Die deutsche SS-Großmutter

»Die Arier«: Mo Asumang konfrontiert sich und uns TV-Zuschauer mit der Ideologie von Neonazis und Rassisten

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Mo Asumang ist eine Deutsche mit dunkler Hautfarbe, die verstehen möchte, warum sie von Neonazis gehasst wird. Chris ist ein Neonazi mit heller Hautfarbe, der kein Neonazi mehr sein möchte und verstehen lernen will, wieso sich jemand wie Mo Asumang für ihn interessiert. Die Begegnung der beiden bringt in der Reportage »Die Arier« die stärkste, emotional berührendste Szene hervor. Bei ihrem ersten Treffen versteckt Chris sein Gesicht noch unter einer Basecap, traut sich nicht, Asumang anzusehen. Warum er aus der Szene aussteigen will, fragt ihn Asumang. Chris, der zu diesem Zeitpunkt die Herrenmenschenideologie noch wie ein Mantra herunterbeten kann, noch von den »Kameraden« spricht, wenn er über Neonazis redet, liefert eine bemerkenswerte Antwort: weil er nicht sein ganzes Leben lang kämpfen möchte.

Bei der zweiten Begegnung einige Monate später sitzen die beiden nebeneinander und blättern durch eine Art Filmtagebuch, das Mo Asumang im Laufe ihrer Recherchen angelegt hat. Fotos von Gesprächspartnern, aber auch Familienfotos von Asumang. Die Filmemacherin zeigt Chris das Foto ihrer deutschen Großmutter, bei der sie aufwuchs, zu der sie ein inniges Verhältnis hatte. Die Großmutter hat an Adolf Hitler geglaubt, arbeitete für die SS. Asumang hat dies erst vor einigen Jahren erfahren. »Das ist ja krass«, entfährt es Chris, und man merkt, dass da eine Angst verschwunden ist, die ihn jahrelang zum Hassenden gemacht hatte. Und man registriert, dass Mo Asumang genau auf diese Szene hinführen wollte: wenigstens einen aus der Gilde jener, von denen sie seit Jahren mit dem Tod bedroht wird, zu retten. Wer nur eine Seele rettet, hat die ganze Menschheit gerettet.

Bis es zu dieser Szene kommt, braucht Asumang allerdings gut eineinhalb Stunden. Vieles in ihrer Reportage ist bekannt, vorhersehbar und schwer zu ertragen. Das hasserfüllte Gegröle deutscher Neonazis etwa, das Gestammel von Burschenschaftlern über »deutsches Blut« oder die Sympathiebekundungen ganz normaler Passanten in der vorpommerschen Provinz für die NPD-Funktionäre vor Ort. Mo Asumang kann die Gedanken- und Gefühlspanzerung dieser Menschen nicht aufbrechen. Ein NPD-Mann erklärt ihr das Procedere ihrer »Rückführung« in »ein Land mit Multi-Kulti«. Kalt lächelnd versichert er ihr, dass sie selbstverständlich ihre Möbel mitnehmen dürfe. In diesen Momenten kann man Asumangs Freundin, die 89-jährige Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano verstehen, die sich zu Beginn des Films entrüstet: »Ich möchte gegen die Neonazis kämpfen, aber ich möchte mit ihnen persönlich nichts zu tun haben. Warum willst Du das?«

Auch die Erklärungen von Wissenschaftlern über die Herkunft des Begriffs »Arier« oder die Psychogramme, anhand derer der Kulturethiker Klaus Theweleit Neonazis analysiert, sind keine neuen Erkenntnisse. Denen, die sich stolz Arier nennen, mangelt es schlichtweg an Selbstbewusstsein, sagt Theweleit, und Arier, so erfährt der Zuschauer beim Besuch Asumangs in Iran, ist ein der Sprachgeschichte entlehnter Begriff, historisch bei Völkern im Orient verwurzelt und von Rassisten wie Nazis fälschlicherweise auf Weiße in Europa übertragen.

Um die Wirklichkeit hat sich Ideologie aber noch nie geschert und was das in der Praxis bedeutet, zeigt uns Asumang bei ihrem Trip in die USA. Sie trifft dort auf ein Mitglied des Ku-Klux-Klan, ein Bruder im Geiste deutscher NPD-Funktionäre. Die Weißen müssten in Abgrenzung zu Schwarzen und Juden ihren eigenen Staat aufbauen, fantasiert dieser. Phantasmen, die eine reale Gefahr ausstrahlen: Das Waffenarsenal der »Arier« in den USA ist dem ihrer deutschen Gesinnungsgenossen deutlich überlegen. Das musste auch ein FBI-Agent schmerzlich erfahren, der undercover in der US-Nazi-Szene arbeitete und heute um sein Leben fürchten muss. Auf das Konto der mehr als 1000 rechtsextremen Gruppierungen gehen zahlreiche Gewalttaten. Allein der »Arian Brotherhood« konnten in den vergangenen Jahren mehr als 300 Morde nachgewiesen werden.

Doch Rassismus ist auch ein Geschäft, mit dem sich gut Geld verdienen lässt. Asumang trifft den Radiomoderator und führenden rassistischen Ideologen der USA, Tom Metzger. Asumangs ghanaischer Vater, doziert Metzger im Gespräch mit der Reporterin, habe bei der Paarung mit ihrer Mutter die »guten Gene der Weißen entführt«. Metzger bittet Asumang, ihre Arme um einen Baum zu schlingen, um ihre Wurzeln zu spüren. Asumang tut das und umarmt zum Schluss auch noch den Moderator. »Hoffentlich hat das jetzt keiner gesehen«, sagt dieser zum Abschied. Es könnte ja schlecht für's Geschäft sein, denn Metzger betreibt seinen Radiokanal ja nicht nur aus ideellen Gründen.

Gut im Geschäft steht auch Axel Stoll. Der rechte Verschwörungstheoretiker verdient sein Geld u.a. durch den Verkauf von Büchern, in denen er erklärt, dass Arier von anderen Planeten stammen. Ab und an würden Ufos zu Besuch kommen, deren Signale aber nur Frauen mit langen Haaren verzerrungsfrei empfangen könnten. Mit einem krausen Lockenkopf gehe das ebenso wenig wie mit zotteligen Männerfrisuren, sagt er.

In solchen Szenen wird die Reportage unfreiwillig komisch. Dem Film tut das gut. Die ganzen 90 Minuten lang ließe sich das Gezeigte sonst nur schlecht ertragen.

ZDF, 5.5., 23.55 Uhr. Auf www.arte.tv kann die Reportage noch bis zum Montag in der Mediathek »Arte+7« abgerufen werden.

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