Wenn heute unter Eingeweihten von Tony Judt die Rede ist, wird das Bild des großen Historikers, der mit dem Erscheinen seiner Geschichte Europas endgültig aus dem engen Kreis der Fachwissenschaftler ins Rampenlicht einer internationalen Öffentlichkeit getreten war, unweigerlich von seinem tragischen Tod überlagert: Auf dem Höhepunkt seines Schaffens traf ihn die unheilbare Nervenkrankheit ALS und ließ seinen Körper rasant verfallen. Bei klarem Verstand konnte er zuerst die Tür nicht mehr öffnen, dann nicht mehr gehen und am Ende nur noch mit Hilfe technischer Apparate atmen.
Seine geplante – und in seinem Kopf längst existierende – Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts schien für immer verloren. Erst nach seinem Tod wurde nun ein Gesprächsbuch publiziert, das in gewisser Weise sowohl eine Autobiographie als auch Ersatz für das nicht mehr geschriebene Werk ist. Als sachkundiger Helfer erwies sich Timothy Snyder, Autor der eindrucksvollen Geschichtsdarstellung „Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin“. Am 5. Juli 2010 endet das Buch, einen Monat später das Leben des 62jährigen Tony Judt.
„Nachdenken über das 20. Jahrhundert“enthält neun aufschlussreiche Gespräche, beginnend jeweils mit einem autobiographischen Monolog von Tony Judt.