Ausgabe Juni 2014

Geheimwaffe TTIP: Der Ausverkauf der öffentlichen Güter

Die Verteidiger der öffentlichen Dienstleistungen sind Kummer gewohnt. Nicht nur auf nationaler Ebene führen sie einen permanenten Abwehrkampf gegen Privatisierung und Liberalisierung, sondern auch auf europäischem und internationalem Parkett. Während die Europäische Kommission ein Richtlinienpaket nach dem anderen schnürt, um die öffentlichen Sektoren einzudampfen, ergänzt sie ihre Angriffe mit einer ganzen Reihe internationaler Freihandelsverträge. Von den zahlreichen Handelsabkommen, über die sie derzeit verhandelt, birgt jenes mit den USA die größten Risiken für die Daseinsvorsorge. Aufgrund ihrer hohen wirtschaftlichen Bedeutung kann die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ TTIP die öffentlichen Dienste nicht nur in der EU und den USA, sondern auch im Rest der Welt unter Druck setzen.[1]

Wie viele andere Handelsverträge auch, ist TTIP eine Antwort auf den langjährigen Stillstand der Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO. Auch bei der letzten WTO-Ministerkonferenz im Dezember 2013 in Bali gelang nur eine Einigung auf einzelne weniger strittige Punkte, die aus dem weit umfangreicheren Verhandlungspaket der Doha-Runde ausgeklammert wurden. Zu den strittigen Bereichen gehören auch die Dienstleistungen, deren Liberalisierung durch das WTO-Abkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) vorangetrieben werden soll.

Mit einer Flut an bilateralen Abkommen versuchen einzelne Länder, den Stillstand auf der multilateralen Ebene zu umgehen. TTIP ist nur eines davon. Zusätzlich zu all den bilateralen Verträgen startete eine Gruppe von WTO-Mitgliedern, die sich selbst „Really Good Friends of Services“ nennt, 2012 Verhandlungen über ein plurilaterales Dienstleistungsabkommen, das „Trade in Services Agreement“ TISA. An dieser Koalition der Willigen nehmen derzeit 23 Parteien teil, darunter neben EU und USA noch weitere Industrie- und einige Entwicklungsländer.[2]

Wie konzentrische Kreise legen sich all diese Abkommen um die globalen Dienstleistungssektoren, doch von TTIP versprechen sich die Unterhändler besonders weitreichende Marktöffnungen. Wie der Generaldirektor für Handel der EU-Kommission, Jean-Luc Demarty, betonte, sollen die TTIP-Verpflichtungen noch über TISA hinausgehen. „Die an TISA teilnehmenden Länder sind zu heterogen, um das Anspruchsniveau der TTIP zu erreichen.“ Marktzugang in sensiblen Sektoren, tiefe regulatorische Kooperation oder die grenzüberschreitende Arbeitsmobilität: „All dies ist nur vorstellbar in einer Beziehung, die so tief ist wie die transatlantische“, so Demarty.[3]

Die Parallelität der Verhandlungen aber verleiht EU und USA die Möglichkeit, ihre TTIP-Kompromisse anschließend auch gegenüber Dritten durchzusetzen. Gelingt ihnen eine bilaterale Einigung, steigen die Chancen, ihre Positionen auch im größeren Rahmen der TISA-Verhandlungen zur Geltung zu bringen. Dank ihrer enormen wirtschaftlichen Macht könnten sie opponierende Regierungen mit einem transatlantisch abgestimmten Vorgehen auf Linie bringen. Zu ihren Druckmitteln könnten dabei auch koordinierte Handelssanktionen gehören.

