Ausgabe Juni 2012

Mit Aufklärung gegen Salafismus

Frau Merkel sei gewarnt, verkündete der salafistische Prediger Abu Abdullah im Rahmen einer Demonstration in Köln im Mai 2012: Deutsche Bürger seien in arabischen Staaten nun nicht mehr sicher. Mit dieser dubiosen Drohung versuchte Abu Abdullah den Eindruck zu erwecken, die islamische Welt schaue auf Deutschland, weil hier Muslime diffamiert und unterdrückt würden. Nur allzu gern möchte er ein Szenario wie zum Karikaturenstreit aus dem Jahr 2006 heraufbeschwören. Tatsächlich hatte ja die rechtsradikale Pro-NRW-Bewegung dazu aufgerufen, Karikaturen vom Islam und seinem Propheten anzufertigen und sie vor Moscheen zu präsentieren, um Muslime zu provozieren. Allein: In der arabischislamischen Welt kümmerte sich im Jahr 2012 kein Mensch um die Pro-NRW-Karikaturen. Und auch die vier Millionen deutschen Muslime fielen weder auf die Propaganda von Rechtsradikalen noch auf die von islamischen Fundamentalisten herein. So blieben die radikalen Salafisten trotz aller Internet-Mobilisierung unter sich – und sorgten dann mit massiven Gewaltausbrüchen gegenüber Polizisten für große Empörung in der Öffentlichkeit. 

Wer sind die Salafisten?

Doch wer sind die Salafisten eigentlich? Und was wollen sie? Diese Fragen bleiben in der medialen Berichterstattung oft unbeantwortet. Der Begriff Salafismus bezieht sich auf das arabische Wort salaf für Altvordere, womit die Gefährten des Propheten Mohammeds und deren Nachfolger bezeichnet werden. Salafisten sind fundamentalistische Muslime. Als Regelwerk für sämtliche Fragen menschlichen Zusammenlebens lassen sie allein den Wortlaut des Koran und die Überlieferungen vom Propheten Mohammed (die sogenannte Sunna) gelten. „Menschengemachte“ Gesetze lehnen die Salafisten ab und leugnen auch, dass die religiösen Quellen interpretiert werden müssen. Stattdessen erheben sie ihr eigenes spezifisches Islamverständnis zum einzig wahren.

Vor diesem Hintergrund sind es zunächst andersdenkende und -lebende Muslime, auf die es die sunnitischen Salafisten abgesehen haben und die sie mitunter zu Ungläubigen erklären (takfir). Der radikalste Zweig des vor allem aus Saudi-Arabien weltweit ideologisch und materiell geförderten Salafismus befürwortet Gewalt und Terror zur „Verteidigung“ des Islam, den sie – etwa in Afghanistan – durch „den Westen“ bedroht sehen.

Insgesamt treten Salafisten hierzulande seit etwa sieben Jahren in Erscheinung. Von der relativ kleinen Szene der laut Verfassungsschutz rund 4000 salafistischen Fundamentalisten spaltete sich in den vergangenen Wochen ein Flügel von ein paar hundert Militanten ab, die nicht nur offensiv, sondern auch militant in der Öffentlichkeit auftreten.

Salafisten wollen ihre Sicht des Islam verbreiten und die Gesellschaft islamisieren. Dazu sollten in den vergangenen Wochen auch die Koranverteilungen in einigen Städten dienen. Dabei ist ihr Welt- und Islamverständnis patriarchal und antiliberal. Es kennt nur richtig und falsch, gut und böse, islamisch und unislamisch oder halal und haram. Es ist von der Forderung nach Gehorsam und Unterwerfung unter den vermeintlichen Willen Gottes geprägt, den salafistische Prediger genau zu kennen und zu vertreten vorgeben. So legen sie unter Berufung auf religiöse Quellen und einzelne Gelehrte genauestens fest, wie man sich kleiden muss, was man essen, trinken und was man sagen und denken darf und was nicht.

Wer sich daran hält und gehorcht, wird, so ihr Versprechen, mit dem Paradies belohnt – allen anderen drohe die Hölle. Salafisten sind also nicht erst antidemokratisch, wenn sie Gewalt legitimieren und anwenden, sondern auch in ihrem absoluten Wahrheitsanspruch, der Forderung nach Gehorsam, dem Verstoß gegen Gleichheitsgrundsätze, der Diffamierung Andersdenkender sowie der Ablehnung von Pluralismus, Parteien und Parlamenten.

