Ausgabe Januar 2012

Klima vs. Kapitalismus

Was die linke Umweltbewegung von den rechten Think Tanks lernen kann

Ein Herr aus der vierten Sitzreihe meldet sich zu Wort. Er stellt sich als Richard Rothschild vor. Landrat in Carroll County (Maryland) wolle er werden, teilt der Mann mit. Ihm sei nämlich klar geworden, dass die Bekämpfung der Erderwärmung in Wahrheit „einen Angriff auf den amerikanischen Mittelschicht-Kapitalismus“ darstelle. Seine Frage an die Podiumsteilnehmer, die sich da Ende Juni 2011 im Washingtoner Marriott-Hotel zusammengefunden haben, lautet: „Handelt es sich bei dieser ganzen Umweltbewegung nicht schlichtweg um ein grünes Trojanisches Pferd, den Bauch vollgestopft mit roten, marxistischen Wirtschaftslehren?“

In dieser Runde muss das als rein rhetorische Frage gelten. Wir befinden uns auf der Sechsten Internationalen Klimawandel-Konferenz des Heartland Institute, der ersten Adresse für all jene, die sich der Leugnung einer Erkenntnis verschrieben haben, über die in der Wissenschaft ganz überwiegend Konsens besteht: nämlich dass menschliches Handeln die Erwärmung der Erdatmosphäre bewirkt. Auf dieser Konferenz klingt Mr. Rothschilds Frage etwa so, als frage man bei einer Zusammenkunft deutscher Zentralbanker, ob auf Griechen Verlass sei. Nichtsdestotrotz lassen die Podiumsteilnehmer sich die Chance nicht entgehen, dem Fragesteller zu bestätigen, wie recht er hat.

Im Laufe der zweitägigen Konferenz werde ich auch noch erfahren, dass Obamas Wahlkampfversprechen, dezentral betriebene Biosprit-Raffinerien zu fördern, in Wirklichkeit auf „grünen Kommunitarismus“ hinausläuft und mit der „maoistischen“ Kampagne „Hochöfen in jeden Hinterhof“ zu vergleichen sei (so Patrick Michaels vom Cato Institute). Oder dass der Klimawandel als „Deckmantel für Nationalsozialismus“ diene (Harrison Schmitt, ehemaliger Senator der Republikaner und Astronaut a.D.). Und dass Umweltschützer wie die Azteken-Priester unzählige Menschen opfern, um Götter zu besänftigen und das Wetter zu ändern (so Marc Morano, der die Website ClimateDepot.com betreibt, eine Lieblingsadresse aller Leugner des Klimawandels).

Vor allem aber bekomme ich in immer neuen Varianten die Meinung des eingangs erwähnten Landrats-in-spe zu hören: Dass der Klimawandel ein Trojanisches Pferd mit der Aufgabe sei, den Kapitalismus abzuschaffen und durch irgendeine Art Öko-Sozialismus zu ersetzen. Klimawandel habe, wie Konferenzsprecher Larry Bell in seinem neuen Buch „Climate of Corruption“ kurz und bündig zusammenfasst, „mit dem Zustand der Umwelt wenig, dafür aber viel damit zu tun, den Kapitalismus zu fesseln und den American Way of Life im Interesse einer globalen Umverteilung umzuwandeln.“

Gewiss, man tut so, als entspringe die ablehnende Haltung der Delegierten zur Klimaforschung seriösen Zweifeln an deren Erkenntnissen. Und die Organisatoren geben sich beträchtliche Mühe, den Anschein einer glaubwürdigen wissenschaftlichen Konferenz zu erwecken – etwa indem sie die Zusammenkunft der „Rückkehr zur wissenschaftlichen Methode“ widmen und sogar die Abkürzung ICCC verwenden, die nur um einen Buchstaben abweicht vom Kürzel IPCC für Intergovernmental Panel on Climate Change, die weltweit führende Autorität in Sachen Klimawandel. Doch die hier vorgetragenen wissenschaftlichen Theorien sind längst widerlegt. Und niemand versucht zu erklären, wieso auf dieser Konferenz ständig einer dem anderen widerspricht: Gibt es keine Erwärmung oder gibt es sie, aber sie ist kein Problem? Wenn es aber keine Erwärmung gibt, wozu dann das ganze Gerede über Sonnenflecken, die einen Temperaturanstieg bewirken?

Tatsächlich besteht der eigentliche Zweck dieser Zusammenkunft darin, den hartgesottenen Klimawandel-Leugnern ein Forum zu bieten, wo sie die rhetorischen Baseballschläger abholen können, mit denen sie in den folgenden Wochen und Monaten auf Umweltschützer und Klimaforscher eindreschen werden. Die hier getesteten Argumente werden alsbald die Kommentarspalten unter jedem Artikel und jedem You-Tube-Video, in denen die Worte „Klimawandel“ oder „Erderwärmung“ auftauchen, regelrecht verstopfen. Desgleichen werden Hunderte von Kommentatoren und Politikern der extremen Rechten sie gebrauchen – von republikanischen Präsidentschaftskandidaten wie Rick Perry und Michele Bachmann bis hinunter zu Landräten wie unserem Richard Rothschild. In einem Interview am Rande der Konferenz rühmt sich Joseph Bast, der Präsident des Heartland Institute, der „Tausende von Artikeln und Kommentaren und Reden [...,] die sich auf Informationen von Teilnehmern dieser Konferenzen stützen oder von ihnen angestoßen wurden.“

Der Wandel der öffentlichen Meinung

Als ein zur „Förderung marktwirtschaftlicher Lösungen“ bestimmter Think Tank mit Sitz in Chicago veranstaltet das Heartland Institute seit 2008 derartige Konferenzen bis zu zweimal im Jahr. Und seine Strategie scheint aufzugehen: Zum Ende des ersten Konferenztages erfreut Morano die Teilnehmer mit einer ganzen Siegesserie: Cap and trade, also der Emissionsrechtehandel: mausetot! Obama auf dem Kopenhagener Klimagipfel: gescheitert! Die Klimaschutzbewegung: suizidal! Er wirft sogar ein paar Zitate von Klimaschutzaktivisten an die Wand, die einander – worauf Progressive sich ja so gut verstehen! – wechselseitig niedermachen, und ruft sein Publikum auf zu „feiern“. Luftballons und Konfettiregen werden zwar nicht geboten, doch hätten sie durchaus gepasst.