Öffentliche Dienste in Gefahr

In Europa erfolgen die TTIP-Verhandlungen vor dem Hintergrund der harten Auseinandersetzung zwischen den zahlreichen Bürgerinitiativen, die die Daseinsvorsorge als öffentliches Gut verteidigen, und einer EU-Kommission, die keine Möglichkeit auslässt, öffentliche Dienstleistungen in private Hände zu legen und bereits vollzogene Privatisierungen unumkehrbar festzuschreiben. In konzertierter Form setzt die EU-Kommission dabei ihre Initiativkompetenz sowohl für Binnenmarktregulierungen als auch für internationale Handels- und Investitionsverträge ein. Zudem nutzt sie aggressiv die Gunst der Stunde, die sich ihr durch die Finanzkrise und den neoliberalen Austeritätskurs bietet, welcher derzeit mit Hilfe eines ganzen Maßnahmenbündels von den südeuropäischen Krisenländern auf die gesamte EU ausgedehnt wird, darunter vor allem der Fiskalpakt mit seiner Schuldenbremse.[4]

Mit ihrem Liberalisierungskurs versucht die Kommission daneben den vor allem auf kommunaler Ebene starken Trend zur Revision vielfach gescheiterter Privatisierungen aufzuhalten. So erlebt Deutschland im Zuge von Rekommunalisierungen eine wahre Gründungswelle öffentlicher Unternehmen, dies vor allem im Energiebereich, wo seit 2007 mehr als 83 Stadtwerke neu gegründet und zahlreiche Verteilnetze von den Kommunen übernommen wurden.[5] Weitere Rekommunalisierungsbeispiele finden sich im Wasser-, Abfall- und Nahverkehrsbereich.[6] Und selbst bei den Krankenhäusern scheint der Privatisierungstrend zumindest gebrochen. Dies alles aber sind schlechte Nachrichten für die Kommission und ihre Freunde in der Privatwirtschaft.

Dennoch behauptet die EU-Kommission unermüdlich, TTIP habe nichts mit der Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen zu tun.[7] Dann aber stellt sich die Frage, warum diese nicht gleich aus dem Verhandlungsmandat ausgeklammert wurden, das der Europäische Rat der Kommission im Juni 2013 erteilte. Dieses nämlich verdeutlicht ganz im Gegenteil, dass öffentliche Dienste sehr wohl in erheblichem Maße unter Druck kommen können. So verfolgt die EU laut Mandat das Ziel, Dienstleistungen „auf dem höchsten Liberalisierungsniveau“ zu binden, das EU und USA in all ihren bisherigen Freihandelsabkommen eingegangen sind. Ferner sollen „im Wesentlichen alle Sektoren und Erbringungsarten“ erfasst und gleichzeitig „neue Marktzugangsmöglichkeiten“ erschlossen werden. Die einzigen explizit ausgeschlossenen Bereiche dagegen sind „audiovisuelle Dienste“ sowie Dienstleistungen, „die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden“. Der Großteil der Daseinsvorsorge bleibt damit aber Verhandlungsgegenstand.[8]

Keine Entwarnung für die Kultur: Das Ende der Buchpreisbindung?

Auch die Kultur ist davon nicht ausgenommen. Dabei haben Kulturschaffende und speziell die französische Regierung hart gefochten, um kulturelle und audiovisuelle Dienste aus dem TTIP auszuklammern. Doch konnten sie letztlich nur eine vorläufige Ausnahme für die audiovisuellen Dienste erreichen, die Filme, Videos, Musik, Radio und Fernsehen betreffen. Die Filmförderung, die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien oder die Quotenregelungen zugunsten der Ausstrahlung europäischer Filme dürften somit vorerst kein Verhandlungsgegenstand sein. Für den übrigen Kulturbereich gilt dies aber nicht. Zwar sollen die EU-Mitgliedstaaten laut Mandat „nicht an der Weiterführung bestehender Politiken und Maßnahmen zur Unterstützung des kulturellen Sektors“ gehindert werden,[9] da die Kultur aber nicht ausgenommen wurde, bleibt die Unsicherheit, inwieweit die Buchpreisbindung, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Kulturgüter oder die öffentliche Kulturförderung für Theater, Museen und Bibliotheken nicht doch ins Visier der Unterhändler geraten.

