Beim Essen sparen?

Lebensmittel Günstiges Einkaufen geht nur auf Kosten anderer. Zeit, unsere Gewohnheiten in Frage zu stellen
Ausgabe 19/2014
Beim Essen sparen?

Illustration: Otto

Wir müssen über eine Zahl reden. Denn es sind jetzt nur noch zehn Prozent des Einkommens, die in Deutschland durchschnittlich für Nahrung ausgegeben werden. Das hat die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen geantwortet, der Wert bezieht sich auf 2011 und ist ein neuer Minusrekord.

Ich hätte nicht gedacht, dass noch weniger geht. Deutschland liegt seit Jahren am untersten Ende der Skala, was die Lebensmittelausgaben angeht. Die Schweizer, die Österreicher, sogar die Briten, noch immer als die kulinarischen Banausen des Kontinents angesehen, lassen sich Essen mehr kosten.

Um das Thema aus meinem neuen Leben zu illustrieren: Als frischgebackener Kleingärtner, der nun Radieschen, Tomaten und Kartoffeln wachsen sehen will, stehe ich schon mal an Nachbarzäunen, auf der Suche nach guten Ratschlägen. Über die Hecke gefragt, was er anbaut, bekam ich von einem Gartenfreund die Auskunft: „Nüscht. Wieso auch? Da wächst gleich so eine Menge. Das meiste muss ich auf den Kompost werfen. Und wenn ich Obst und Gemüse kaufe, ist es doch viel billiger. Aber sag’s nicht weiter.“

Es ist diffizil, über dieses Thema zu reden. Auf der einen Seite sagen die zehn Prozent viel darüber aus, wie viel uns Ernährung wert ist. Mehr noch: Wie weit es mit dem Bewusstsein her ist, das Otto Normalesser in den jüngsten Jahren entwickelt hat, wie uns Studien auch immer wieder erzählen. Auf der anderen Seite bekomme ich, wenn ich immer mal wieder über das Thema schreibe, Reaktionen vor allem von Menschen, die erzählen, sie könnten sich einfach nicht mehr leisten als zu Lidl, Aldi oder Netto zu gehen. Die Elitarismus hinter der Kritik am Billigheimertum vermuten. Und sich den Schweinenacken oder das Hüftsteak auf dem Grill nicht verbieten lassen wollen.

Ich denke schon, auch für solche Leute muss man eine Antwort parat haben, warum sie sich teureres Essen leisten – oder in ihrem Kleingarten wieder Tomaten anpflanzen sollten.

Es stimmt auch: Billig muss nicht schlecht sein. Regelmäßig schneidet Discounterware in Lebensmitteltests mehr als passabel ab. Hinter teuren Etiketten verbirgt sich immer mal wieder ganz minderwertiges Zeug. Es ist die Marktmacht der großen Billigketten, die die Qualität durchsetzen kann. Sie nehmen so viel Ware ab, dass der Produzent zuweilen total abhängig wird und auch auf Qualität achtet, will er seine Existenz nicht ruinieren. Wären wir auf dem Arbeitsmarkt und nicht im Subunternehmerbereich, müsste man von Scheinselbstständigkeit sprechen.

Nun bin ich beim eigentlichen Thema. Auf dem Arbeitsmarkt nämlich, wo unser aller Discountermentalität am Ende bezahlt wird. Mit Werkvertragsarbeitern aus Osteuropa etwa, die unter sklavenartigen Bedingungen in deutschen Schlachthöfen arbeiten. Oder Billiglöhnern auf den Feldern. Erntehelfer gehören auch noch zu den ganz wenigen Berufsständen, für die derzeit eine Ausnahme vom Mindestlohn diskutiert wird. Viele von uns können sich leicht über die Qualen von Tieren in der Massentierhaltung aufregen. Weniger berichtet wird: Es geht in solchen Betrieben oft auch menschlich nicht artgerecht zu. Wussten Sie, dass Koch derzeit die Ausbildung mit einer der höchsten Abrecherquoten ist? Junge Menschen begeistern sich am Beispiel der Fernsehshowköche für das Metier, aber wenn sie merken, wie die Realität dahinter aussieht, verabschieden sie sich schnell. Kochen ist ein Knochenjob.

Dass wir alle bei Lidl einkaufen, ist der Kitt, der über die immer weiter auseinanderklaffenden Einkommensunterschiede die Gesellschaft weiter zusammenhält. Doch dafür müssen andere Leute bezahlen. Ich musste das mal loswerden.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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