Wenn sich die öffentliche Meinung zu den großen sozialen und politischen Fragen wandelt, geschieht dies in der Regel in kleinen Schritten. Kommt es doch einmal zu abrupten Verschiebungen, dann für gewöhnlich im Gefolge dramatischer Veränderungen. Eben deshalb überrascht es die Demoskopen so sehr, was in einem Zeitraum von gut vier Jahren mit den Vorstellungen zum Klimawandel passiert ist: 2007 glaubten einer Harris-Umfrage zufolge noch 71 Prozent der US-Amerikaner, der anhaltende Einsatz fossiler Brennstoffe werde das Klima verändern. Bis 2009 sank dieser Prozentsatz auf 51, und im Juni 2011 stimmten nur noch 44 Prozent der Befragten dieser Auffassung zu – deutlich weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Dem Forschungsdirektor des Pew Research Center for People and the Press Scott Keeter zufolge zählt dieser Wandel „zu den größten kurzfristig eingetretenen Veränderungen in der jüngsten Geschichte der öffentlichen Meinung“.

Noch verblüffender ist, dass diese Verschiebung fast ausschließlich auf einer Seite des politischen Spektrums erfolgte. Noch 2008 schien das Thema in beiden politischen Lagern der USA Akzeptanz zu finden. Doch diese Zeiten sind eindeutig vorbei. Heute glauben zwar 70 bis 75 Prozent derjenigen, die sich selbst als Demokraten oder Liberale verstehen, dass der Mensch das Klima nachhaltig verändert – eine Größenordnung, die das letzte Jahrzehnt hindurch stabil geblieben ist oder zunahm. Im scharfen Gegensatz hierzu haben sich jedoch die Republikaner, insbesondere Tea-Party-Mitglieder, größtenteils entschlossen, den Konsens der Wissenschaft zu verwerfen. In manchen Gegenden akzeptieren lediglich um die 20 Prozent derer, die sich als Republikaner verstehen, die Erkenntnisse der Wissenschaft.

Ebenso bezeichnend ist die Veränderung des emotionalen Gewichts, das die Befragten dem Thema beimessen. Früher sagte fast jeder Amerikaner, der Klimawandel beschäftige ihn – allerdings nicht allzu sehr: In der Rangfolge ihrer politischen Sorgen, landete die Erderwärmung jedes Mal zuverlässig auf dem letzten Platz. Heute hingegen zeigt sich ein beträchtlicher Teil der Republikaner in Sachen Klimawandel leidenschaftlich erregt, ja geradezu besessen – vor allem weil sie fürchten, man wolle ihnen einen Bären aufbinden. Hinter der ganzen Geschichte steckten angeblich Linke, die sie zwingen wollen, ihre Glühbirnen durch Sparlampen zu ersetzen, in Mietskasernen sowjetischen Typs zu wohnen und ihre Geländewagen aufzugeben. Im Weltbild dieser Rechten nimmt der Klimawandel mittlerweile eine ebenso zentrale Stellung ein wie Steuersenkungen, Waffenbesitz und Abtreibungsbekämpfung. Viele Klimaforscher wissen von Morddrohungen zu berichten. Dabei reicht es meist schon, über so unschuldig erscheinende Themen wie das Energiesparen zu schreiben.

Diese Kulturkampfstimmung ist die schlimmste Veränderung. Denn wenn man Positionen in Frage stellt, die einem Menschen wirklich am Herzen liegen und Teil seiner Identität sind, fasst er selbst rationale Gegenargumente leicht als persönliche Angriffe auf und lässt diese einfach an sich abgleiten.

Die Auswirkungen einer derart aufgewühlten Stimmung traten beim Wettlauf um die Führung der Republikanischen Partei deutlich zu Tage. So erfreute etwa der texanische Gouverneur Rick Perry, während sein Heimatstaat vor lauter Waldbränden buchstäblich in Flammen stand, die Parteibasis mit der Erklärung, Klimaforscher manipulierten Daten, „damit mehr Dollars in ihre Projekte fließen“. Die Bewerbung John Huntsmans hingegen – des einzigen Kandidaten, der die Klimaforschung beharrlich in Schutz nimmt – erwies sich allzu bald als aussichtslos. Und Mitt Romney blieb auch deshalb nur als Präsidentschaftskandidat im Rennen, weil er von früheren Äußerungen zugunsten des wissenschaftlichen Konsenses über den Klimawandel abrückte.

Die Folgen der rechten Klimawandel-Verschwörungstheorien gehen allerdings weit über die Republikanische Partei hinaus. Auch die Demokraten hüllen sich bei diesem Thema mittlerweile größtenteils in Schweigen, um keine Wähler zu verschrecken. Medien und Kulturindustrie verhalten sich entsprechend: Vor fünf Jahren fuhren die Stars bei der Oscar-Verleihung in Hybridautos vor; „Vanity Fair“ brachte alljährlich eine „grüne Ausgabe“ heraus und 2007 etwa sendeten die drei großen US-Sender 147 Beiträge zum Klimawandel. Das alles hat sich dramatisch geändert: Im Jahr 2010 brachten die gleichen Sender nur noch 32 Klimawandel-Beiträge; bei der Oscar-Verleihung sind wieder schwere Limousinen angesagt; und eine grüne Ausgabe von „Vanity Fair“ hat es seit 2008 nicht mehr gegeben.

Die Klimafrage als ökonomische Frage

Dieses unbehagliche Schweigen hat das Ende des heißesten Jahrzehnts in der Geschichte der Meteorologie überdauern können sowie einen weiteren Sommer voll unvorhergesehener Naturkatastrophen und mit weltweit gemessenen Rekordhitzegraden. Unterdessen beeilt sich die Energiewirtschaft, Milliarden in neue Infrastrukturen zu investieren, mit denen man Erdöl, Erdgas und Kohle aus einigen der schmutzigsten und gefahrenträchtigsten Lagerstätten des amerikanischen Kontinents fördern will: Die sieben Mrd. US-Dollar teure XL-Pipeline von Keystone ist dabei nur das bekannteste Beispiel. Ob es sich um die Teersande von Alberta, die Beaufort-See, die Gasfelder Pennsylvaniens oder die Kohlegruben von Wyoming und Montana handelt – die Konzerne setzen inzwischen mit vollem Einsatz darauf, dass die Klimaschutz-Bewegung so gut wie tot ist. Tritt jedoch allein der Kohlenstoff, den diese Projekte zu Tage fördern sollen, in die Atmosphäre aus, nimmt die Gefahr einer Klimakatastrophe bereits dramatisch zu.

