Wohltaten für den Wahlkampf

Koalition Weißer Rauch nach Verhandlungsmarathon: Das Betreuungsgeld kommt, die Praxisgebühr geht, und Schwarz-Gelb feiert die eigene Regierungsfähigkeit. Aber wo ist die Vision?

Nach drei Jahren Stillstand und Streit wollten und mussten CDU, CSU und FDP Zeichen setzen, um nicht schon lange vor der Bundestagswahl als sichere Verlierer dazustehen. Doch herausgekommen ist nach siebenstündiger Debatte erneut nur Stückwerk und längst Erwartetes. Jede der Parteien suchte nur ihr eigenes Profil zu schärfen, um für den Wahlkampf gut dazustehen. Ein gemeinsames Ziel, eine Vision, wie dieses Land und seine Menschen in die Zukunft zu führen seien, dafür reichten die Gemeinsamkeiten dieser Koalition von Anbeginn nicht.

Schon die Terminfindung für den Gipfel am Sonntagabend war erbärmlich und zog sich quälend hin. Dabei hatten CDU/CSU und FDP doch in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, einmal pro Bundestags-Sitzungswoche zusammenzukommen und die dringendsten Probleme zu behandeln. Doch selbst wenn endlich, wie beim Betreuungsgeld, eine Linie gefunden schien, wurde sie häufig schon am nächsten Tag von einem der Vertragspartner konterkariert.

Bildungskomponente als Bluff

Nun also soll er endgültig kommen, der als „Herdprämie“ kritisierte Zuschuss für Familien, die darauf verzichten, ihre Kinder in Institutionen betreuen zu lassen – allerdings erst im August, also mit siebenmonatiger Verspätung. Zwei Milliarden Euro wird das von Fachleuten, Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Opposition bekämpfte Geschenk an die CSU – in Bayern wird schließlich 2013 auch gewählt – den Steuerzahler jährlich kosten. Viel Geld, das besser dafür eingesetzt wäre, die gesetzlich vorgegebene Zahl von Kindertagesstätten zu schaffen und sie mit qualifiziertem Personal auszustatten. Das wird übrigens auch in weiten Teilen von FDP und CDU so gesehen.

Damit die Freidemokraten am Ende doch noch einwilligten, erhalten sie als Zuckerl das „Bildungssparen“. Wer das Betreuungsgeld für Studium oder Ausbildung der Kinder auf die hohe Kante legt oder zur Altersvorsorge nutzt, soll noch einmal einen monatlichen Bonus von 15 Euro vom Staat erhalten. Nur ist davon auszugehen, dass diejenigen, die das Betreuungsgeld einstreichen werden, eh mit jedem Cent rechnen müssen und gar nichts ansparen können. So wird sich also auch diese Zugabe, mit der sich die FDP nun brüsten kann, als Bluff erweisen.

Ein leichter Abschied

Ein echtes Pfund, mit dem die von der Fünf-Prozent-Hürde bedrohten Freidemokraten vor der Wahl wuchern kann, ist allerdings die Abschaffung der gemeinhin verhassten Praxisgebühr zum Ende des Jahres. Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet CSU-Chef Horst Seehofer die Gebühr für das Betreuungsgeld opfern musste. Denn eben dieser Seehofer war es, der 2003 mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Zehn-Euro-Zahlung pro Quartal aushandelte.

Bei aller Kritik an den Beschlüssen der vergangenen Nacht: Das Aus für die Zuzahlung ist nur vernünftig. Sie entfaltete nie die erhoffte Lenkungswirkung, die Zahl der Arztbesuche zu verringern. Im Gegenteil: Wer schon gezahlt hatte, sah dies oft als eine Art Aufforderung, sein „Eintrittgeld“ bis zum Quartalsende auch weidlich auszunutzen. Die Gebühr traf zudem nur die gesetzlich Versicherten und blähte den bürokratischen Aufwand erheblich auf. Allein der Verwaltungsaufwand soll nach Berechnung von Experten bei rund einem Drittel der jährlichen Einnahmen von rund zwei Milliarden gelegen haben.

Der Abschied von der Gebühr fällt um so leichter, als der Gesundheitsfonds derzeit gut gefüllt ist und eine ebenfalls diskutierte Senkung der Krankenkassenbeiträge den Versicherten nur zur Hälfte zugute gekommen wäre. Die anderen 50 Prozent hätten die Arbeitgeber eingestrichen.

Die Kleinen gewinnen

Die CSU kann sich nicht zuletzt damit trösten, dass der Etat von Verkehrsminister Peter Ramsauer nun ein weiteres Mal um 750 Millionen Euro für neue Investitionen aufgestockt werden soll.
Die großen Gewinner der vergangenen Nacht sind also die beiden kleinen Koalitionsparteien. Für die CDU blieben da beim Geschenkeverteilen nur ein paar Brosamen in Form der „Lebensleistungsrente“ übrig.

Eine mehr als dürftige Lösung, die die massenhaft drohende Altersarmut nicht einmal abmildert, auch wenn die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen am Vormittag großartig davon sprach, diejenigen, die lange gearbeitet hätten, müssten nun nicht zum Sozialamt und hätten nun ihre „eigene Rente“. Die soll aber gerade mal zehn bis 15 Euro über der Grundsicherung von 688 Euro liegen, und auch nur dann, wenn der Betreffende 40 Jahre lang eingezahlt und private Vorsorge betrieben hat.

"Strukturell ausgeglichen"

Wenn es bei den jetzigen Beschlüssen ans Kleingedruckte geht, bleibt von den vollmundigen Versprechen wenig übrig. So auch bei der Ankündigung, ab 2014 sollten keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Ein „strukturell ausgeglichener Haushalt“ wird da versprochen, von dem Milliardenzahlungen, etwa für den europäischen Rettungsschirm, ebenso ausgeklammert sind wie konjunkturelle Risiken.

Was ist so ein Beschluss wert? Da hätte die Koalition auch gleich noch festlegen können, dass es bald nur noch nachts regnet und am Tag die Sonne scheint – dann hätte sie die Energiewende gleich mit erledigt.

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Geschrieben von

Wolfgang Heininger

Der 53-Jährige war bereits mit 16 als Journalist tätig. Nach dem Studium kam er 1987 zur Frankfurter Rundschau. Zuletzt war er Nachrichtenredakteur.

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