Geht doch gar nicht. Da finden gleich zwei wichtige Wahlen an den beiden nächsten Wochenenden statt. Da hat die Parteiführung den Bundesparteitag extra ins Wahl-Bundesland Schleswig-Holstein gelegt. Und was machen diese Piraten dann da oben in Neumünster? Nichts.
Also so gut wie nichts. Stimmen darüber ab, ob die Parteispitze in Zukunft für zwei Jahre gewählt werden soll (Nein), und wie hoch der Mindestmitgliederbeitrag sein soll (48 Euro pro Jahr). Ärgern sich über Journalisten (die ihnen Nazi-Nähe unterjubeln wollten) und ärgern Journalisten (weil sie während einer Abstimmung die Kameras abschalten mussten). Und machen sonst 1.500 Mensch hoch das ganze Wochenende nichts als: wählen.
Wählen ihren Vorsitzenden Sebastian Nerz ab (und machen ihn zum 2. Vorsitzenden) und installieren als neuen Vorsitzenden einen Regierungsdirektor aus dem Verteidigungsministerium (Bernd Schlömer), der vorher schon der 2. Vorsitzende war. Und bestimmen den Geschäftsführer und den Generalsekretär und die Schatzmeisterin und die Beisitzer und das Schiedsgericht und die Kassenprüfer. Und in den Auszählungspausen: Satzungsänderungsanträge abstimmen. Gähn. Hätte man da nicht eine packende, mitreißende, motivierende Rede für die Wahlkämpfer (und die Fernsehkameras) halten müssen? Dem politischen Gegner eins auf die Mütze geben und sich selbst die Wange streicheln müssen? Die eigenen Positionen und die möglichen Koalitionen noch einmal bekräftigen?
Eben nicht. Die Piratenpartei ist in Neumünster ihrer politischen Linie treu geblieben. Nämlich keine zu haben. Das entscheidende bei den Piraten ist nicht, für welche Inhalte sie stehen, sondern in welcher Form sie umgesetzt werden sollen. Politik ist für alle, und soll von allen gemacht werden, ist die maximaldemokratische Forderung der Piratenpartei, und zumindest partei-intern haben sie eindrucksvoll gezeigt, dass das geht. Obwohl die Partei inzwischen an die 30.000 Mitglieder hat, gab es keine Delegiertenversammlung, sondern ein für alle Mitglieder offenes Treffen. Und obwohl daraus ein komplettes Chaos hätte werden können (worauf sich viele Außenstehende auch schon gefreut hatten), haben die Mitglieder diszipliniert und (selbst-)organisiert einen ziemlich perfekten Parteitag durchgezogen.
Eines haben die Piraten dabei sicherlich in den letzten Wochen gelernt, als ihnen nach eigener Wahrnehmung der „Welpenschutz“ abhanden kam: Offenheit für Inhalte kann nicht völlige Beliebigkeit heißen, es gibt Positionen, die sind mit einer demokratischen Partei nicht kompatibel. Das war denn auch die einzige wirkliche inhaltliche Festlegung an diesem Wochenende: die Abgrenzung nach rechtsaußen, gegen Antisemitismus und Holocaust-Leugnung. Und die früh und deutlich genug, dass die internationalen Korrespondenten sich schon am Samstagnachmittag friedlich ins Wochenende verabschieden konnten.
Dass alle gleichberechtigt mitreden und -entscheiden können, haben die Piraten in Neumünster partei-intern unter Beweis gestellt. Jetzt müssen sie das gleiche Prinzip nur noch das außerhalb der Partei funktionsfähig machen: in der Gesellschaft. Dafür brauchen sie weder knackige Positionen noch stabile Koalitionen, sondern brauchbare Instrumente, und eine Chance, den übrigen Parteien einen Einstieg in die Maximaldemokratie abzutrotzen. Je schwieriger die Mehrheitsbildung nach den kommenden Landtagswahlen wird, desto mehr dürfen wir uns von diesen Piraten erwarten.
Detlef Gürtler, geboren 1964, ist Wirtschaftsjournalist und Chefredakteur der Zeitschrift GDI Impuls. Er betreibt außerdem den taz-Blog Wortistik. Im vorigen Jahr erschien beim Murmann Verlag seine Streitschrift