Speziell die Buchpreisbindung ist amerikanischen Internetkonzernen wie Google, Amazon oder Apple schon lange ein Dorn im Auge, denn sie garantiert, dass ein gedrucktes Buch in Deutschland zum selben Preis verkauft werden muss wie ein E-Book. Würde sie fallen, könnten die US-Multis ihre E-Books billiger anbieten und den Absatz der elektronischen Lesegeräte noch weiter ankurbeln. Die Folge eines solchen Preiskampfes aber wäre nicht nur ein forciertes Buchhändlersterben, sondern auch eine geringere Vielfalt des Buchangebots, da sich die Onlinehändler weit stärker auf die Vermarktung der lukrativen Bestseller konzentrieren.[10]

Doch auch für den audiovisuellen Sektor kann noch keine endgültige Entwarnung gegeben werden. So bekräftigte der US-Handelsbeauftragte Michael Froman, dass er weiterhin Verhandlungen über audiovisuelle Dienste gegenüber der EU einfordert: „Wir werden uns in diesen Verhandlungen aggressiv für alle unsere Dienstleistungsanbieter einsetzen, einschließlich der Film- und Fernsehindustrie.“[11] Auch die EU-Kommission denkt gar nicht darin, sich geschlagen zu geben. In ihrer Pressemitteilung zur Mandatserteilung schreibt sie: „Die audiovisuellen Dienstleistungen werden nicht ausgeklammert.“ Vielmehr seien sie im Mandat nur „vorläufig ausgespart“ worden. Die Kommission könne dem Rat „zu einem späteren Zeitpunkt ergänzende Verhandlungsrichtlinien vorlegen“.[12] Über diese Hintertür könnte die Kommission die audiovisuellen Dienste also wieder auf die Agenda setzen.

Nebelbombe Hoheitsklausel und die kommende Wasserliberalisierung

Auch der Mandatsverweis auf die „in hoheitlicher Gewalt“ erbrachten Dienstleistungen bietet kaum Schutz, denn dieser bezieht sich auf die sehr enge Interpretation des GATS-Abkommens der WTO. Nach Artikel I Absatz 3 des GATS werden hoheitliche Aufgaben nämlich „weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern“ erbracht. Öffentliche Dienste sind insofern in keinster Weise von den TTIP-Verhandlungen ausgenommen, da in nahezu allen Bereichen der Daseinsvorsorge private Unternehmen auf den Markt getreten sind und somit Wettbewerbssituationen vorliegen, sei es bei Stadtwerken, Bahn, Post, Bildung, Gesundheit, der Kranken- oder Rentenversicherung. Zu den wenigen tatsächlich ausgenommenen hoheitlichen Bereichen dürften das staatliche Justizwesen oder die Tätigkeiten der Zentralbank zählen.[13]

Die gleiche Unsicherheit gilt auch für den öffentlichen Wassersektor. In einem PR-Papier beteuert die Kommission, „Wasserversorgung ist und wird nicht Teil der TTIP-Verhandlungen sein.“[14] Doch im Mandat findet sich keine diesbezügliche Ausnahme, und über den Umgang mit der Abwasserbeseitigung und dem Gewässerschutz, die ebenfalls zum Aufgabenspektrum öffentlicher Unternehmen gehören, schweigt sich die Kommission aus. In ihrem Papier ist weiterhin zu lesen: „Die EU wird das Recht von Gemeinden, die Wasserversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge anzubieten, nicht zur Verhandlung stellen. Wir haben dies in der Vergangenheit nicht getan und werden es auch in der Zukunft nicht tun.“[15]

Hier aber unterschlägt die Kommission ihre Forderungen an die Verhandlungspartner. So sickerten schon vor zehn Jahren Verhandlungsdokumente durch, in denen sie im Rahmen der Doha-Runde von 72 Staaten die Liberalisierung der Trinkwasserversorgung forderte.[16] Ebenso verlangte sie in den aktuellen Freihandelsverhandlungen mit Kanada (CETA), dass die Ausschreibungen sämtlicher kommunalen Trinkwasserversorger für europäische Anbieter zu öffnen seien.[17] Die wettbewerbliche Ausschreibungspflicht aber ist ein wichtiger Hebel für die schleichende Privatisierung von Versorgungsleistungen und die Ausbreitung öffentlich-privater Partnerschaften.

