Ein junger Mann, vor wenigen Tagen ist er 26 Jahre alt geworden, beschließt im Spätsommer 1960, ein Haus zu kaufen. Es liegt in den Bergen der Insel Hydra, etwa fünf Fährstunden vom Athener Stadthafen Piräus entfernt. Drei Stockwerke, fünf Zimmer, dicke, weißgetünchte alte Mauern, ein überwältigender Blick über die Berge – den Hauskauf wird er später oft als die klügste Entscheidung seines Lebens bezeichnen.
Reich ist er nicht, er lebt von spärlichen Tantiemen und Stipendien aus seiner Heimat Kanada, wo er mit einigem Erfolg einen Gedichtband veröffentlicht hat. Doch für den Hauskauf, lächerliche 1.500 Dollar soll es kosten, reicht die Erbschaft seiner Großmutter aus. Einen Bürgen hat er auc
hat er auch: Den gleichaltrigen Freund und Maler Demetri Gassoumis, dessen Familie mütterlicherseits seit 1850 auf Hydra lebt. Und so erreicht bald darauf eine junge Frau namens Marianne Ihlen in Oslo ein Telegramm: „Ich habe ein Haus. Alles was ich brauche, sind meine Frau und ihr Sohn. Leonard.“Sieben Jahre lebt Leonard Cohen mit der schönen Norwegerin Marianne Ihlen zusammen – die meiste Zeit in jenem Haus. Seinen Fans wird diese Beziehung im Nachhinein ein Begriff durch einen seiner bekanntesten Songs „So Long, Marianne“. 1967 verlässt Cohen Marianne und auch Hydra. „Für mich war die Zeit gekommen“, so erzählte er es beinahe 40 Jahre später, „wieder ein wenig unglücklicher zu werden.“ Es sollte ihm grandios gelingen.In Großburgwedel wäre das nicht drinDieser Tage erscheint das zwölfte Studioalbum des großen Melancholikers und Popromantikers. Durch einen Zufall fällt das ausgerechnet in eine Zeit, in der die Geschichte eines anderen Hauskaufs die Deutschen beinahe um den Verstand bringt. Es geht um die Kaufsumme, einen Bürgen und allgemeinen Mangel an Takt und Stil. Vor dem Hintergrund der Affäre Wulff kann man wohl nur feststellen, dass Leonard Cohen damals – noch vor dem Beginn seiner eigentlichen Karriere – so ziemlich alles richtig gemacht hat. Die Insel Hydra, die man sich als das Manufactum unter den griechischen Inseln (keine Autos, keine Plastikstühle, keine Leuchtreklame, kein Lärm) vorstellen kann, ist heute einer der teuersten Immobilienstandorte Griechenlands. Leonard Cohens Haus soll inzwischen mindestens das Tausendfache wert sein. Beim Haus in Großburgwedel wäre eine derart positive Wendung – rein rechnerisch – wohl höchstens durch eine Hyperinflation möglich.Nicht mit allen seinen Entscheidungen hat Cohen ein ähnlich glückliches Händchen bewiesen. So muss er 2008, mit 74 Jahren, aus Geldmangel noch einmal auf Welttournee gehen. Eine ehemalige Managerin hat ihn um Millionen gebracht. Auch sonst läuft vieles in seinem Leben alles andere als glatt. Das turbulente Boheme-Leben im New Yorker Chelsea Hotel, die Affären (unter anderem mit Janis Joplin, was im Song Chelsea Hotel #2 recht explizit verewigt ist), die umjubelten Konzerte und die über 2.000 Coverversionen seiner Songs sind das eine. Doch kämpft er gleichzeitig mit Depressionen, schluckt die dreckigsten Drogen und trinkt drei Flaschen Rotwein, bevor er eine Bühen betritt. 1993 zieht er sich für mehrere Jahre in ein Kloster zurück. Danach folgen zwei weitere Alben. Am bekanntesten aber werden die frühen Stücke bleiben: „Suzanne“, „So long, Marianne“, „The Sisters of Mercy“, „Waiting for the Miracle“, „First We Take Manhattan“ und „Hallelujah“.Mit einem BeatOld Ideas heißt nun das zwölfte Album und es beginnt mit einer Zwiesprache Leonard Cohens mit sich selbst. Einen kurzen Moment lang verleitet die Geige, mit der dieser Song beginnt, zu dem Gedanken, dieses „Going Home“ könnte einen Schlusspunkt markieren. Vor dem geistigen Auge tauchen Studiobosse auf, die ihre Hände reiben, in Aussicht all der Melodrame und wirklich anspruchsvollen TV-Serien, deren Abspänne sie mit diesem Song unterlegen werden, wie sie es gefühlte hundert Jahre mit „Hallelujah“ getan haben. Dann achtet man auf die Worte, die Cohen mit merklich gealterter Stimme singt, vom Sportsmann, dem „Lazy Bastard“, der in seinem Anzug wohnt, und ist einigermaßen beruhigt.Man würde sich wünschen, es bliebe bei dieser Nüchternheit, und würde er allein auf sich vertrauen, es wäre wohl so. Aber Cohen singt nicht alleine, auf dieser Platte begleiten ihn neben den Weggefährtinnen Sharon Robinson und Jennifer Warnes die deutlich jüngeren Webb Sisters und Dana Glover, die mit Songs für die Filme Shrek und The Wedding Planer – verliebt, verlobt, verplant bekannt wurde. Diese Lieblichkeit muss einem liegen, sonst wird man ausgerechnet beim Hören dieses Albums dem Zynismus verfallen, dem Leonard Cohen im Alter nun erfolgreich die Stirn bietet.Die Radiojournalistin Kari Hesthamar hat 2006 nicht nur Leonard Cohen in L.A., sondern auch Marianne Ihlen in Norwegen besucht. In einer der berührendsten Szenen des Features über Cohen spielt Hesthamar ihm eine Aufnahme von „So Long, Marianne“ vor, die sie auch bei Marianne in Norwegen abgespielt hat. Immer wieder ertönt die Stimme der inzwischen auch über Siebzigjährigen hell über dem Refrain. Dieser Moment bleibt auf Old Ideas unerreicht.Bei einem Pressegespräch zum neuen Album in London wurde Leonard Cohen von einem dänischen Journalisten gefragt, ob er sich mit dem Tod abgefunden habe. „Ich bin, wenn auch widerstrebend, zu dem Schluss gekommen, dass ich sterben werde“, antwortete der. „Diese Fragen kommen selbstverständlich und müssen beantwortet werden. Aber wissen Sie, ich würde gerne mit einem Beat abtreten.“