Ausgabe November 2012

Der neue Krieg der Drohnen

Fragt man nach dem militärischen Vermächtnis der ersten Amtszeit Barack Obamas, stößt man vor allem auf eines – die massive Ausweitung des Drohnenkriegs. Zwar wurden die ersten Toten dieses Krieges schon am 4. Februar 2002 notiert – als eine US-amerikanische Predator-Drohne mit einer Rakete einen Autokonvoi in Afghanistan traf, unter dessen Insassen ein Al-Qaida-Anführer vermutet worden war. In der Folge kam es sporadisch zu Tötungsaktionen durch amerikanische und israelische Militäreinheiten im Libanon, Jemen, Pakistan und in verschiedenen anderen Ländern. Mittlerweile hat sich jedoch aus gelegentlichen Hinterhalten ein industrialisierter Krieg entwickelt: „Im Verlauf einer Dekade sind aus der Handvoll Drohnen, mit denen die USA in die Kriege in Afghanistan und im Irak zogen, weit über 10 000 Roboter im ständigen Einsatz geworden“, so der Hamburger Soziologe und Robotikexperte Hans-Arthur Marsiske in seinem richtungweisenden Buch „Kriegsmaschinen“.[1]

Obamas Waffe der Wahl

Zur Waffe der Wahl wurden Drohnen erst unter dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama. Das unabhängige Bureau of Investigative Journalism in London schätzt auf seiner Internetseite die Zahl der gezielten Angriffe auf Menschen seit 2004 auf 337 – davon entfallen 288 auf Obamas Amtszeit.[2] Diese ohne Gerichtsbeschluss ausgeführten gezielten Tötungen vermeintlicher Terroristen in Ländern wie Pakistan oder Somalia – mit denen sich die USA nicht im Kriege befinden – überschreiten ethische Grenzen und sind völkerrechtlich höchst umstritten. Dieser politische Graubereich dürfte Obama veranlasst haben, den Geheimdienst CIA mit den Killerdrohnen-Einsätzen zu betrauen und nicht reguläre Truppen.

Die in Tampa/Florida gesteuerten Drohnen treffen im pakistanischen Grenzland zu Afghanistan, in dem zurzeit die meisten Drohnenangriffe stattfinden, nicht allein diejenigen, die getroffen werden sollten. Das Bild vom chirurgischen Eingriff trüge, auch Sensoren und Bildschirme können den Menschen am Drücker der Drohne täuschen, so die Medienwissenschaftlerin Jutta Weber.[3] Unter den Opfern von Drohnenangriffen fanden sich seit 2004 laut der investigativen Journalisten in London auch mehrere hundert Zivilisten und 175 Kinder.

Gewiss, noch entscheiden in den vielen Kriegen auf unserem Globus Menschen über Leben und Tod, nicht Roboter. Noch werden die heute eingesetzten und uns bald als primitiv erscheinenden unbemannten „Drohnen“ von Offizieren in einer Bodenkontrollstation gelenkt, und bislang werden die fliegenden Kriegsmaschinen überwiegend zur Aufklärung eingesetzt. Noch stehen wir also am Anfang: Erst wenige Armeen setzen unbemannte Flugkörper ein, andere Länder entwickeln noch, beobachten den „Markt“ oder kaufen – im Militärjargon – fehlende Fähigkeiten dazu.

So plant inzwischen auch die Bundeswehr den Ankauf bewaffneter Drohnen aus den USA und in der Deutschen Marine werden mehr als drei Meter lange „Camcopter S-100“ der österreichischen Hochtechnologiefirma Schieber für die neuen Korvetten K130 getestet, die speziell auf globale Einsätze zugeschnitten sind.

Mit den Drohnen-Plänen der Bundeswehr hat der Krieg der Zukunft somit auch in Deutschland begonnen. Dieser findet am Bildschirm statt: „Es sind Kriege, bei denen nicht nur der oberste Kriegsherr, sondern auch die Soldaten selbst zu Beobachtern, höchstens zu Kontrolleuren mutieren“, schreibt der Philosoph Rafael Capurro.[4] Die Angreifer sitzen vor Computerbildschirmen in ihren geschützten Hauptquartieren und betrachten die Bilder, die eine unbemannte Drohne aus hunderten oder tausenden Kilometern Entfernung sendet; ist das Ziel erfasst, gibt der Soldat das Kommando: „Fire!“. Schießen wird ein Roboter, sterben werden echte Menschen.

