Das Prinzip "Good Governance" gilt seit langem für die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika
Illustation: Stephen Swierczyna
Hydra ist eine kleine griechische Insel, nicht weit von Athen entfernt. Fahnder der neu geschaffenen griechischen Steuerpolizei wollten hier einmal richtig durchgreifen. Als sie einen Tavernen-Besitzer erwischten, der keine Quittungen ausstellte und vermutlich Umsatzsteuer unterschlagen wollte, nahmen sie ihn kurzerhand fest. Auf der Wache erlebten sie dann ihr blaues Wunder. Wütende Inselbewohner versammelten sich vor der Polizeistation, kappten die Stromleitungen, attackierten und belagerten das Gebäude. Tagelang. Am Ende konnten erst Spezialkräfte aus Athen die unglücklichen Steuerfahnder befreien.
„Typisch griechisch“ lautete der Tenor vieler Leserkommentare, als die Meldung in Deutschland durch die Medien ging. Die Griechen seien eben notorische Steuerhi
e Steuerhinterzieher. Ähnlich sieht es offenbar auch Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), die jüngst klarstellte, dass sie mit den verarmten Griechen wenig Mitgefühl hat. Jetzt sei „Zahltag“, befand sie schroff, die Griechen sollten endlich ihre Steuern zahlen.Wenn das so einfach wäre! Tatsächlich könnte Griechenland mit einer besseren Steuermoral einen Teil seiner Finanzprobleme ohne fremde Hilfe lösen. Doch die Zahlungsbereitschaft ist in den vergangenen Jahren eher schlechter als besser geworden – nicht trotz, sondern wegen der durch die Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB durchgesetzten Programme. Die kleinen Geschäftsleute von Hydra wissen vermutlich sehr gut, dass die Steuerfahnder bei ihnen durchgreifen, während die großen Steuerhinterzieher – reiche Griechen, große Unternehmen – immer wieder davonkommen. Sicher wissen sie auch, dass in der Verwaltung noch immer jene Beamten sitzen, die ihre Gehälter durch Korruption aufstocken, während Millionen einfacher Leute ihre Jobs verlieren.Über das Scheitern des griechischen Sparprogramms wird von den Experten der Troika weiter hinter verschlossenen Türen verhandelt. Schon jetzt ist klar: Trotz der Kürzung von Renten und Gehältern, von Niedriglöhnen und Arbeitslosenhilfen, von Bildungs- und Gesundheitsbudgets sind nicht nur die Schulden, sondern auch die Grundprobleme des griechischen Staates eher größer als kleiner geworden. An der endemischen Korruption, der ebenso aufgeblähten wie ineffizienten Verwaltung und der Steuerflucht hat sich wenig geändert. Der griechische Klientel-Staat – seit jeher von großer sozialer Ungerechtigkeit geprägt – wurde durch die harten Sparmaßnahmen nur noch ungerechter. Kein Wunder, dass alle versuchen, ihr Einkommen vor diesem Staat in Sicherheit zu bringen.Knapp vor BotswanaDie europäische Schuldenkrise lässt sich auf eine Reihe von Ursachen zurückführen – auf Bankenkrisen, spekulative Finanzmärkte, Immobiliencrashs und die ökonomischen Ungleichgewichte der Eurozone. Jenseits dieser wirtschaftlichen Faktoren spielt schlechte Regierungsführung eine Schlüsselrolle. Sie wurde zuletzt von einer noch jungen Protestbewegung immer wieder thematisiert. Vorrangig die Bewegung der spanischen Indignados (der „Empörten“) ging für eine „wirkliche Demokratie“ und gegen den korrupten Staat wie soziale Menschenrechte auf die Straße. Und sie hat Recht – beim Abbau der Staatsschulden wird an einer Wende zu „Good Governance“ (guter Regierungsführung) kein Weg vorbei führen. Ohne erfolgreichen Kampf gegen Korruption, ineffiziente Verwaltungen und Steuerflucht – ohne das Vertrauen der Bürger wiederzugewinnen – kann in Europa kein Staatshaushalt saniert werden.Dem Zusammenhang von Schuldenkrise und schlechter Regierungsführung ist die Anti-Korruptionsinitiative Transparency International (TI) in einer aktuellen Studie über 25 EU-Länder nachgegangen. „Einige südeuropäische Länder – Griechenland, Italien, Portugal und Spanien – haben schwere Defizite in der Verantwortlichkeit des öffentlichen Sektors und tief verwurzelte Probleme von Ineffizienz, Amtsmissbrauch und Korruption, die weder genügend kontrolliert noch ausreichend sanktioniert werden“, resümieren die Autoren des Reports. Finanzkrise und Korruption hätten miteinander zu tun, was nicht länger ignoriert werden dürfe. Im internationalen Korruptionswahrnehmungsindex, der von TI jährlich erstellt wird, liegt Griechenland auf Platz 80 von 182, gleichauf mit Marokko und Peru. Italien teilt sich mit Ghana den 69. Platz. Spanien schafft es immerhin auf Platz 31, knapp vor Botswana (s. Übersicht).Im Grunde seien Korruption und Finanzkrise zwei Seiten einer Medaille, meint Finn Heinrich, Forschungsdirektor bei Transparency International. „Beides gehört zu einem Syndrom von Misswirtschaft und schlechter Regierungsführung.“ Zu diesem Syndrom zählt Heinrich die mangelnde Überprüfung des Finanzsektors genauso wie institutionelle Defizite, etwa die ungenügende Ausstattung von Rechnungshöfen. Ineffizienz und Korruption blähten Staatsausgaben auf, ohne dass die Bürger etwas davon hätten. „In der Konsequenz“, befindet Heinrich, „verliert die Bevölkerung das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen und entwickelt Strategien, um keine Steuern zu zahlen.