist ein Kompendium des globalen Waffenhandels. Wie in einem Spiegel zeigt es die Realität der „westlichen“ Politik. Es ist von einer Dichte zuverlässiger Information, dass einem am Ende schier die Haare zu Berge stehen. Es sind wuchtige, glänzend recherchierte Kapitel. Man spürt, wie viel Kenntnis speziell der südafrikanischen und afrikanischen Waffenschmugglerwelt der Autor aus Kapstadt mitbringt. Das zeigt sich nicht zuletzt im Abschnitt über die aktuellen Schlachtfelder auch und gerade in Afrika.

In einem großen Kapitel über Südafrika blickt Feinstein, jüdischer Südafrikaner und einst begeisterter Anhänger von Nelson Mandela, auf jene Zeit, in der bereits nicht mehr Mandela, sondern Thabo Mbeki das Sagen hatte. Die schlimmsten Waffendealer gaben sich damals in Südafrika ihr Stelldichein, darunter der Zimbabwer Jan Bredenkamp und der besagte Russe Viktor But. Zu dieser Zeit saß Feinstein als Abgeordneter des ANC im südafrikanischen Parlament und kämpfte unermüdlich gegen ein gewaltiges Waffengeschäft der Regierung Mbeki.

Nach all den vergeblichen Versuchen, der Bestechlichkeit auf die Spur zu kommen, habe er festgestellt: Der ANC – also die Partei Mandelas – habe bereits früh seinen moralischen Kompass verloren. Sehr viele Waffenkäufe seien getätigt worden, „nicht weil irgendjemand diese Waffen gebraucht hätte, sondern wegen der Provisionen, die es dafür gab“, zitiert der Autor aus einen Bericht des Industriellen Donald Stokes aus dem Jahr 1965.

Ebensolche Provisionen und Schmiergelder hatten auch den Waffenvertrag der Regierung Mbeki befördert. Doch konnte Feinstein nichts verhindern. Bis Ende 2011 zahlte Südafrika für den Waffenvertrag mit der British Aerospace Systems und der Thomson-CSF 71 Mrd. Rand. Diese Zahl „übersteigt bei weitem die Summen“, schreibt Feinstein, die für weit dringendere Anliegen ausgegeben wurden. Bis 2008 gab Südafrika nur dürftige 8,7 Mrd. Rand für die Bekämpfung von AIDS aus. Anders gesagt: Jedem Rand, den die Regierung für einen HIV-infizierten Südafrikaner ausgab, standen 7,63 Rand für das Waffengeschäft gegenüber. „Ein Großteil dessen, was in Südafrika schiefläuft, hat seinen Ursprung in diesem Waffenvertrag“, so Feinstein. Südafrika hätte mit dem Geld für das Waffengeschäft zwei Mio. Häuser bauen oder 1,1 Millionen Wartungsarbeiter und Raumpfleger ein Jahr lang beschäftigen können, das wären 100 000 Arbeitsplätze über zehn Jahre.

Feinstein kehrte schließlich dem ANC den Rücken und wurde zu einem scharfen Kritiker der Partei. In seinem Buch „After the Party“ kritisierte er die Korruption im ANC und im südafrikanischen Staatsapparat. Kurz nach dessen Erscheinen im Jahr 2001 musste er das Land verlassen. Die Profiteure des Waffengeschäfts hingegen blieben: Auch Jacob Zuma wurde damals im Zusammenhang mit dem Waffengeschäft wegen Bestechlichkeit entlassen, später allerdings rehabilitiert. Heute regiert er das mächtigste Land auf dem Kontinent. Zur Verantwortung wurde er bisher nicht gezogen.

Im Schlusskapitel sucht Feinstein nach einem Ausweg: „Der Welt Frieden bringen, aber wie?“ lautet dessen Titel. Einen Hinweis gibt er bereits zu Beginn des Buches: „Sage mir, wer vom Krieg profitiert, und ich sage Euch, wie man den Krieg beendet“, zitiert er den US-Autokönig Henry Ford. Doch insgesamt bleibt Feinstein pessimistisch.

Dafür spricht auch ein Blick in die Geschichte: Wenn man bedenkt, dass das Ende des Kalten Krieges nicht die beschworene „Friedensdividende“, – also sinkende Rüstungsausgaben infolge von Abrüstungsverträgen –, sondern korruptionsbeladene Aufträge für die westliche Rüstungsindustrie hervorgebracht hat, erscheint selbst das historische Datum in einem partiell anderen Licht: Die Forderung, Gewehre und Munition der Nato-Staaten und ihrer neuen Beitrittsländer von Polen bis Rumänien zu vereinheitlichen, war von der Rüstungsindustrie befeuert.

Trotz dieses Pessimismus liest sich das Buch wie ein Appell an die Regierungen der Industrieländer, den florierenden Waffenhandel einzudämmen. Es sollte daher am besten, zumindest in einzelnen Kapiteln, dem Waffenexportausschuss der Bundesregierung und dem Bundestagsausschuss vorgelesen werden. Eine stärkere Abschreckung kann man sich kaum denken. 

Andrew Feinstein: Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod. Hoffmann und Campe 2012, 847 Seiten, 29,99 Euro. 

[1] Vgl. Andrew Feinstein, Händler des Todes, in: „Die Zeit“, 13.4.2012.

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