Das alles läuft darauf hinaus, dass die Klimaschutzbewegung unbedingt wieder in Gang kommen muss. Und um dies zu erreichen, wird die Linke von der Rechten lernen müssen. Richtig in Fahrt kam die Bewegung der Klimawandel-Leugner nämlich erst, als sie die Klimafrage zu einer ökonomischen Frage machte: Klimaschutz zerstört den Kapitalismus, behaupteten sie. Er wird zahllose Arbeitsplätze vernichten und die Preise explodieren lassen.

Doch eine Situation, in der immer mehr Menschen den Protesten der Occupy Wall Street-Bewegung zustimmen, eröffnet die einzigartige Gelegenheit, der Rechten das ökonomische Terrain abzunehmen. Heute sind mehr und mehr Menschen davon überzeugt, dass es das kapitalistische System selbst ist, das unsere Arbeitsplätze vernichtet und uns in die Schuldsklaverei geführt hat. Somit wäre jetzt die Zeit günstig, die Leute davon zu überzeugen, dass eine effektive Klimapolitik zugleich zu einem aufgeklärteren Wirtschaftssystem führen könnte – eines, das tiefe Ungleichheiten behebt, die Öffentlichkeit stärkt und den politischen Raum erneuert, gute Arbeit in Fülle bereitstellt und die Macht der Konzerne radikal einschränkt. Dabei muss man zugleich der Vorstellung widersprechen, gegen die drohende Klimakatastrophe aktiv zu werden, sei lediglich ein Posten unter vielen auf einer langen Liste fortschrittlicher Politik. Für die Rechte hat die Leugnung des Klimawandels sich zu einem Schlüsselaspekt ihrer politischen Identität entwickelt, untrennbar verbunden mit der Verteidigung bestehender Macht- und Besitzverhältnisse. Entsprechend zentral muss die wissenschaftlich erhärtete Realität des Klimawandels in einem kohärenten Narrativ der Linken verankert werden: über die Bedrohlichkeit ungezügelter Gier und das Erfordernis echter Alternativen.

Eine solche Transformationsbewegung zu schaffen, ist vielleicht gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint. Fragt man nämlich die Leute vom Heartland Institute, so führt der Klimawandel fast zwangsläufig zu einer Art Revolution von links. Eben deshalb leugnen sie ja dessen Realität so entschieden. Vielleicht sollten wir ihre Theorien aufmerksamer zur Kenntnis nehmen. Denn möglicherweise haben sie etwas kapiert, was der Linken bislang noch nicht aufgegangen ist.

Revolution von links

Es war doch nicht die Aufdeckung eines sozialistischen Geheimplans, die die „Leugner“ davon überzeugte, beim Klimawandel handele es sich um eine Verschwörung der Linken. Vielmehr haben sie erkannt, was geschehen müsste, wenn die Emissionen weltweit so schnell und so drastisch gesenkt werden sollen, wie die Klimaforschung es fordert. Nur eine radikale Neuordnung unserer wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse könne dies bewirken. Diese jedoch ist schlicht unvereinbar mit ihrem Glauben an die „Freiheit der Märkte“. James Delingpole, ein britischer Blogger und Heartland-Stammgast, formulierte es so: „Die moderne Umweltbewegung bereitet vielen Dingen den Boden, die der Linken am Herzen liegen: Umverteilung des Reichtums, höhere Steuern, mehr staatliches Handeln und Regulierung.“ Heartland-Präsident Bast sagt es noch drastischer: Für die Linke „ist Klimawandel das Ding überhaupt [...]. Er liefert den Grund dafür, dass wir alles tun sollen, was [die Linke] sowieso tun wollte.“

Dieser unbequemen Erkenntnis sollten wir nicht länger ausweichen: Die Menschen haben nicht unrecht! Doch bevor ich fortfahre, möchte ich eines betonen: Was die wissenschaftliche Seite angeht, befinden sich die Heartlander – wie 97 Prozent aller Klimaforscher der Welt bestätigenvöllig im Irrtum. Schon heute führen die Gase, die bei der Verbrennung fossiler Energieträger in die Atmosphäre entweichen, zu einem messbaren Temperaturanstieg. Wenn wir nicht bis zum Ende dieses Jahrzehnts energiewirtschaftlich und -politisch völlig neue Wege gehen, wird es schon bald ein grausames Erwachen geben. Doch wenn es um die Konsequenzen dieser Forschungsergebnisse geht – besonders um den Charakter der erforderlichen tiefen Eingriffe nicht nur in unseren Energieverbrauch, sondern auch in die zugrunde liegende Logik unseres Wirtschaftssystems – ist die Versammlung der Klimawandel-Leugner im Marriott-Hotel vielleicht der Wahrheit beträchtlich näher als viele Umweltprofis. Ich denke da an solche, die Weltuntergangsszenarien infolge der Klimaerwärmung an die Wand malen, uns anschließend aber versichern, wir könnten die Katastrophe abwenden, indem wir „grüne“ Produkte kaufen und Emissionshandel betrieben.