Auf der Suche nach Anerkennung und Gemeinschaft

Vorrangige Zielgruppe salafistischer Propaganda sind Jugendliche und junge Erwachsene. Diese suchen – nicht zuletzt angesichts der kritischen Islamdiskurse in Politik und Medien in den vergangenen Jahren – verstärkt nach Wissen über ihren Glauben, der ein zunehmend wichtiger Bestandteil der Identität vieler muslimischer Jugendlicher geworden ist – unabhängig davon, wie religiös sie eigentlich sind.

Weil ihnen aber Imame und Eltern bei der Suche nach Informationen, die ihren Lebenswelten entsprechen, oft nicht weiterhelfen können, landen Jugendliche im Internet und damit schnell bei den Salafisten, die das Netz mit ihren Angeboten und ihrem Islamverständnis dominieren. Zwar sind den allermeisten muslimischen deutschen Jugendlichen die Salafisten peinlich. Dennoch erfahren diese vor allem unter vornehmlich männlichen, aber auch weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 35 Jahren Zuspruch. Denn sie finden hier, was viele von ihnen in ihrem Alltag vermissen: Anerkennung, Zugehörigkeit, (oftmals virtuelle) Gemeinschaft und ein Gefühl von Stärke – oder pädagogisch gesprochen: Selbstwirksamkeit. Das gilt insbesondere auch für die große Zahl der gerade erst zum Islam konvertierten jungen Salafisten, die vielfach brüchige und schwierige Biographien aufweisen.

Und noch etwas spielt bei der Attraktivität des Salafismus für junge Menschen eine wichtige Rolle: Die Möglichkeit, gegen gefühlte und erfahrene Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Diskriminierung protestieren und sich für eine gerechte Sache einsetzen zu können.

Denn eine zentrale Argumentationsstrategie salafistischer Propaganda besteht darin, existierende Diskriminierungen von Muslimen zuzuspitzen und diese ideologisch zu instrumentalisieren. So behauptete Pierre Vogel, der vielleicht bekannteste deutsche salafistische Prediger, dass der nächste Holocaust den Muslimen drohe. Zugleich forderte er, die Muslime müssten sich gegen eine ihnen feindlich gesonnene Umwelt zusammenschließen.

Daran wird auch deutlich, dass die Anziehungskraft, die vom Salafismus und seinen Predigern ausgeht, ganz von dieser Welt ist: Orientierung, Gemeinschaft, Anerkennung, Überlegenheit, Protest gegen Ungerechtigkeit sowie Provokation. Das sind sämtlich Angebote, die typischen Bedürfnissen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprechen.

Für manch einen Jugendlichen mag der Salafismus sein, was für andere einmal der Punk gewesen ist – eine Attitude maximaler Abgrenzung: Alle schauen auf mich und halten mich für gefährlich. Auf diese Weise erfahren sie hier genau das, wonach sie am meisten suchen: Aufmerksamkeit. Mit dem Islam im engeren Sinn hat das kaum etwas zu tun. Vergleichbare Motive können auch dazu führen, dass sich Jugendliche rechtsradikalen Milieus anschließen.

Die Gefahr ernst nehmen, aber Ruhe bewahren

So drängt sich die Frage auf, wie dieser Strömung und ihrer Ideologie begegnet und wie ihr vorgebeugt werden kann. Wichtig ist zunächst einmal, Ruhe zu bewahren. Populistische Panikmache wie das Gerede vom „Religionskrieg“, den die Salafisten betreiben würden, ist nur Wasser auf ihre Mühlen – einen größeren Gefallen kann man ihnen gar nicht tun. Das gilt auch für die jetzt erhobenen Forderungen nach Verboten: Es gibt nur wenige Strukturen und Einrichtungen in der Szene, die sich überhaupt verbieten ließen – ganz abgesehen von den juristischen Voraussetzungen, die das im Einzelnen erforderte.

Außerdem dürften die überdrehten Reden, das bisweilen bizarre Äußere und die militanten Auftritte des radikalisierten Flügels der Salafisten von ganz alleine zu Spaltungen innerhalb der Szene führen und dafür sorgen, dass sie unter „normalen“ Jugendlichen an Einfluss verlieren. Zu diesem Flügel zählen etwa der österreichische Prediger Abu Uthama al-Gharib („der Merkwürdige“, wie ihn der Leipziger Imam Hassan Dabbagh, selbst ein Salafist der ersten Stunde, in einem Internetvideo ironisch titulierte), der besagte Abu Abdullah oder der ehemalige Rapper Deso Dogg.