Zu Recht fürchten daher US-amerikanische Nichtregierungsorganisationen, dass die EU im TTIP entsprechende Liberalisierungsforderungen auch an die Adresse der USA richten wird, zumal die großen europäischen Wassermultis sich längst auf dem US-Markt tummeln. Die beiden französischen Konzerne Veolia Environnement und Suez Environnement sowie die britische Severn Trent gehören zu den fünf größten Wasserunternehmen der USA. Diese könnten, so die Warnung der Organisation Food & Water Watch, mit Entschädigungsklagen vor den in TTIP vorgesehenen internationalen Schiedstribunalen gegen staatliche Gebührendeckelungen, Umweltauflagen oder Rekommunalisierungen vorgehen.[18]

Diese völlig intransparenten und zutiefst undemokratischen Investor-Staat-Schiedstribunale räumen international tätigen Unternehmen ein Sonderklagerecht ein, mit dem sie die nationale Gerichtsbarkeit umgehen können. Inländischen Unternehmen dagegen steht dieser Klageweg nicht offen. Die Schiedsverfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Urteile gelten unmittelbar, ohne irgendeine Berufungsinstanz. Die Tribunale setzen sich nicht aus unabhängigen Richtern zusammen, sondern aus einem kleinen Kreis von Anwälten internationaler Kanzleien, der das überaus lukrative Schiedsgeschäft dominiert.[19]

„List it or lose it“: Der Wechsel zur Negativliste

Die Abwiegelei der EU-Kommission ist auch hinsichtlich der europäischen Daseinsvorsorge überaus unglaubwürdig. So schreibt die Brüsseler Behörde in ihrem PR-Papier, sie habe dem GATS-Modell folgende „horizontale Vorbehalte“ in alle ihre bisherigen bilateralen Freihandelsabkommen eingetragen, was den Schutz der Daseinsvorsorge erlaube.[20] Doch wird es diese Schutzklauseln in der bisherigen Form gar nicht mehr geben, denn mit TTIP vollzieht die EU einen Bruch mit dem GATS-Modell.

Im Februar 2014 nämlich einigte sich die Kommission mit den USA darauf, den Liberalisierungsmodus des GATS, der mit sogenannten Positivlisten erfolgt, aufzugeben und stattdessen das US-Modell der Negativlisten anzuwenden, das die EU auch schon im CETA-Abkommen praktiziert.[21] Beim Positivlistenansatz werden nur jene Dienstleistungssektoren in die EU-Liste von Liberalisierungsverpflichtungen eingetragen, in denen die Europäer zu Zugeständnissen bereit sind. Anders im Negativlisten-Ansatz: Hier gelten grundsätzlich alle Dienstleistungssektoren als geöffnet, während Bereiche, die weiter geschützt bleiben sollen, einzeln aufzulisten sind (daher auch zynisch, aber realistisch, „list it or lose it“ genannt). Alle Sektoren, die nicht aufgelistet werden, unterliegen dann der TTIP-Deregulierung.

Liberalisierungsausnahmen, das heißt gegen das Abkommen verstoßende Regulierungen, können im Negativlistenansatz in zwei verschiedene Anhänge eingetragen werden. Anhang I bietet nur sehr wenig Flexibilität, denn er erfasst nur aktuelle Regulierungsmaßnahmen und keine zukünftigen. Zudem dürfen die hier gelisteten Maßnahmen nur „liberaler“ und nicht handelsbeschränkender ausgestaltet werden. Lockert ein EU-Land etwa die Lizenzvergabe für private Dienstleister (beispielsweise Kliniken, Universitäten, Banken, Versicherungen, Ver- und Entsorger), könnte es dies zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr rückgängig machen. Anhang I wirkt insofern wie eine Sperre („ratchet“), die auch Rekommunalisierungen oder Rückverstaatlichungen verhindert.[22]