Die Tatsache, dass die Erdatmosphäre die Kohlendioxidmenge, die wir in sie hineinpumpen, nicht mehr gefahrlos absorbieren kann, verweist auf eine wesentlich größere Krise. In Frage steht die zentrale Fiktion, um die unser Wirtschaftsmodell kreist: Dass die Natur keine Grenzen kennt und das wir stets mehr von dem, was wir brauchen, werden auftreiben können; dass eine restlos ausgeschöpfte Ressource durch eine andere ersetzt werden kann, die endlos verfügbar bleibt. Aber es ist ja nicht nur die Erdatmosphäre, die wir über die Grenzen ihrer Regenerationsfähigkeit hinaus ausbeuten – das Gleiche tun wir den Weltmeeren an, dem Trinkwasser, dem Erdboden und der Artenvielfalt. Es ist diese expansionistische, auf Raubbau hinauslaufende Geisteshaltung, die unser Verhältnis zur Natur so lange bestimmt hat. Eben sie stellt der Klimawandel nun fundamental in Frage. Die Fülle wissenschaftlicher Beweise dafür, dass wir die Natur über ihre Grenzen hinaus strapazieren, verlangt nicht nur nach grünen Produkten und marktkonformen Lösungen. Sie schreit geradezu nach einem neuen zivilisatorischen Paradigma – einem, das nicht auf Unterwerfung der Natur, sondern auf der Respektierung natürlicher Regenerationskreisläufe beruht. Und nach einem Gespür für natürliche Grenzen, die Grenzen der menschlichen Intelligenz inbegriffen.

In gewisser Weise hatte Chris Horner also recht, als er der Heartland-Gemeinde verkündete, Klimawandel sei gar nicht das Problem. Tatsächlich geht es vielmehr um eine Botschaft, einen Warnruf. Der Klimawandel macht deutlich, dass viele Vorstellungen, die uns lieb und teuer sind, sich nicht länger aufrecht erhalten lassen. Es handelt sich um Erkenntnisse, die uns alle herausfordern – uns alle, die wir mit den Fortschrittsidealen der Aufklärung groß geworden sind. Wir sind nicht daran gewöhnt, dass unsere Ansprüche und Bestrebungen an natürliche Grenzen stoßen. Das gilt für die etatistische Linke genauso wie für die neoliberale Rechte.

Die Heartland-Leute beschwören allerdings gerne das Gespenst des Kommunismus herauf, um die Amerikaner vom Klimaschutz abzuschrecken. (Vaclav Klaus, tschechischer Staatspräsident und ein gern gesehener Gast der Heartland-Konferenzen, stellt das Ziel, eine Klimakatastrophe zu verhüten, auf eine Stufe mit „den Ambitionen kommunistischer Planwirtschaftler, die ganze Gesellschaft zu kontrollieren“.) In Wirklichkeit war der Staatssozialismus der Sowjetzeit ein Klimadesaster. Bodenschätze beutete er genauso aus wie der Kapitalismus. Und ebenso rücksichtslos verschmutzte er die Umwelt: Vor dem Fall der Berliner Mauer stießen die Tschechen und Russen pro Kopf mehr Kohlendioxid aus, als beispielsweise die Briten, Kanadier oder Australier zusammen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Zwar verweisen manche auf den überraschenden Ausbau chinesischer Programme für erneuerbare Energien, um zu belegen, dass nur zentralistische Regimes die grüne Herausforderung bewältigen könnten. Doch gleichzeitig bleibt die chinesische Kommandowirtschaft darauf eingestellt, die Natur zu zerstören – durch den Bau von Megastaudämmen, Superautobahnen und den Kohleabbau.

In der Tat bedarf es nachdrücklichen Staatshandelns auf allen Ebenen, um der Klimabedrohung zu begegnen. Echte Lösungen sind nur jene Interventionen, die Macht und Kontrolle systematisch nach unten zu delegieren, sei es durch die Erzeugung erneuerbarer Energien in kommunaler Regie, durch regionale Bio-Landwirtschaft oder durch verantwortungsvolle Verkehrssysteme. Aber gerade vor diesen Veränderungen haben die Heartlander verständlicherweise Angst: Denn für diese neuartigen Lösungen wird man die Marktideologie abschütteln müssen, die die Weltwirtschaft seit über drei Jahrzehnten beherrscht. Deshalb versuche ich hier erst einmal einen kurzen Überblick zu geben, was eine ernstzunehmende Klima-Agenda auf den folgenden sechs Gebieten bedeuten würde: öffentliche Infrastruktur, Wirtschaftsplanung, Regulierung unternehmerischer Aktivitäten, Welthandel, Verbrauch und Steuerwesen. Für stramm-rechte Ideologen, wie die Heartland-Konferenz sie versammelte, bedeuteten die folgenden Ergebnisse nicht weniger als eine beispiellose intellektuelle Umwälzung.

1. Wiederbelebung und Neuerfindung des öffentlichen Raums

Nach so vielen Jahren des Recycling, der Verrechnung von CO2-Emissionen und des Glühbirnenaustauschs liegt auf der Hand, dass individuelle Verhaltensänderungen nicht ausreichen, um die Klimaproblematik in den Griff zu bekommen. Vielmehr stellt uns der Klimawandel vor ein gesellschaftliches Problem, das kollektives Handeln erzwingt. Entscheidend sind dabei aufwendige Investitionen in eine durchgreifende Verminderung des Schadstoffausstoßes. Das bedeutet U-Bahnen, Straßenbahnen und andere Nahverkehrssysteme, die nicht nur überall verfügbar, sondern auch für jedermann erschwinglich sind; energieeffiziente und bezahlbare Wohnungen entlang dieser Verkehrsverbindungen; intelligente Stromnetze für den Transport erneuerbarer Energien und massive Forschungsanstrengungen, die sicherstellen, dass wir die bestmöglichen Verfahren anwenden.

Für die meisten dieser Aufgaben ist der Privatsektor ungeeignet. Denn sie benötigen enorme Vorab-Investitionen und dürften zudem – wenn sie wirklich für alle erschwinglich sein sollen – keinen Gewinn abwerfen. Entscheidend aber ist, dass die Erfüllung dieser Aufgaben im öffentlichen Interesse liegt, weshalb sie auch vom öffentlichen Sektor erledigt werden sollten.