Trotzdem sollte man die Salafisten und ihren Einfluss auf keinen Fall unterschätzen oder gar bagatellisieren: Weil auch die „moderaten“ unter ihnen antidemokratische Positionen verbreiten, weil sie die Lebenswege von Jugendlichen und jungen Erwachsenen massiv beeinflussen, weil sie das Bild vom Islam mitbestimmen und auf diese Weise Integrationsprozesse behindern und natürlich weil wenige Einzelne in ihrer ideologischen Verblendung zu Attentätern werden können.

Um die Attraktivität des Salafismus zu minimieren, ist ein öffentlicher Diskurs erforderlich, der endlich herausstellt, dass der Islam und deutsche Muslime selbstverständlich und ohne Wenn und Aber zu Deutschland gehören. Insbesondere die Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter ihnen – gleich ob sie religiös sind oder nicht – sollten nicht durch beständige Vorhaltungen und Vorbehalte in eine Verteidigungshaltung und zur Selbstbehauptung gezwungen werden. In vielen Fällen führt dies erst in die Isolierung und macht einige am Ende sogar anfällig für Radikalisierungen.

Immunisierung gegen einfache Weltsichten

Dazu müssen auch die in Politik und Medien ständig wiederkehrenden Rückschlüsse von radikalen Überzeugungen und traditionalistischen Lebensformen auf „den Islam“ und „die Muslime“ aufhören. Zum einen, weil auf diese Weise Muslime und Migranten in Diskussionen um Islamismus, Gewalt, Geschlechterrollen oder Ehrenmorde noch immer unter Generalverdacht gestellt werden. Zum anderen, weil diese Gleichsetzung von Islamismus, Traditionalismus und Islam genau der fundamentalistischen Ideologie der Salafisten folgt, die es glänzend verstehen, sich selbst als Sprecher und Vertreter „der Muslime“ zu stilisieren.

Darüber hinaus muss ein Schwerpunkt der Begegnung und Prävention des Salafismus in pädagogischer Arbeit und politischer Bildung liegen: Hier können, das zeigen erste Erfahrungen aus Schulen und Jugendeinrichtungen, Jugendliche über den Salafismus aufgeklärt, sensibilisiert und gegen einfache Weltsichten immunisiert werden.[1] Da bieten die aktuellen Ereignisse sogar eine Chance – insbesondere auch für muslimische Pädagogen und Theologen, sich noch differenzierter und wirksamer vom Islam der Salafisten abzugrenzen. Bislang überlassen muslimische Einrichtungen noch zu oft jenen Strömungen das öffentliche Feld, die fundamentalistische, antidemokratische und traditionalistische Positionen vertreten und diese zum „wahren Islam“ erklären.

Demgegenüber gilt es, ein werte- und lebensweltorientiertes Islamverständnis zu betonen, das dem der Salafisten entgegensteht: Wie können Werte wie Toleranz, Friede, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, die selbstverständlich im Islam zu Hause sind, in der Gesellschaft gedacht und gelebt werden?

Wie wirksam das sein kann, zeigt die Arbeit mit muslimischen Jugendlichen: Nicht wenige von ihnen stecken in einem Loyalitäts- und Identitätskonflikt, da ihnen sowohl in ihren Familien und ihrer Gemeinschaft, als auch seitens der nichtmuslimischen Öffentlichkeit allzu häufig suggeriert wird, nur eines sein zu können – islamisch und herkunftsbewusst oder demokratisch und deutsch.

Signalisiert man ihnen jedoch Anerkennung und zeigt, dass sie sehr wohl beides sein können, sieht man nicht selten, wie ihnen sprichwörtlich eine Last von den Schultern fällt. 

 

[1] Vgl. die Kurzfilmreihe „Islam, Islamismus und Demokratie“ für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen auf www.ufuq.de/projekte sowie die Broschüre von Claudia Dantschke, Ahmad Mansour, Jochen Müller und Yasemin Serbest, „Ich lebe nur für Allah“. Argumente und Anziehungskraft des Salafaismus, Schriftenreihe Zentrum demokratische Kultur, Berlin 2011.

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In der Mai-Ausgabe analysiert Alexander Gabujew die unheilige Allianz zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping. Marion Kraske beleuchtet den neu-alten Ethnonationalismus und pro-russische Destabilisierungsversuche auf dem Balkan. Matthew Levinger beschreibt, wie Israel der Hamas in die Falle ging. Johannes Heesch plädiert für eine Rückbesinnung auf die demokratischen Errungenschaften der jungen Bundesrepublik, während Nathalie Weis den langen Kampf der Pionierinnen im Bundestag für mehr Gleichberechtigung hervorhebt. Und Jens Beckert fordert eine Klimapolitik, die die Zivilgesellschaft stärker mitnimmt.

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