Ein Hauch von Las Vegas wehte durchs beschauliche Norderstedt, als sich dort am 16. Januar die Crème de la Crème der internationalen Glücksspielveranstalter traf. Es ging darum, mit der schwarz-gelben Landesregierung das Lizenzierungsverfahren und die steuerlichen Aspekte des neuen Landes-Glücksspielgesetzes zu beraten, das CDU und FDP im September mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur einer Stimme beschlossen hatten. Wegen dieses Gesetzes muss sich die Koalition heftige Vorwürfe der Opposition anhören. Von Lobbyklüngel und Interessenverquickung und geschaffenen Fakten vor der Landtagswahl im Mai ist inzwischen die Rede.
Hintergrund des neuen Glücksspielgesetzes ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das in den bisher sehr strikten
strikten deutschen Zulassungsregeln eine Benachteiligung privater Anbieter gegenüber den staatlichen Lottogesellschaften erkannte. Doch bei der deshalb anstehenden Reform wählte Schleswig-Holstein einen anderen Weg als die übrigen 15 Bundesländer, nämlich die nahezu vollständige Liberalisierung des Glücksspielmarktes. Onlinelotto und Sportwetten sollen künftig überall im Bundesgebiet erlaubt sein, allerdings beschränkt auf 20 ausgewählte private Anbieter. Darüber hinaus vergibt jedoch Schleswig-Holstein – als einziges Land – auch Lizenzen für sogenannte Casinospiele und für Poker im Internet und diese in unbeschränkter Anzahl.Sylt-Sause und SuchtgefahrSchon mehr als 80 Anträge sind nach Angaben des zuständigen Ministeriums in Kiel eingegangen, weitere werden erwartet. 60 Millionen Euro Steuermehreinnahmen erhofft man sich im nördlichsten Bundesland von dem neuen Gesetz und dazu eine Vielzahl an neuen Arbeitsplätzen. Letzteres allerdings bezweifeln Brancheninsider. Auch die Annahme, die übrigen Länder würden alsbald auf die „Kieler Linie“ einschwenken, wie häufig von CDU- und FDP- Vertretern in Schleswig-Holstein geäußert, ging bislang fehl. Vielmehr gibt es auch in unionsgeführten Ländern Vorbehalte. Erwogen wird sogar, Schleswig-Holstein wegen seines Sonderwegs aus dem deutschen Lottoblock auszuschließen.Zwei Männer waren es vor allem, die das neue Gesetz angeschoben haben: der Vorsitzende der FDP in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, und der Landtagsabgeordnete, Gastronom und CDU-Landesschatzmeister Hans-Jörn Arp. Beide mussten sich wegen Nähe zu Glücksspielveranstaltern schon erhebliche Kritik gefallen lassen. So berichtete der Spiegel im vergangenen Jahr von einem Trip Arps auf die Insel Malta (den dieser später mit einem „Vortrag“ rechtfertigte) und über „Sylt-Sausen“ von Kubicki, Arp und dem später wegen seiner Liebschaft mit einer Minderjährigen zurückgetretenen CDU-Spitzenmanns Christian von Boetticher – auf Einladung der Glücksspiel-Lobby.Die rot-grüne Opposition in Kiel zeigt sich empört. SPD-Landeschef Ralf Stegner, früher Landesinnenminister, kritisiert die zum Teil „neoliberale Rechtsprechung des EuGH, die auch unsere bewährten, krisensicheren Sparkassen und den unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedroht“ und die Gesetzesänderung erzwungen habe. Für ihn ist die Sache klar: „Wenn wir nach den Wahlen im Mai eine Mehrheit haben – und davon gehe ich aus – werden wir dieses Gesetz kippen.“Stegner führt eine Reihe von Gründen für seine Ablehnung an. „Erstmal haben gerade Internet-Casinospiele und Online-Poker das höchste Suchtpotenzial“, sagt der SPD-Politiker. In der Tat gilt gerade Online-Poker Fachleuten als das „Heroin des Glücksspiels“ – auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verweist auf die Suchtgefahren gerade dieser Art des Online-Glücksspiels.Zudem sieht Stegner kriminelles Potenzial: „Teile dieser Angebote stehen international auch im Verdacht, Geldwäsche zu ermöglichen und dafür auch von der organisierten Kriminalität genutzt zu werden.“ Tatsächlich wurden letztes Jahr die amerikanischen Seiten von Unternehmen wie „Pokerstars“ durch das US-Justizministerium und das FBI geschlossen und elf Verdächtige verhaftet. Die Vorwürfe lauteten auf Geldwäsche, Verschwörung, Steuerhinterziehung und Bankenbetrug. Einer der Hauptbeschuldigten bekannte sich am 19. Januar vor einem US-Gericht der Verschwörung schuldig – wohl auch, um eine drohende 55-jährige Haftstrafe abzumildern.Eben jene „Pokerstars“ treten nun auch in Schleswig-Holstein an, eine Lizenz zu erwerben. Auch haben sie schon die brandneuen, liberalisierten Werbemöglichkeiten genutzt. Das Unternehmen ist ab sofort einer der Hauptsponsoren des VfB Lübeck und auch neuer Namenspatron des bisherigen „Stadions an der Lohmühle“ – was für einigen Unmut in dem Traditionsverein und zum Rücktritt des Aufsichtsratsmitglieds Wolfgang Baasch führte. Der Mann ist SPD-Landtagsabgeordneter und lehnt das neue Gesetz ebenso ab wie der Rest seiner Fraktion.Uhren zurückdrehenLeicht wird es die Opposition allerdings nicht haben, die Uhren nach der Wahl am 6. Mai zurückzudrehen: Die jetzige Landesregierung will ab Anfang März die neuen Lizenzen mit einer fünfjährigen Bestandsgarantie vergeben, die auch künftige Regierungen binden würde. Skandalös nennt das Patrick Ratzmann, Pressesprecher und Vorstandsmitglied der Piratenpartei in Schleswig-Holstein, der gute Chancen eingeräumt werden, im Mai in den Kieler Landtag einzuziehen. Für Ratzmann sind Gesetz und Vorgehen der schwarz-gelben Landesregierung ein „Beispiel für den dreisten Auswuchs von Lobbyarbeit in seiner übelsten Form.“ Die Glücksspiellobby habe sich „in Schleswig-Holstein eingekauft“.Derzeit unternehmen FDP und CDU in Schleswig-Holstein wenig, diesem Eindruck entgegenzutreten. So sorgt die CDU aktuell für Irritation mit ihrer Entscheidung, der erst vergangenes Jahr gegründeten Berliner Werbeagentur „Blumberry“ den Zuschlag für ihre Kampagne zur bevorstehenden Landtagswahl zu erteilen. Dass zu den Großkunden dieser Agentur auch der Wettanbieter „Betfair“ gehört und sich dieser Branchenriese gleichzeitig um eine Glücksspiellizenz in Schleswig-Holstein bewirbt – das scheint bei der CDU auch zu Zeiten eines „Schnulligates“ niemanden wirklich zu stören. Dabei ist die Gefahr einer möglichen Intransparenz greifbar.FDP-Spitzenmann Kubicki ist jedenfalls guten Muts, er sieht seine Liberalen trotz Glücksspielgesetz und Umfragewerten von unter fünf Prozent im Mai bei einem Wahlergebnis von neun bis elf Prozent. Ob darauf Wetten angeboten werden ist nicht bekannt. Kubickis Tipp würde aber dank Wahrscheinlichkeitstotalisator sicher Traumquoten erzielen.