Herkömmlicherweise werden Kämpfe, die dem Schutz des öffentlichen Sektors gelten, als Auseinandersetzung zwischen unverantwortlichen Linken und praktisch denkenden Realisten dargestellt: Die einen wollen unbeschränkt Geld ausgeben, während die anderen begriffen haben, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Doch die Gefährlichkeit der Klimakrise schreit nach einem grundsätzlich anderen Realismusbegriff und zugleich nach einem neuen Verständnis der Grenzen. Defizitäre Staatshaushalte sind nicht annähernd so bedrohlich wie die Defizite, die wir den komplexen, lebenswichtigen Natursystemen zugefügt haben. Unsere Kultur dahingehend zu verändern, dass sie diese Art Grenzen zu respektieren lernt, wird uns eine gewaltige kollektive Kraftanstrengung abverlangen – um von den fossilen Brennstoffen loszukommen und unsere Infrastrukturen angesichts der heraufziehenden Stürme wetterfest zu machen.

2. Die Kunst des Planens

Es geht aber nicht um die Umkehrung des seit 30 Jahren anhaltenden Privatisierungstrends. Wenn wir die drohende Klimakatastrophe aufhalten wollen, müssen wir auch eine im Verlauf dieser Jahrzehnte des Marktfundamentalismus unablässig verteufelte Kunst wiederentdecken: die Planung. Planung in Hülle und Fülle! Und dies nicht nur auf nationaler und internationaler Ebene. Jede Gemeinde dieser Erde braucht einen Plan, wie sie den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern bewältigen will. Die Transition-Town-Bewegung nennt das einen „energy descent action plan“ – ein Aktionsprogramm für den Ausstieg. In den Städten und Gemeinden, die diese Aufgabe ernst nehmen, hat die partizipatorische Demokratie ungeahnte Spielräume eröffnet: Nachbarn tauschen in überfüllten Rathaussälen Ideen aus, wie man ihre Gemeinden reorganisieren könnte, um den Schadstoffausstoß zu senken und sich für die bevorstehenden harten Zeiten zu wappnen.

Der Klimawandel macht zugleich auch andere Formen der Planung erforderlich – besonders für jene Beschäftigte, deren Arbeitsplätze durch die Abkehr von fossilen Energieträgern obsolet werden. Ein paar Umschulungen auf „grüne Jobs“ reichen hier nicht aus. Die Betroffenen müssen wissen, dass am anderen Ufer vollwertige Arbeitsplätze auf sie warten. Das bedeutet, dass wir uns wieder darauf einlassen sollten, unsere wirtschaftlichen Angelegenheiten besser auf der Grundlage gemeinschaftlicher Prioritäten zu planen, als nach den Maßstäben privatwirtschaftlicher Profitabilität. Das eröffnete den entlassenen Beschäftigten von Autofabriken oder Kohlebergwerken Wege, neue Arbeitsplätze zu schaffen – etwa nach dem Beispiel der grünen Kooperativen von Cleveland, die von ihren Mitgliedern selbst betrieben werden.

Auch in der Landwirtschaft wird es zu einer Rückbesinnung auf die Kunst der Planung kommen müssen. Denn nur so kann es gelingen, der dreifachen Krise aus Bodenerosion, Extremwetterlagen und Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu entkommen. Wes Jackson, der visionäre Gründer des Land Institute in Salina/Kansas, fordert eine auf 50 Jahre angelegte „Farm Bill“. Soviel Zeit – schätzen er und seine Mitarbeiter Wendell Berry und Fred Kirschenmann – wird die nötige Forschungsarbeit und die Schaffung von Infrastrukturen brauchen, um die Landwirtschaft auf neue Grundlagen zu stellen: Viele den Boden auslaugende Getreidearten, die im Jahresrhytmus und in Monokulturen angebaut werden, müssen durch mehrjährige, in Mischkulturen angebaute Feldfrüchte ersetzt werden. Da mehrjährige Pflanzen nicht alljährlich neu ausgesät werden müssen, taugen ihre langen Wurzeln viel besser dazu, knappes Wasser zu speichern, den Ackerboden zusammenzuhalten und Kohlenstoff zu binden. Mischkulturen sind auch widerstandsfähiger gegen Schädlinge und fallen extremen Wetterlagen weniger leicht zum Opfer. Und noch ein Vorteil: Diese Art Ackerbau ist viel arbeitsintensiver als industriell betriebene Agrikulturen, was bedeutet, dass die Landwirtschaft erneut viele Arbeitsplätze schaffen könnte. Jenseits der Heartland-Konferenz und gleichgesinnter Versammlungen besteht kein Grund, sich zu ängstigen, weil die Planung zurückkehrt. Schließlich geht es nicht um ein Zurück zum autoritären Sozialismus, sondern um die Hinwendung zu wirklicher Demokratie. Das 30jährige Experiment mit einer deregulierten Wildwest-Wirtschaftsweise hat der übergroßen Mehrheit der Menschen weltweit nichts gebracht. Sind es doch gerade deren systembedingte Fehlleistungen, die so Viele dazu bringen, offen gegen ihre Eliten zu revoltieren, existenzsichernde Löhne und ein Ende der Korruption zu verlangen. Kurzum, der Klimawandel steht dem Verlangen nach einer neuen Wirtschaftsweise nicht im Wege, sondern macht diesen Wandel erst recht zum überlebenswichtigen Imperativ.

3. Bändigung der Konzernmacht

Zu den Schlüsselaufgaben der Planung, die es zu entwickeln gilt, gehört auch die rasche Re-Regulierung der Konzernwirtschaft. Hier können Anreize viel bewirken: Zuschüsse für erneuerbare Energien sowie den verantwortlichen Umgang mit Land und Boden beispielsweise. Zugleich werden wir auch gefährliches und zerstörerisches Verhalten wieder sanktionieren müssen. Dass bedeutet, der Unternehmerwirtschaft an vielen Fronten gleichzeitig in die Quere zu kommen: sei es durch strenge Obergrenzen für den Ausstoß von Kohlendioxid, durch das Verbot des Neubaus von Kohlekraftwerken, durch energische Maßnahmen gegen industrielle Fleischproduktion oder auch dadurch, dass die Erschließung schmutziger Energiequellen wie der Teersande von Alberta unterbunden wird. Nur ein winziger Teil der Bevölkerung ist der Auffassung, jegliche Einschränkung der Entscheidungsfreiheit von Unternehmern oder Verbrauchern führe zwangsläufig auf Friedrich von Hayeks „Weg zur Knechtschaft“ – und nicht zufällig steht dieses Bevölkerungssegment bei der Leugnung des Klimawandels in vorderster Front.