“Steuerdisziplin in SambiaKonzepte, um Good Governance zu fördern, gibt es längst. Sie werden seit Jahren in diversen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas erfolgreich praktiziert, also dort, wo die Regierungen Europas aus alter Gewohnheit als Anwälte einer modernen Demokratie und guten Regierungsführung auftreten. In der Entwicklungspolitik ist Good Governance seit Jahren zum international anerkannten Leitbild avanciert. Für die Vereinten Nationen ist sie ein Schlüsselfaktor, um Armut einzudämmen. Und auch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) wird der Wert von Good Governance für die finanzielle Solidität eines Staates gern bei jeder Gelegenheit betont. Das liest sich dann so: „Good Governance ist transparent und effektiv. Sie legt Rechenschaft ab. Sie beteiligt die gesamte Bevölkerung und berücksichtigt die Meinung von Minderheiten und die Bedürfnisse von Schwachen. Alle Bürgerinnen und Bürger werden mit den notwendigen öffentlichen Gütern und sozialen Dienstleistungen versorgt.“ Man möchte diese Sätze den Experten der Troika über ihre Schreibtische hängen.http://imageshack.us/a/img20/1800/124109tabelle.jpgBis jetzt kommt das Good-Governance-Gebot in Afrika vorrangig bei der Budgethilfe zum Einsatz, also dem Teil der Entwicklungshilfe, bei dem Finanzmittel direkt in den Staatshaushalt des Partnerlandes fließen. Damit das Geld nicht in korrupten und ineffizienten Strukturen versickert, wird die Budgethilfe an konkrete Vereinbarungen über Good Governance gebunden. Dieser Strategie zu folgen, wird auch von unabhängigen Organisationen positiv beurteilt. Sie habe in den Empfängerländern zu einem besseren Finanzmanagement und höheren Steuereinnahmen geführt – auch zu mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Parlamente und Zivilgesellschaften, urteilt die Hilfsorganisation Oxfam in einer aktuellen Studie. Mit Governance-Reformen stiegen etwa in Sambia die Steuereinnahmen um 23 Prozent jährlich, zudem wurde die Verwaltung modernisiert. In Ghana haben sich die Steuereinnahmen innerhalb von fünf Jahren verdreifacht. Beide Länder stehen beim Korruptionsindex von Transparency heute deutlich besser da, während Griechenland und Italien abrutschten.Das Geheimnis dieses Trends liegt in einem ganzheitlichen Governance-Ansatz. Anders als bei den rabiaten Sanierungsmethoden in der Eurozone wird in der Entwicklungspolitik der Schutz sozialer Menschenrechte – etwa das Recht auf Bildung und Gesundheit, auf kulturelle Teilhabe und angemessenen Lebensstandard ganz selbstverständlich als Aspekt guter Regierungsführung betrachtet. Eine zweite wichtige Säule von Good Governance ist die aktive Beteiligung der Bevölkerung an den politischen Reformen und am demokratischen Prozess.In Sambia etwa hilft das BMZ mit dem Instrument der Budgethilfe, den nationalen Entwicklungsplan umzusetzen. Um ein breitenwirksames Wachstum zu erreichen, schreibt das BMZ, sei „die Einbindung der Zivilgesellschaft eine wesentliche Voraussetzung“. Soziale Organisationen kommen in den Genuss von Training, Beratung und teilweise auch Finanzmitteln. Derart gefördert wird zum Beispiel das Netzwerk Civil Society for Poverty Reduction, dem ein alternativer nationaler Entwicklungsplan zu verdanken ist.Standards reimportieren„Für eine nachhaltige Entwicklung ist die Stärkung der internen Rechenschaftspflicht unabdingbar“, meint Tobias Hauschild, Entwicklungsexperte bei Oxfam. „Zivilgesellschaftliche Organisationen leisten hier einen unersetzlichen Beitrag, da sie das Regierungshandeln kritisch hinterfragen und überprüfen.“ Eine weitere Erfahrung aus der Entwicklungspolitik sei, dass man für Governance-Reformen Zeit brauche. „Man muss lange investieren und einen langen Atem haben“, sagt Hauschild.Das dürfte in Europa nicht viel anders sein. Die EU-Regierungen könnten von der Entwicklungspolitik lernen, dass gute Regierungsführung, fundierte Staatsfinanzen, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung Hand in Hand gehen und die Partizipation der Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle spielt. Sie sollten das erfolgreiche Good-Governance-Konzept nach Europa reimportieren. Statt auf eine ruinöse Ausgabenkürzung sollte sich die politische Konditionalität auf die Themen guter Regierungsführung konzentrieren.Europas Politiker könnten soziale Bewegungen wie die spanischen Indignados in ihre Reformbemühungen einbeziehen. Sie könnten in Griechenland dafür sorgen, dass soziale Organisationen vernetzt und beteiligt werden. So ließe sich die allgemeine Korruption erfolgreicher als bisher bekämpfen. Privilegien und überflüssige Sektoren des Verwaltungsapparates könnten abgebaut, korrupte Beamte überführt und rausgeworfen, soziale Standards geschützt werden. So würden die Grundlagen für einen neuen Gesellschaftsvertrag und damit auch für Steuerehrlichkeit gelegt.
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