Nehmen Regierungen danach dennoch Privatisierungen zurück, riskieren sie Klagen vor den internationalen Schiedstribunalen. Diese haben Investoren schon in zahlreichen Fällen angerufen, in denen Regierungen frühere Privatisierungsmaßnahmen revidierten. So klagte etwa der niederländische Versicherer Achmea erfolgreich vor dem Investitionstribunal der Internationalen Handelskammer in Paris gegen die Slowakische Republik, nachdem diese das Geschäft privater Krankenversicherungen zurückdrängte. Die slowakische Regierung verlangte von den Privatversicherungen, sich den Großteil ihrer Profite nicht mehr privat anzueignen, sondern zugunsten ihrer Kunden zu reinvestieren.[23]

Mehr Flexibilität der TTIP-Negativliste könnte aber der Anhang II bieten, in dem die Unterhändler zukünftig zu ergreifende Maßnahmen eintragen und der gegebenenfalls auch die Rücknahme bisheriger Liberalisierungen erlaubt. Doch ist zu erwarten, dass die Kommission einiges daran setzen wird, die Liste von Anhang-II-Ausnahmen möglichst kurz zu halten. So hat sie bereits 2011 in einem „Reflexionspapier“ dargelegt, dass sogenannte Netzwerk-Industrien, dazu zählte sie Telekommunikation, Energieversorgung, Verkehr, Post und Umweltdienstleistungen, in ihren künftigen Freihandelsabkommen nicht mehr in den Genuss der traditionellen Schutzklausel kommen sollen.[24] Genau in den Bereichen also, in denen Bürgerinitiativen derzeit Rekommunalisierungsinitiativen starten (vor allem Energie, Wasser, Abwasser, Verkehr), will sie die Liberalisierung in den Handelsverträgen unumkehrbar festschreiben.[25]

Transatlantischer Ausschreibungszwang

Risiken für die Daseinsvorsorge können schließlich auch durch TTIP-Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen entstehen. Öffentliche Aufträge sind von enormer wirtschaftlicher Bedeutung: In der EU belaufen sie sich auf rund 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.[26] Es ist daher wenig verwunderlich, dass der unbeschränkte Zugang zu diesen Aufträgen zu den überragenden Zielen der Konzerne gehört. Zu ihrer Freude kündigt das EU-Verhandlungsmandat an, das TTIP-Abkommen werde einen „verbesserten beiderseitigen Zugang zu den Beschaffungsmärkten auf allen Verwaltungsebenen (national, regional, lokal)“ anstreben. Ferner soll es über das erst kürzlich revidierte plurilaterale WTO-Beschaffungsabkommen hinausgehen (Government Procurement Agreement GPA), zu dessen 15 Unterzeichnern auch die EU und die USA gehören.[27]

Schon seit Jahren schnürt die Kommission alle öffentlichen Auftraggeber – von der Bundes-, über die Landes-, bis zur kommunalen Ebene – in ein immer engeres Korsett, das sie oberhalb bestimmter Auftragswerte zur europaweiten Ausschreibung von Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen zwingt. Der Ausschreibungszwang aber engt immer mehr die Möglichkeiten ein, staatliche Aufträge an öffentliche, kommunale oder lokal verankerte Unternehmen zu vergeben. Stattdessen kommen durch die wettbewerblichen Vergabeverfahren immer mehr in- und ausländische Konzerne zum Zuge. Der Ausschreibungszwang wirkt so als ein effektiver Hebel zur (Teil-)Privatisierung und zur Durchsetzung öffentlich-privater Partnerschaften. Hinzu kommt, dass in den Vergabeverfahren meist das billigste Angebot den Zuschlag erhält, was häufig nur durch Sozial- und Umweltdumping möglich ist.[28]