4. Relokalisierung von Produktionsstätten

Wenn es heute radikal klingt, Unternehmen strengen Regeln zu unterwerfen, um so dem Klimawandel entgegenzuwirken, so liegt das an einer Vorstellung, die seit Anfang der 1980er Jahre vielerorts geradezu als Glaubenssatz gilt: Aufgabe der Politik sei es, der Privatwirtschaft keine Steine in den Weg zu legen – insbesondere beim Außenhandel. Gerade aber die verheerenden Auswirkungen des Freihandels auf Industrieproduktion, lokale Gewerbe und Landwirtschaft sind jedoch mittlerweile nachgewiesen. Die Erdatmosphäre hat es dabei wohl am schlimmsten getroffen: Die Riesenfrachter, Jumbojets und Schwerlaster, die Rohstoffe und Fertigwaren rund um den Globus befördern, schlucken massenhaft fossile Brennstoffe und speien ebenso massenhaft Treibhausgase aus. Und die Billigprodukte – bestimmt, weggeworfen und nur selten repariert zu werden – verbrauchen ebenfalls eine Vielzahl nichterneuerbarer Ressourcen. Dabei erzeugen sie viel mehr Abfall, als die Umwelt verkraften kann. Dieses Modell bewirkt ein Maß an Vergeudung, das die bescheidenen Erfolge bei der Reduktion von Emissionen zunichte macht, ja um ein Vielfaches übertrifft. In den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ beispielsweise erschien vor kurzem eine Studie über die Emissionstätigkeit der Industrieländer, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet haben. Dieser Untersuchung zufolge beruhen die Stabilisierungserfolge teilweise darauf, dass der Welthandel diesen Ländern erlaubte, schmutzige Produktionslinien auszulagern, etwa nach China. Die Verfasser der Studie kamen zu dem Schluss, dass der Emissionszuwachs durch die Produktion von Gütern sechsmal größer ausfiel als alle Emissionseinsparungen der Industrieländer zusammen, wenn diese in Entwicklungsländern erzeugt, aber in Industrieländern verbraucht werden.

In einer auf die Achtung der natürlichen Grenzen ausgerichteten Ökonomie müssten intensive Langstreckentransporte daher rationiert werden – und damit jenen Fällen vorbehalten bleiben, in denen Güter nicht an Ort und Stelle produziert werden können oder wo der Kohlendioxidausstoß bei einer Vor-Ort-Produktion größer wäre. (So ist in den kälteren Landesteilen der USA der Treibhaus-Anbau von Obst und Gemüse oft energieintensiver als der Freiland-Anbau im Süden, trotz des notwendigen Bahntransports.)

Der Klimawandel bedeutet dabei nicht, dass wir auf Handel verzichten müssten. Allerdings zwingt er uns, jene rücksichtslose Form des „Freihandels“ aufzugeben, deren Geist heute jedes bilaterale Handelsabkommen ebenso beherrscht wie die Welthandelsorganisation WTO. Auch dies ist eine gute Nachricht – für Arbeiter ohne Arbeitsplatz; für Bauern, die mit billigen Importen konkurrieren müssen; für Gemeinden, aus denen die Fabriken ins Ausland verlagert und deren örtliche Gewerbe durch Kaufhäuser, Supermärkte etc. verdrängt wurden. Allerdings darf man nicht unterschätzen, welche Herausforderung dies für das kapitalistische Projekt darstellt: nicht weniger als die Umkehrung des Dreißigjahrestrends zur Beseitigung jeder erdenklichen Einschränkung der Unternehmermacht!

5. Schluss mit dem Shopping-Kult

Dass die vergangenen drei Jahrzehnte von Freihandel, Deregulierung und Privatisierung geprägt wurden, liegt nicht allein an gierigen Leuten, die auf immer größere Unternehmensprofite aus sind. Es handelte sich auch um eine Reaktion auf die „Stagflation“ der 1970er Jahre. Sie hatte einen starken Druck erzeugt, neue Wege für zügiges Wirtschaftswachstum zu erschließen. Die Bedrohung war durchaus real: In unserem derzeitigen Wirtschaftsmodell stellt ein Produktionsrückgang per definitionem eine Krise dar – eine Rezession oder sogar eine Depression, begleitet von all der Verzweiflung und Not, die diese Worte implizieren.

Dieses Wachstumsgebot führt konventionelle Wirtschaftswissenschaftler fast zwangsläufig zu der Frage: Wie können wir die Emissionen vermindern und doch zugleich weiterhin robuste Wachstumsraten erzielen? Die Antwort heißt üblicherweise „Abkoppelung“ – also die Vorstellung, dass erneuerbare und effiziente Energien Wirtschaftswachstum ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt zulassen. Und die Verfechter eines „grünen Wachstums“ wie Thomas Friedman wollen uns sogar weismachen, neue grüne Technologien und Infrastrukturen könnten zu einem gewaltigen Wirtschaftsaufschwung führen, der Dank eines höheren BIP die Mittel bereitstellt, „Amerika gesünder, wohlhabender, innovativer, produktiver und sicherer zu machen“.[1]

Doch hier wird es kompliziert. Der Konflikt zwischen wirtschaftlichem Wachstum und einer vernünftigen Klimapolitik ist wissenschaftlich immer besser erforscht – etwa durch die Untersuchungen des Umweltökonomen Herman Daly und seiner Mitarbeiter an der University of Maryland oder von Peter Victor an der York University sowie Tim Jackson von der University of Surrey oder die Arbeit des Umweltrechts- und Umweltpolitik-Experten Gus Speth. Sie alle äußern ernste Zweifel, ob die Industrieländer die Emissionen so stark vermindern können, wie es die Wissenschaft verlangt (bis 2050 um mindestens 80 Prozent unter den Stand von 1990), und ihre Volkswirtschaften gleichzeitig weiter wachsen lassen – und sei es auch nur im derzeitigen, eher schleppenden Tempo. Victor und Jackson vertreten die Auffassung, Effizienzsteigerungen könnten mit dem Tempo des Wachstums einfach nicht Schritt halten. Denn erhöhte Effizienz bringt fast immer vermehrten Verbrauch mit sich, was die Erfolge relativiert oder sogar zunichte macht (das sogenannte Jevons Paradox). Und solange die durch erhöhte Energie- und Materialeffizienz erzielten Einsparerfolge schließlich doch nur in fortgesetztes exponentielles Wirtschaftswachstum umgemünzt werden, wird das Ziel der Emissionsreduktion immer wieder durchkreuzt. Jackson bringt es in seinem Buch „Wohlstand ohne Wachstum“ auf den Punkt: „Wer Abkoppelung als Ausweg aus dem Wachstumsdilemma propagiert, sollte sich die Geschichte genauer ansehen – und das kleine Einmaleins der Wachstumsarithmetik.“[2]

