Vier alte Männer in engen Anzügen

Musik Kraftwerk gehört zur unkritisierbaren Elektropop-Avantgarde. Warum das ein Fehler ist, erklärt Timon-Karl Kaleyta, Kopf der gefeierten Band Susanne Blech
Ausgabe 22/2014

Wo geschlossen Einigkeit herrscht, wird es schnell langweilig. Im Falle von Kraftwerk lässt sich sagen, dass der Diskurs an sein komfortables Ende gekommen ist. Niemand mit Verstand würde noch etwas Unehrenhaftes über die Elektropop-Avantgarde aus Düsseldorf sagen, ohne sich lächerlich zu machen. Die popkulturellen Referenzen sind eindeutig, der Fall ist gelöst, die Akte geschlossen – Kraftwerk, klar, genial. So läuft das.

Um das ganze Ausmaß dieser institutionalisierten Heldenverehrung wahrnehmen zu können, muss man vielleicht – wie ich – irgendwann einmal von außen nach Düsseldorf gezogen sein. Hier zimmern sie von früh bis spät gemeinsam am Mythos. Fleißige Studenten bereiten Tagungen und Symposien vor und die Wissenschaft hat ordentlich was zu forschen. Man könnte sagen, Kraftwerk haben sich vom Musikarbeiter zum Musikarbeitgeber emporgearbeitet.

Aber meist findet man sein Lebensthema ohnehin nur zufällig. Wäre ich damals statt in Düsseldorf in Köln gelandet, würde ich vermutlich über De Höhner schreiben, wobei die beiden Bands mehr verbindet, als man denkt. Die einen sangen 1979 fröhlich Ich ben ne Räuber und erfanden damit den Karneval, während die anderen nur ein Jahr zuvor mit „Wir sind die Roboter“ schon einen Schritt weiter waren.

Aber das ist ein anderes Thema, mein Argument geht so:

Anfang 2013 gaben Kraftwerk ihre MoMA-Konzerte in der Kunstsammlung NRW und gekommen waren alle, die sich einig waren, dass man dorthin kommen müsse, inklusive mir. Vier alte Männer in engen Aufzügen machten das einzig Sinnvolle und spielten ihre uralten Songs gleich neben den Luftfeuchtigkeitsmessgeräten. Damit wirklich nichts schief gehen konnte in punkto Überwältigungsästhetik, durften die Besucher 3-D-Brillen aufsetzen und einer visuellen Übertreibung zusehen, zu der netterweise Musik lief.

Der eigentliche Scherz spielte sich abseits ab. Auf einer angeschlossenen Konferenz, auf der es natürlich(!) nichts Neues zu berichten gab, wurden noch einmal alle Thesen zur Musikarbeiterschaft, zum Gesamtkunstwerk und zum Kittler’schen Mediendeterminismus fein säuberlich wiederholt. Die Tagung plätscherte vor sich hin, als plötzlich ein Mann aufstand und sagte: „Entschuldigung, ich habe damals bei Kraftwerk gespielt und die ersten beiden Alben mit aufgenommen. Leider muss ich sagen, dass alles, was hier gesagt wurde, großer Unsinn ist.“

Das war natürlich ein Schock, doch anstatt einmal interessiert nachzufragen, wurde die Tagung schnell zu einem Ende gebracht. Die Angst, im Wissenschaftsdiskurs von der vermeintlich banalen Wirklichkeit eingeholt zu werden, stand mächtig im Raum, die Studenten schauten humorlos zu Boden. Ein erhabener Moment akademischer Überinterpretation. Wunderbar. Heute jedenfalls sind Kraftwerk endgültig dort, wo Ralf Hütter – das letzte verbliebene Gründungsmitglied – ohnehin immer hinwollte, ordnungsgemäß verwaltet im Museum. Düsseldorf hat es ihnen auf diesem Weg nicht allzu schwer gemacht. Wobei Hütter schlau genug ist, sich sämtliche Fragen zur Band zu verbitten, weiß er doch, dass er dazu längst nichts mehr beitragen kann.

Wie schrieb Rainald Goetz noch mal in Rave? „Nach acht Minuten war das schon ein Witz, das ganze blöde Kraftwerk-Konzert. Eine Zeitreise vielleicht, jedenfalls eine Tortur. (...) der Stumpfsinn und Schwachsinn der angeblichen Götter, der Väter und Gottväter dieser Musik. Kasperltheater. Scheußlich.“

Na ja, ganz so streng muss man nun auch wieder nicht sein. Willkommen im Museum.

Welt verhindern Susanne Blech Cat in the Box 2014

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Geschrieben von

Timon-Karl Kaleyta | Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

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