Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Suleyman Tasköprü, Habil Kilic, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgut und die Polizistin Michèle Kiesewetter. Es sind die Opfer des Zwickauer Neonazi-Mordtrios – zehn von insgesamt mehr als 150 Menschen, die Rechtsextremisten seit der Wiedervereinigung umgebracht haben.
Genau ein Jahr liegt die Entdeckung der Zwickauer Nazizelle zurück. Die Anklage gegen die mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe steht bevor. Ansonsten aber scheint fast alles beim Alten.
Wir erinnern uns an das Leid der Angehörigen, die mit dem Verdacht gequält worden waren, in die Mordtaten verwickelt zu sein. Die Verhöre waren erschreckend – und kein Ermittler, der sich bei den Famili
ch bei den Familien entschuldigt hätte. Dagegen müssen sie, die Öffentlichkeit sowie vier Untersuchungsausschüsse seit einem Jahr die Arroganz ertragen, mit der die Sicherheitsbehörden hinter einem Wortschwall ihr Versagen zu verbergen suchen.Aufklärung verhindertTäglich sickern Nachrichten über Pannen und Fehlverhalten durch, und es wird sichtbar, dass das Gezerre um Zuständigkeiten die Aufklärung verhinderte. Die in der Geschichte der Bundesrepublik größte Sonderkommission von Bundes- und Länderpolizeien sowie Geheimdiensten stocherte seit 2008 im Nebel ihrer eigenen Vorurteile. Seit dem 4. November 2011 steht daher für einen großen Teil der Öffentlichkeit fest: Auf dem rechten Auge waren sie blind.Statt sich wenigstens stellvertretend im Namen des beamteten Sicherheitsapparates bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen, trat der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Klaus-Dieter Fritsche, jüngst vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages derart hochmütig auf, dass es den Abgeordneten die Sprache verschlug. Zwischenfragen ließ er nicht zu. Vorwürfe zu Fehleinschätzungen wies er empört zurück.Dass der thüringische Innenminister die Akten des Landesverfassungsschutzes über den Nationalsozialistischen Untergrund ungeschwärzt an den Untersuchungsausschuss des Bundestages senden ließ, brachte die geheimen Dienste dagegen in Wallung. Über „Geheimnisverrat, Anzeigen und vor Gericht gehen“ wurde räsonniert. Bei solcher Selbstüberschätzung bleibt offen, ob es dem Untersuchungsausschuss des Bundestages gelingen kann, die Dienste zu selbstkritischer Prüfung anzustiften.Wegducken und WegguckenAber es geht um mehr und nicht nur darum, die Dienste effizienter, ihre Koodinierung leichter und ihre Zusammenarbeit besser zu machen. Bemerkenswert ist schon die Zähigkeit, mit der die Polizeien der Länder und der Verfassungsschutz zu vermeiden suchen, Straftaten als rechtsextremistisch zu identifizieren, selbst wenn Täter einschlägig bekannt sind. So viel Beharrungsvermögen auch wider besseren Wissens lässt vermuten, dass mancher im Polizeidienst für diese Arbeit ungeeignet ist.Aber findet sich eine solche Haltung nicht auch inmitten der Gesellschaft, wo vielerorts Wegducken und Weggucken gilt, sei es in der Kommune, in einer Schulklasse oder bei manch heillosem Alltagsrassismus am Arbeitsplatz? Und sollten die Medien nicht ebenfalls darüber nachdenken, ob es nicht neben der Ereignisberichterstattung Aufgabe wäre, auch kontinuierlich über die eigentlichen Ziele der neuen Nazis aufzuklären?Zur Politik: Die Auseinandersetzung um die vom Bundesfamilienministerium geforderte sogenannte Extremismusklausel ist auch angesichts der NSU-Terrorserie keine Marginalie. Denn die Mitfinanzierung des Bundes für Projekte gegen Rechtsextremismus wird davon abhängig gemacht, dass Initiativen gegen Rechts sich schriftlich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Das wäre ja vielleicht noch erträglich. Aber sie werden zugleich aufgefordert, auch für ihre Partner zu haften, gegebenenfalls deren Haltung durch eigenständige Recherche zu überprüfen und zu dokumentieren. Das ist Gesinnungsschnüffelei und schwächt den zivilen Widerstand gegen Rechts. Die überflüssige Klausel muss schleunigst fallen.Die Lichterketten halfen nichtUnd die Parteien? Da wäre schon geholfen, wenn die allgemeine Fremdenfeindlichkeit nicht auch noch befeuert würde. Hier ist es vornehmlich die CSU, die populistisch daherschwätzt. Selbst der bayerische Ministerpräsident glaubt, vor „Einwanderung in die Sozialsysteme“ warnen zu müssen, denn Deutschland sei nicht „das Sozialamt der Welt“. Wer Altersarmut fürchtet und auf die alternde Gesellschaft verweist, der sollte Einwanderer einladen und nicht gegen sie hetzen. Bei massiv zurückgehenden Geburtenraten sind die sozialen Sicherungssysteme nur zu retten, wenn sich Deutschland als Einwanderungsland verstehen lernt.Nach Mauerfall und Vereinigung geriet der rechtsextreme Rand der Gesellschaft in Bewegung. Er war weder in Rostock-Lichtenhagen noch in Mölln, Siegen oder Düsseldorf mit Lichterketten aufzuhalten. Es wartet die Aufgabe, der im Schock der Mordserie gefassten Entschließung des Bundestages Leben einzuhauchen. Dort heißt es: Wir wollen in einem Land leben, in dem „alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen (…) und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind“. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.