Ausschlaggebend ist die Erkenntnis, dass eine Umweltkrise, die aus der Überkonsumtion natürlicher Ressourcen erwächst, nicht allein durch ökonomische Effizienzsteigerung bewältigt werden kann. Stattdessen muss diese damit einhergehen, dass wir weniger materielle Produkte herstellen und verbrauchen. Doch den großen Unternehmen, die die Weltwirtschaft dominieren, ist dieser Gedanke ein Dorn im Auge. Sie werden ihrerseits von Investoren kontrolliert, die Jahr für Jahr immer höhere Profite fordern. Wir stecken deshalb – mit Jacksons gesprochen – in der unerträglichen Zwangslage, entweder das System oder den Planeten gegen die Wand fahren zu lassen.

Der Ausweg besteht in einem geordneten Übergang zu einem anderen ökonomischen Paradigma, wobei es sämtliche erörterten Planungsinstrumente zu nutzen gilt. Wachstum bliebe für jene Weltgegenden reserviert, die noch darum kämpfen müssen, sich selbst von der Armut zu befreien. In der industrialisierten Welt würden derweil jene Sektoren, die nicht vom Drang nach alljährlich steigenden Profiten beherrscht sind – also der öffentliche Sektor, Kooperativen, lokale Gewerbe und Nonprofit-Einrichtungen – ihren Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit ausweiten. Das gleiche gilt für solche Sektoren, deren Aktivitäten kaum ökologische Auswirkungen haben – wie etwa die Pflegebranche. Auf diese Weise könnten sehr viele neue Arbeitsplätze entstehen. Die Bedeutung des privatwirtschaftlichen Sektors hingegen – mit seinem strukturell bedingten Bedarf an Umsatz- und Profitsteigerung – müsste schrumpfen. Wenn also die Heartland-Leute auf Beweise für einen vom Menschen bewirkten Klimawandel so reagieren, als brächten diese den Kapitalismus selbst in Gefahr, liegt das nicht daran, dass sie paranoid sind. Vielmehr daran, dass sie ganz einfach erkannt haben, was die Stunde geschlagen hat.

6. Besteuerung der Reichen und Superreichen

Aufmerksame Leser fragen sich nun sicher: Wie um alles in der Welt lässt sich das finanzieren? Früher wäre die Antwort einfach gewesen: Wir müssen schlichtweg wachsen! Tatsächlich sehen die Eliten einen der wesentlichen Vorzüge wachstumsbasierter Ökonomie darin, Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit permanent mit der Behauptung abwehren zu können, dass wir den Kuchen nur anwachsen lassen müssen, damit schließlich alle ein Stück von ihm haben können. Das war schon immer gelogen, wie die krisenhafte Zunahme der Ungleichheit in unseren Tagen zeigt. Aber in einer Welt, die allenthalben an ökologische Schranken stößt, überzeugt dieses Argument niemand mehr. Um die Lösung der Umweltkrise zu finanzieren, muss man die großen Geldtöpfe abschöpfen.

Das heißt, sowohl den Kohlendioxidausstoß als auch die Finanzspekulation zu besteuern. Es bedeutet höhere Steuern für die Konzerne und die Reichen, massive Kürzung aufgeblähter Militärhaushalte und die Abschaffung absurder Subventionen für Kohle-, Erdöl- und Erdgaskonzerne. Die Regierungen werden ihre Anstrengungen koordinieren müssen, damit die Konzerne dem nicht ausweichen können. Kurzum: Wir brauchen genau jene Art robuster internationaler Regulierung, vor denen die Heartland-Leute warnen, wenn sie prognostizieren, der Klimawandel bereite einer unheimlichen „Weltregierung“ den Weg.

Vor allem aber müssen wir an die Profite jener Konzerne herankommen, die die Hauptverantwortung für den gegenwärtigen Schlamassel tragen. Die fünf größten Ölkonzerne haben im vergangenen Jahrzehnt 900 Mrd. US-Dollar an Gewinn eingestrichen. Allein Exxon Mobil weist für ein einziges Vierteljahr 10 Mrd. US-Dollar Profit aus. Jahrelang haben diese Konzerne behauptet, sie nutzten ihre Gewinne, um in erneuerbare Energien zu investieren (wobei die Umdeutung des Kürzels BP in „Beyond Petroleum“ – also zu dem Slogan „Über das Öl hinaus“ – ein anschauliches Beispiel für diese Anstrengungen liefert). Einer Untersuchung des Center for American Progress zufolge flossen gerade einmal vier Prozent der 100 Milliarden US-Dollar an Gewinnen, die die großen Fünf 2008 zusammen auswiesen, in „Vorhaben auf dem Gebiet erneuerbarer und alternativer Energien“. Stattdessen fahren sie fort, die Gewinne in die Taschen der Aktionäre und in empörende Vorstandsvergütungen zu stecken. Neue Technologien werden nur dann gefördert, wenn sie auf die Förderung noch schmutzigerer und riskanterer fossiler Energieträger abzielen. Viel Geld fließt weiterhin in die Taschen der Lobbyisten, die gegen die Umweltschutzgesetze mobil machen, und in die Finanzierung der Klimawandel-Leugner, deren Bewegung im Marriott-Hotel tagte.