In der Auseinandersetzung um das jüngst beschlossene Richtlinienpaket zum EU-Vergabewesen indes konnten soziale Bewegungen und Gewerkschaften einige Verbesserungen durchsetzen. Vor allem auf Druck der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „Wasser ist ein Menschenrecht“ wurde der Wassersektor aus der Konzessionsrichtlinie ausgeklammert.[29] Auch darf die öffentliche Hand Ausschreibungen nun an manche soziale und ökologische Kriterien koppeln, wie beispielsweise die Einhaltung von Tarifverträgen oder den Nachweis von Nachhaltigkeitslabels.[30] Ein restriktiveres TTIP-Beschaffungskapitel aber könnte diese partiellen Fortschritte wieder zunichte machen. Vor allem wäre es eine Hürde bei dem Versuch, weitere sozial-ökologische Reformen des Vergaberechts durchzusetzen, etwa eine verbindliche Auflage, den Zuschlag nicht allein aufgrund des billigsten Angebots erteilen zu dürfen.

Auch Forderungen nach höheren Schwellenwerten für die Ausschreibungspflicht könnte die Kommission mit Verweis auf TTIP künftig abschmettern, wie dies ähnlich bereits beim Streit um die Konzessionsrichtlinie geschah. So ließ sich die Forderung des EP-Binnenmarktausschusses, den Schwellenwert für die europaweite Ausschreibung von Dienstleistungskonzessionen von fünf auf acht Mio. Euro zu erhöhen, wegen der Verpflichtungen aus dem WTO-Beschaffungsabkommen GPA nicht durchsetzen.[31] Für TTIP fordern Industrieverbände wie Business Europe nun weitere Verschärfungen: Das Freihandelsabkommen solle darauf abzielen, „die existierenden Schwellenwerte zu senken und über die GPA-Verpflichtungen hinauszugehen“.[32] Setzt sich die Industrie durch, könnten folglich noch mehr Aufträge unter Ausschreibungszwang geraten. „Die Reduzierung der Staatsaufgaben auf hoheitliche Kernaufgaben und die Übertragung vieler öffentlicher Aufgaben an Private wären kaum noch aufzuhalten“, befürchtet deshalb der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske.[33] 

Angesichts dieser Risiken ist es erfreulich, dass die Kritik an TTIP eine immer größere Öffentlichkeit findet und der zivilgesellschaftliche Widerstand an Breite gewinnt. Doch bleibt noch einiges zu tun. Denn noch ist die kritische Masse nicht erreicht, um TTIP wirklich zu verhindern. Und nur das kann das Ziel sein, wenn die von diesem Abkommen ausgehende Gefahr für die öffentliche Daseinsvorsorge effektiv gebannt werden soll. Es bedarf eines Endes dieser intransparenten Verhandlungen – auch und nicht zuletzt, um die Demokratie vor dem Allmachtsanspruch der Konzerne zu schützen.

 

[1] Vgl. auch: Thomas Fritz, TTIP: Die Kapitulation vor den Konzernen. Eine kritische Analyse der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, hg. von PowerShift e.V., Berlin 2014.

[2] Scott Sinclair und Hadrian Mertins-Kirkwood, TISA contra öffentliche Dienste. PSI Spezial: Das Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TISA) und die Agenda der Konzerne, hg. von Public Services International (PSI), 28.4.2014.

[3] Inside US Trade 2013: Official: EU seeks more ambitious outcome on services in TTIP than TISA, IUST, Nr. 44, 8.11.2013.

[4] Joseph Zacune, Privatising Europe – Using the Crisis to Entrench Neoliberalism, Transnational Institute TNI, Amsterdam, März 2013.

[5] Vgl. Verband kommunaler Unternehmen, Kommunale Energiewirtschaft. Stadtwerk der Zukunft IV: Neue Wege für Kommunen und kommunale Energieversorgungsunternehmen, www.vku.de.

[6] Rekommunalisierung – Die Renaissance der Stadtwerke, in: „Böckler Impuls“, 9/2013.

[7] European Commission, EU-US-Trade Agreement – The Facts, 27.2.2014.