Paul Russmann, Friedensreferent der Ökumenischen Aktion „Ohne Rüstung Leben“, befürchtet, dass sich „eine Playstation-Mentalität des Tötens herausbildet“. Doch für Minister de Maizière sind Drohnen nur Flugkörper ohne Piloten an Bord: Sie „dienen dem Schutz unserer Soldaten“.[5] Gar so harmlos, wie sie der CDU-Politiker darstellt, sind die ferngesteuerten Flugroboter jedoch nicht. Die fehlende Gefahr für die eigenen Leute könnten Regierungen und Generäle schnell zu einem leichtfertigen Einsatz der Killerdrohnen verleiten – die Hemmschwelle für einen Kriegseinsatz sinkt. Hinzu kommen augenfällige militärische Vorteile: Im Unterschied zu klassischen Raketen und Torpedos, mit denen de Maizière Drohnen vergleicht, sind diese wiederholt einsetzbar. Sie können jederzeit zum Ausgangspunkt zurückfliegen. Und im Unterschied zum Sprinter „Flugzeug“ sind sie Marathonläufer: Die von der Bundeswehr eingesetzte Aufklärungsdrohne „Heron 1“ eines israelischen Herstellers kann 24 Stunden ununterbrochen in der Luft bleiben.

Kriege der Zukunft

Auch wenn die neue Dimension der Kriegsführung erst langsam ins öffentliche Bewusstsein dringt, hat die unbemannte Luftfahrt Tradition: Bereits im Ersten Weltkrieg dienten mit Kameras ausgestattete Ballons den Militärs, um sich ein Lagebild von der feindlichen Front zu machen; in den 1930er Jahren setzte die Royal Air Force ferngesteuerte Kleinflugzeuge als Zieldrohne ein, die bemannte Jagdflugzeuge zu Übungszwecken abschossen. Seit den 70ern benutzt die israelische Armee UAV (engl., Unmanned Aerial Vehicle)[6], um feindliche Raketenstellungen auszuspionieren. Auch private Militärfirmen, die Polizei und die boomende Branche der privaten Sicherheitsdienste nutzen inzwischen Drohnen. Seit den 90er Jahren setzt auch die Bundeswehr Aufklärungsdrohnen ein.

Aus den Aufklärern wurden Tötungsmaschinen – und Staatsgeheimnisse ersten Ranges. Was die Sicht auf das neue Kampffeld in medialen Nebel hüllt: Kenner der Szene berichten, dass sie ungern ihr ganzes Wissen preisgeben, gefährden sie doch sonst ihre lukrativen Jobs in militärischen Fachzeitschriften und Instituten; Wissenschaftler, die sich mit Robotik oder „künstlicher Intelligenz“ befassen, fürchten dagegen um den zivilen Ruf ihres Forschungsfeldes, wenn sie über Militaria berichteten.

Ähnelten die ersten Drohnen noch kleinen Raketen, sehen die neuesten Typen inzwischen wie ausgewachsene Flugzeuge aus. Angetrieben meist von einem Propeller sind sie jedoch im Vergleich zu Kampfjets langsamer und leichter zu orten. Sie lassen sich also bislang nur in asymmetrischen Kriegen und damit gegen technisch schwach gerüstete Gegner einsetzen.

Das neue Wettrüsten

Doch im Sommer startete die erste amerikanische Tarnkappen-Kampfdrohne „X-47B“ zu einem Testflug, sie wurde von den Kontrollsystemen eines Flugzeugträgers gesteuert – vorerst allerdings nur an Land. Als nächstes sollen Drohnen die gegnerische Luftverteidigung ausschalten und dann auch gepanzerte Stellungen zerstören, um schließlich eines Tages gegen ihresgleichen zu „kämpfen“ – selbstständig und ganz ohne Fernsteuerung. Das US-Verteidigungsministerium erwartet in seiner Roadmap, dass bereits im Laufe der 2030er Jahre luftkampffähige, vollkommen eigenständig operierende Roboterflugzeuge starten werden. Die US-Marine – Geopolitiker und Ökonomen wie der Autor dieses Beitrages halten das 21. Jahrhundert für „das maritime Jahrhundert“ – setzt ihren Investitionsschwerpunkt seit 2010 auf die Entwicklung unbemannter Mehrzweckflugzeuge für seine Flugzeugträgerflotten. Die Investitionen sollen bis zum Jahr 2020 auf rund sieben Mrd. US-Dollar pro Jahr ansteigen.[7] Das ist das Vielfache dessen, was andere Marinen investieren können oder bislang wollen. Damit hat endgültig ein neues Wettrüsten eingesetzt – in China, Russland und auch der Europäischen Union. Verteidigungsminister de Maizière sprach sich im August erstmals öffentlich für die Anschaffung und den Einsatz von bewaffneten Drohnen bei der Bundeswehr aus: „Flugzeuge dürfen Waffen tragen. Warum also sollen unbemannte Flugsysteme das nicht dürfen?“[8] Die in Israel geleaste „Heron“ aufzurüsten, gilt in Berlin als politisch zu heikel, also sollen als Übergangslösung amerikanische „Predator“ besorgt und bewaffnet werden.