Die Zigarettenfirmen hat man einst verpflichtet, sich an den Folgekosten des Konsums ihrer Produkte zu beteiligen. Genauso hat BP für die Säuberung des Golfs von Mexiko zahlen müssen. Nun ist es an der Zeit, auch in Sachen Klimawandel das Prinzip durchzusetzen, dass die Verschmutzer selbst für die Folgekosten aufkommen müssen. Über eine stärkere Besteuerung hinaus werden die Regierungen auch weit höhere Lizenzgebühren aushandeln müssen. Nur so kann eine verminderte Förderung fossiler Energieträger dennoch mehr Geld in die öffentlichen Kassen bringen. Dieses Geld wird dringend benötigt: für die Hinwendung zu einer Zukunft jenseits des Kohlendioxid-Zeitalters sowie die heute schon gewaltigen Kosten des Klimawandels. Natürlich werden sich die Konzerne jeglichen Neuregelungen, die ihre Profite beschneiden, widersetzen. Aus diesem Grund darf man auf die Option der Verstaatlichung respektive Vergesellschaftung – für Marktgläubige das größte Tabu überhaupt! – keineswegs verzichten.

Wenn die Heartlander immer wieder behaupten, der Klimawandel sei in Wahrheit eine Verschwörung zur „Umverteilung des Reichtums“ und zum Klassenkampf, so fürchten sie am meisten die hier vorgeschlagenen Maßnahmen. Ihnen ist auch klar, dass der Reichtum – sobald der Klimawandel eine unumstrittene Tatsache ist – nicht nur innerhalb der wohlhabenden Länder umverteilt werden muss. Diese werden vielmehr – da ihre Emissionen die Krise verursacht haben – von ihrem Reichtum auch an ärmere Länder abgegeben müssen, die vor allem unter den Folgen der Klimaveränderungen zu leiden haben. Auch deshalb sind Konservative – und auch zahlreiche Liberale – so scharf darauf, die UN-Klimaverhandlungen zu sabotieren: Diese haben in einer Reihe von Entwicklungsländern die postkoloniale Courage wieder aufleben lassen, die viele schon allzu gerne abgeschrieben hatten. Gestützt auf wissenschaftliche Belege, wer für die Erwärmung der Erdatmosphäre verantwortlich ist und wer am schwersten unter ihren Auswirkungen zu leiden hat, gehen Staaten wie Bolivien oder Ecuador in die Offensive. Sie versuchen das Etikett „Schuldner“ loszuwerden, das ihnen aus Jahrzehnten der IWF- und Weltbank-Kredite anhaftet. Stattdessen erklären sie sich selbst zu Gläubigern: Die entwickelten Länder seien ihnen nicht nur das Geld und die Technologien schuldig, mit denen sie den Klimawandel bewältigen, sondern auch eine saubere Umwelt, in der sie sich entwickeln können.

Der Imperativ unserer Tage

Fassen wir also zusammen: Dem Klimawandel entgegenzutreten, bedeutet, dass wir buchstäblich jedes Marktfreiheitsdogma zu brechen haben – und zwar so rasch wie möglich! Wir müssen den öffentlichen Raum wiederherstellen, Privatisierungen rückgängig machen, die Wirtschaftsunternehmen zurück ins Land holen, die Überkonsumtion zurückschrauben, zu einer langfristigen Planung zurückkehren, Großunternehmen energisch regulieren und besteuern, manche womöglich sogar verstaatlichen, die Rüstungsausgaben zusammenstreichen und vieles mehr. Vor allem aber müssen wir anerkennen, was wir dem südlichen Teil unserer Welt schuldig sind.

All das hat natürlich die geringste Realisierungschance, wenn es nicht mit einer breit angelegten, massiven Anstrengung einhergeht, den Einfluss der Konzerne auf politischem Wege entschieden einzuschränken. Das bedeutet zumindest auch, der Praxis einen Riegel vorzuschieben, dass Konzerne den US-Wahlkampf finanzieren dürfen, als seien sie natürliche Personen mit Bürgerstatus. Stattdessen müssen die Wahlen vorrangig mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Kurz gesagt unterstreicht der Klimawandel die Dringlichkeit fast aller Forderungen, die progressive Kräfte seit langem stellen. Zugleich verknüpft er sie zu einer kohärenten Agenda – auf der Grundlage eines unzweideutigen, wissenschaftlich begründeten Imperativs.

Mehr noch: Der Klimawandel impliziert ein dröhnendes „Ihr wart doch gewarnt!“. Bereits Marx hatte von der „unüberwindlichen Kluft“ gesprochen, die zwischen dem Kapitalismus und „den natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Lebens selbst“ klaffe. Viele andere Linke haben ebenfalls vorhergesagt, dass ein Wirtschaftssystem, das auf der Entfesselung unersättlicher Gier basiert, die natürlichen Grundlagen und damit das Leben selbst zu zerstören droht.

Es verschafft jedoch kaum Genugtuung, angesichts der drohenden Klimakatastrophe Recht behalten zu haben. Für uns erwächst daraus eine Verantwortung: Nur eine Weltsicht, die bloßen Reformismus verwirft und stattdessen radikal die zentrale ökonomische Rolle des Profits hinterfragt – eine grün-linke Weltsicht – eröffnet die Möglichkeit, die multiple Gegenwartskrise doch noch rechtzeitig zu bewältigen. Ein Glaubensgebäude indes, das kollektives Handeln verteufelt und weiterhin auf die totale Entfesselung der Märkte schwört, lässt sich mit dem Imperativ unserer Tage schlichtweg nicht vereinbaren: nämlich der Notwendigkeit, gemeinsam und unter Aufbietung aller Kräfte aktiv zu werden und die Marktkräfte, welche die tiefe Krise herbeigeführt haben, ein für alle Mal zu bändigen.

Dieser Text, den wir hier in deutscher Erstveröffentlichung leicht gekürzt präsentieren, erschien zuerst in: „The Nation“, 28.11.2011. Die Übersetzung besorgte Karl D. Bredthauer.

 

 

[1] Thomas L. Friedman, Was zu tun ist. Eine Agenda für das 21. Jahrhundert“, Frankfurt a.M. 2009; vgl. auch: ders., Code Green. Warum wir eine grüne Revolution brauchen, in: „Blätter“, 1/2009, S. 65-78.

[2] Vgl. Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, München 2011; vgl. auch: ders., Die Postwachstumsgesellschaft, in „Blätter“, 6/2011, S. 75-84.

 

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