[8] Rat der Europäischen Union, Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, Brüssel 17.6.2013, 11103/13.

[9] Ebd.

[10] Birgit Reuß, Bauernopfer Buchhandel? Das geplante Freihandelsabkommen wird zum Kulturkiller, in: „Politik & Kultur“, Juli-August 2013, S. 9.

[12] Europäische Kommission, Mitgliedstaaten billigen bilaterale Handels- und Investitionsverhandlungen zwischen der EU und den USA, Memo, Brüssel, 14.6.2013.

[13] Markus Krajewski, Potentielle Auswirkungen des transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) auf die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich Wasserver- und Abwasserentsorgung, Kurzgutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU), 11.2.2014.

[14] European Commission, Wasserversorgung – kein Bestandteil der TTIP-Verhandlungen, 20.12.2013. 

[15] Ebd.

[16] Thomas Fritz, Der Griff nach dem Wasser: GATS gefährdet die Wasserversorgung im Süden, BLUE 21 Arbeitspapier, Berlin, Februar 2004. Die durchgesickerten GATS-Forderungen der EU können hier eingesehen werden: www.gatswatch.org/requests-offers.html.

[17] Scott Sinclair, Negotiating from Weakness: Canada-EU trade treaty threatens Canadian purchasing policies and public services, Canadian Centre for Policy Alternatives, Ottawa, April 2010.

[18] Food & Water Watch, TAFTA: The European Union’s Secret Raid on US Public Water Utilities, Fact Sheet, November 2013.

[19] Pia Eberhardt und Cecilia Olivet, Profiting from injustice: How law firms, arbitrators and financiers are fuelling an investment arbitration boom, CEO/TNI, Brüssel und Amsterdam, November 2012; vgl. auch Pia Eberhardt, Konzerne vs. Staaten: Mit Schiedsgerichten gegen die Demokratie, in: „Blätter“, 4/2013, S. 29-33 und Michael R. Krätke, TAFTA: Das Kapital gegen den Rest der Welt, in: „Blätter“, 1/2014, S. 5-9.

[20] European Commission, Wasserversorgung – kein Bestandteil der TTIP-Verhandlungen, 20.12.2013.

[21] Ben Hancock, De Gucht Signals TTIP Talks Have Made Little Headway on EU Priorities, Inside US Trade, 8/2014, 21.2.2014.

[22] Markus Krajewski, Potentielle Auswirkungen des transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) auf die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich Wasserver- und Abwasserentsorgung, Kurzgutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU), 11.2.2014.

[23] Beata Balogová, Slovakia owes Achmea millions, court rules, The Slovak Spectator, 17.12.2012.

[24] European Commission, Reflections Paper on Services of General Interest in Bilateral FTAs, Directorate-General for Trade, 2011.

[25] Vgl. zur Kritik an Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge auch: Werner Rügemer, Der Ruin der Kommunen: Ausverkauft und totgespart, in: „Blätter“, 8/2012, S. 93-102.

[26] Vgl. Public procurement in a nutshell. Why does public procurement matter in international trade?, http://ec.europa.eu.

[27] Rat der Europäischen Union, Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, Brüssel 17.6.2013, 11103/13.

[28] Thorsten Schulten et al., Pay and Other Social Clauses in European Public Procurement, Düsseldorf 2012.

[30] Network for Sustainable Development in Public Procurement, New EU Directive a step forward for green and social public procurement, Pressemitteilung, 15.1.2014.

[31] Josef Weidenholzer, Konzessionsrichtlinie: Verhandlungen abgeschlossen, www.weidenholzer.eu, 16.9.2013.

[32] Businesseurope, Public Procurement in the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), Position Paper, 11.12.2013.

[33] Frank Bsirske, Marktwirtschaftliche Liberalisierung versus sozialstaatliche Regulierung: Zu den Risiken und Chancen des TTIP aus der Sicht der Gewerkschaften, in: Ska Keller (Hg.), TTIP: Das Freihandelsabkommen mit den USA in der Kritik, S. 45-51.

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