Bisher war Andreas Wirsching, der im letzten Jahr zum Direktor des renommierten Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin berufen wurde, vor allem Fachkollegen und Studierenden ein Begriff. Nun legt der Autor auch für Leser jenseits der Seminare und Konferenzen eine faktengesättigte, vielschichtige Gegenwartsdarstellung Europas vor, die ebenbürtig Tony Judts Geschichte des Kontinents nach 1945 fortsetzt. Auch wenn er gewissen Klischees nicht immer entgeht und beispielsweise jeden Widerspruch, jedes Problem, jeden Konflikt oder jede Katastrophe pauschal als „Herausforderung“ wertet, avanciert Wirsching damit zu einem öffentlichen Intellektuellen – allerdings, durchaus in Absetzung von seinem Vorgänger Horst Möller, weniger konservativer als liberaler Provenienz: Denn der Schlüsselbegriff unserer Zeit ist für Andreas Wirsching die Freiheit. Wie sich Liberalisierung und Risiko zueinander verhalten, dem spürt der Autor in der ersten Gesamtdarstellung des Europas unserer Epoche nach, wobei der Optimismus in Wirschings dialektischem Zugriff überwiegt: Durch Krise zur Konvergenz lautet das Leitmotiv seines Buches.
Tatsächlich vollzogen sich speziell in Europa seit den 1980er Jahren Befreiungen in mehrfacher, widersprüchlicher Weise, von der Auflösung des sich real nennenden Sozialismus bis zur Entfesselung der Finanzmärkte.