Aber „langfristig müsse Europa eigene Produkte beschaffen“, heißt es im Bundesverteidigungsministerium. Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien arbeite man daran, eine europäische Drohne zu entwickeln, die „hoffentlich“ in den Jahren nach 2020 einsatzfähig sei.[9] Zurzeit laufen Verhandlungen zwischen Berlin, Paris und London. „Der Durchbruch für die europäische Drohne steht bevor“, sagt Stefan Zoller, Chef der Rüstungssparte der deutsch-französischen EADS („Airbus“); spätestens Anfang 2013 werde es eine klare Absichtsbekundung der Regierungen geben und das Aufrüstungsprojekt in eine „industrielle Struktur gegossen“.[10] Wie die multifunktionalen EADS-Drohnen eingesetzt würden, so Zoller, sei dann Sache der Nutzer.

Auch Demokratien sind gefährdet

Paul Russmann von der Ökumenischen Aktion findet Zollers Position verantwortungslos und zynisch, entsprechend dem Motto: „Nach mir die Sintflut!“ Drohnen dagegen kennen weder Zynismus oder Hass noch Rache. Roboter könnten also die besseren Soldaten sein, in der Luft, im Wasser und an Land. Trotzdem sollten Kriegsroboter erst zum Einsatz kommen, wenn sie weniger Fehler als Menschen machten, etwa beim Erkennen von Verwundeten oder Zivilisten, fordert der Informatiker Ron Arkin in dem Sammelband „Kriegsmaschinen“. Hans-Arthur Marsiske ist da pessimistischer: Gerade demokratische Staaten, die für ihre Waffen und Kriege auf eine breite Unterstützung in Medien und Bevölkerung angewiesen sind, setzten auf die vermeintlich klinisch reinen Drohnen. Roboter könnten Tote im eigenen Lager und damit schmutzige Schlagzeilen verhindern.

Technisch ist schon Vieles möglich – rechtlich ist dagegen noch vieles unklar. So erfüllen Drohnen beispielsweise auf hoher See nicht alle Bedingungen für die Teilnahme am allgemeinen Flugverkehr.

Den Roboterkrieg durch rechtzeitige Rüstungskontrollabkommen bannen will das weltweit aktive International Committee for Robot Arms Control. Es fordert eine quantitative wie qualitative Beschränkung der Roboteraufrüstung. Schließlich zeichnet sich schon heute ab, dass künftige Drohnen-Generationen nicht mehr von Menschen und Bodenkontrollstationen gesteuert, sondern ihre Angriffe autonom ausführen werden. Es ist also höchste Zeit für eine breite öffentliche Diskussion über die politischen und ethischen Dimensionen des neuen Wettrüstens.

 

[1] Vgl. Rafael Capurro und Hans-Arthur Marsiske, Der Moment des Triumphs. Ein E-Mail-Dialog über ein Bild, in: Hans-Arthur Marsiske (Hg.), Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz, Hannover 2012, S. 11-30, hier: S. 22.

[2] Laut Stand von Juli 2012.

[3] Vgl. Jutta Weber, Vorratsbomben im Himmel. Über digitalen Terror, unsichtbare Opfer und die Rhetorik der Präzision, in: Marsiske, Kriegsmaschinen..., a.a.O., S. 31-54.

[4] Capurro/Marsiske, a.a.O., S. 22.

[5] Bundesministerium der Verteidigung, Pressemitteilung vom 6.8.2012.

[6] Es gibt eine Reihe weiterer Bezeichnungen für Drohnen – was die Unbestimmtheit ihrer anfänglichen Entwicklung illustriert.

[7] Vgl. „Marine-Forum“, 10/2010, S. 23-26 und 6/2012, S. 35/36.

[8] Bundesministerium der Verteidigung, Pressemitteilung vom 6.8.2012.

[9] Ebd.

[10] „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 11.7.2012.

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