Ein Machtmensch war Lothar Bisky nicht. Es mag vielleicht erstaunlich klingen, so etwas über einen Mann zu sagen, der so viele verschiedene politische Ämter ausgeübt hat. Bisky war Parteivorsitzender, Abgeordneter im Bundestag und im Brandenburgischen Landtag und im Europaparlament. Nur Minister war er nie. Das einzige Mal, dass er sich dazu entschlossen hatte, ein Amt außerhalb seiner Partei anzustreben, wurde daraus nichts. Der Bundestag versagte ihm die Mehrheit, als er 2005 als Bundestagsvizepräsident kandidierte. Er nahm es hin, wie vieles, das ihn geärgert hat. Und er machte weiter, so als ob nichts gewesen wäre. Das war eine seiner Stärken: seine manchmal an Sturheit grenzende Beharrlichkeit.
Wahrscheinlich war es für seine Partei sogar ei
i sogar ein großer Vorteil, dass Bisky sich im Grunde nicht sonderlich für Macht interessierte. Seine Leidenschaft galt vielmehr linken Idealen. Das war der Grund, warum er 1959 von Schleswig-Holstein, wo er als Flüchtlingskind aufgewachsen war, in die DDR ging. Und das machte ihn später zu einem idealen Partner für Gregor Gysi. Der eine war der besonnene und intellektuelle Strippenzieher im Hintergrund, der dem anderen witzigen, manchmal auch etwas oberflächlichem Politentertainer die Freiräume schuf, um die damalige PDS in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Ohne die beiden lief in den neunziger Jahren, in denen der eine Parteivorsitzender und der andere Fraktionschef war, so gut wie nichts. Sie waren die zwei Gesichter der PDS.Auf zu neuen WegenDiese Rollenaufteilung funktionierte fast perfekt und war nicht nur von parteipolitischer Bedeutung. Denn die PDS hatte in den Jahren nach der Wende auch eine wichtige Rolle bei der politischen Integration vieler DDR-Bürger in die neue Republik. Wenn dies im Großen und Ganzen gelang, war es auch ein Verdienst von Lothar Bisky. Darin liegt ein großer Unterschied zu Angela Merkel oder Joachim Gauck. Die beiden haben nach der Wende schnell ihren Frieden mit den neuen Verhältnissen geschlossen und sich auf den Marsch durch die westdeutsch dominierten Institutionen gemacht. Biskys Sache war das nicht. Er sah seine Aufgabe darin, die ehemaligen SED-Mitglieder mitzunehmen auf die Reise in ein neues Deutschland. Aus den realsozialistischen Irrtümern machte er nie einen Hehl, aber er schätze auch die Biografien der Ostdeutschen nicht gering.Ein guter Redner war Bisky nie. Wer ihn einmal auf einem Parteitag sprechen hörte, konnte sich kaum vorstellen, wie dieser Mann eine Partei führen konnte. Er holperte durch seine Redemanuskripte, und die manchmal exotische Betonung der Silben verwirrte den Zuhörer immer wieder. Den Delegierten war das egal. Denn zu sagen hatte Bisky Einiges, auch wenn er es manchmal etwas kompliziert verpackte. Was er für richtig hielt, setzte er durch. Gegen seinen Willen lief (fast) nichts in der Partei.Im Jahr 2000 gab Bisky den Parteivorsitz schließlich entnervt ab. Er habe keine Lust mehr, die „finale Mülltonne“ zu sein, sagte er damals. Die sieben Jahre an der Parteispitze hatten ihn aufgerieben. Denn Biskys Aufgabe an der Spitze der PDS hatte vor allem darin bestanden, die verschiedenen Flügel der Partei zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass die debatten- und streitfreudigen Genossen sich nicht immer mit sich selbst beschäftigten. Die relative Geschlossenheit war ein Grund für die Wahlerfolge der PDS in den neunziger Jahren.Seiner Partei bekam der Abgang schlecht. Kaum war der große Integrator weg, stritten die Genossen erbittert mit sich selbst. Die Quittung kam postwendend: Von 2002 bis 2005 war die PDS nur mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten.Doch Bisky zog sich nicht lange zurück nach Brandenburg, wo er seit 1990 Abgeordneter war. Schon 2003 übernahm er auf flehentliche Bitten der gesamten Parteiprominenz wieder den Bundesvorsitz. Als nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 die gemeinsame Liste von WASG und PDS mit 8,7 Prozent der Stimmen in den Bundestag einzog, spielte der väterliche Integrator noch einmal eine wichtige Rolle – diesmal beim Zusammenwachsen der ost- und der westdeutschen Parteihälften. Im Juni 2007 schlossen sich WASG und PDS schließlich unter seinem Vorsitz zur Linkspartei zusammen.Die ehemaligen SPD-Leute um Oskar Lafontaine brauchten eine Weile, bis sie verstanden hatten, dass der zurückhaltende und uneitle Bisky durchaus kein Leichtgewicht war. Im Gegenteil: Nur einer wie er konnte es fertig bringen, Hardliner, pragmatische Regierungslinke, gestandene IG-Metaller und ehemalige westdeutsche K-Gruppenanhänger unter einen Hut zu bringen. Doch auch einer wie Bisky stieß an seine Grenzen: Gegen Ende seiner Amtszeit hatte er genug von Lafontaine und den ständigen Querelen zwischen Ost- und Westlinken. 2010 kandidierte er nicht mehr für den Parteivorsitz und zog sich, wie er es nannte, nach Europa zurück. Er nannte das einen „vernünftigen Abgang ohne Krach und ohne Blessuren für alle Beteiligten, auch für mich“.Nach seinem Wechsel nach Straßburg wurde es stiller um ihn. Er ließ es sich dennoch nicht nehmen, seiner Partei immer wieder ins Gewissen zu reden. Zuletzt im Februar. Da sagte er in einem Interview: „Die Neigung, sich mit ideologischen Debatten zu beschäftigen, die keine Sau interssieren, ist eine linke Krankheit.“Die Frage, ob jemand wie Lothar Bisky auch heute noch eine vergleichbare politische Karriere machen würde, müsste man wahrscheinlich mit Nein beantworten. Aber für die linke in der neuen vergrößerten Bundesrepublik war er der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er wird der Linken fehlen. Und nicht nur der.