Erst die „Frankfurter Rundschau“, dann die „Financial Times Deutschland“ – der Sensenmann geht um in der journalistischen Holzklasse. „Endzeit ist in der Printbranche längst kein Wetterphänomen am Horizont mehr. Endzeit ist jetzt“, stellt der Feuilletonist der „Süddeutschen Zeitung“, Hans Hoff, treffend fest. Derweil geht die große Litanei über den Niedergang des „Qualitätsjournalismus“ unaufhörlich weiter. Denn, weiß FAZ-Herausgeber Werner d’Inka: „Wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden ist, bleibt nur noch das Geschwätz.“
Angesichts derart apokalyptischen Geschwurbels erscheint es geboten, ein wenig Wasser in den Wein zu gießen. Denn allzu oft lag diese „Qualität“ wahnsinnig neben der Spur, wie insbesondere die FTD beweist. Wie heißt es doch in der Mitteilung „In eigener Sache“ der drei Chefredakteure der „Financial Times Deutschland“ zu deren Ableben: „Die FTD steht seit ihrer Gründung im Jahr 2000 für die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Wir haben in den vergangenen fast 13 Jahren vieles angestoßen und verändert im deutschen Wirtschaftsjournalismus. Darauf sind wir stolz.“
Potztausend, soviel Stolz im Augenblick der eigenen Einstellung? Wenn es nicht bereits wie eine Satire klänge, man müsste sie erfinden. Denn was bedeutet diese schöpferische Zerstörung en détail? Konkret bedeutet es, dass diese Zeitung in den knapp 13 Jahren ihrer Existenz „mehr als 250 Mio. Euro gekostet“ hat. So teilte es das neue, für die Einstellung verantwortliche Gruner+Jahr–Vorstandsmitglied, die frühere FTD-Redakteurin Julia Jäkel der Redaktion mit, um daraufhin zu jammern: „Sie haben Maßstäbe gesetzt, an denen sich andere orientieren.“ Und, so die Krönung der Selbstbeweihräucherung: „Es geht ein bedeutendes Kapitel deutscher Publizistik zu Ende.“
250 Millionen Miese – in nur einer Dekade – allein durch dieses bedeutende „Kapitel deutscher Publizistik“? Sieht so etwa, allen FTD-Edelfedern wie Lucas Zeise zum Trotz, der deutsche „Qualitätsjournalismus“ aus? Sind das die „Maßstäbe, an denen sich andere orientieren“? Nein, bei aller inzwischen üblichen Lobhudelei in eigener Sache („Qualität vor Kommerz!“): Das kann das Erfolgsrezept des zukünftigen Journalismus wohl doch nicht sein.
Buhmann Internet
Aber natürlich, wen wundert’s, ist der Verantwortliche für den eigenen Niedergang von den Herren der FTD schnell gefunden: „Wir haben die schöpferische Zerstörungskraft des Internets“ – aha, die Katze ist aus dem Sack – „zwar seit unserer Gründung so intensiv beschrieben wie kein anderer in Deutschland. Es ist uns allerdings nicht gelungen, darauf aufbauend ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das unseren Anspruch an Journalismus zu finanzieren vermag.“
Natürlich, das böse, böse Internet ist schuld. Auch FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sieht wieder einmal den Untergang des Abendlandes dräuen und stimmt ebenfalls ein in die große Litanei über das world wide web, das die großen Erwartungen an einen neuen investigativen Journalismus nicht erfüllt habe. Der Haken an der Sache: Der, dessen Erwartungen stets in den Himmel schießen, muss notwendigerweise enttäuscht werden. Speziell die vielleicht etwas bescheideneren Erwartungen der jungen Leser scheint das Netz dagegen zu befriedigen. Andernfalls wären sie wohl nicht längst alle drin. „Also hinterher!“, müsste daher doch eigentlich der Auftrag unserer Herren und Damen Qualitätsjournalisten lauten!
Und hier beginnt die eigentlich spannende Frage: Warum wird nicht jetzt der wirkliche Versuch gestartet? Bisher, könnte man argumentieren, war die Lage offenbar nicht existenziell genug. Warum aber finden sich nicht jetzt – endlich – die erforderlichen Pioniere, um ein neues Projekt einer Internetzeitung zu starten? Wo, kurzum, bleibt das Schöpferische der Zerstörung? Immerhin stehen jetzt eine Menge bewährter Journalisten auf der Straße.
Das Scheitern der „Kreativen“
Doch warum haben es all die klugen „Kreativen“, die sich seit jetzt über zehn Jahren im Internet tummeln, einfach nicht geschafft, ein derartiges Projekt einer Internetzeitung auf die Beine zu stellen? Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens, eine ganz schlichte: Sie sind gar nicht so klug. Zweitens: Sie haben sich bisher vielleicht nicht hinreichend intensiv mit der Frage beschäftigt.
Auch das kann sein. Und es wäre nicht einmal die schlechteste Antwort. Dann sollte man es – jetzt erst recht – endlich auf den Versuch ankommen lassen. Könnte jetzt die Zerstörung nicht endlich schöpferisch werden? Die werten drei FTD-Chefs scheinen jedenfalls unbeirrbar daran festhalten zu wollen: „Denn wir glauben an Qualität und wir glauben an die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Und als Wirtschaftsjournalisten wissen wir, dass jeder schöpferische Prozess auch neue Geschäftsmodelle hervorbringt.“
Gut gebrüllt, Ihr wackeren Schumpeterianer! Aber, leider, leider, offenbar hat Eure neue Chefin den Glauben an die Zeitung nicht nur als Medium, sondern gleich auch als Projekt glatt verloren. Am Freitag, den 7. Dezember, erschien die letzte gedruckte FTD, und auch ftd.de wurde eingestellt. Schade, jetzt hätte die Probe aufs Exempel einmal greifen können. Aber so schöpferisch wollten die stolzen Zerstörer aus dem Hause Gruner+Jahr dann wohl doch nicht mehr sein.
Die FR ist tot, es lebe die FR.de!
Doch was im Falle der FTD noch verschmerzbar ist, wäre im Falle der FR wirklich ein Jammer. Denn diese, nach der „Berliner Zeitung“ die zweite nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Tageszeitung, steht in der Tat für ein „bedeutendes Kapitel deutscher Publizistik“. Dieses ging intellektuell allerdings bereits mit der Schrumpfung der stolzen, großen FR auf Tabloid-Format zu Ende – und wurde mit den verschiedenen Zusammenlegungen zur angeberischen „Produktionsgemeinschaft“ mit der „Berliner Zeitung“ lediglich hinausgeschoben. Eine Fortführung der derart ausgemergelten FR im realen Leben erscheint daher reichlich irreal – denn auch sie machte, in gedruckter Form, Jahr für Jahr millionenfache Miese. Für die „Marke FR“ gilt das keineswegs. Die nämlich könnte auch im Netz weiter- und damit überleben. Denn was macht schon intellektuell-inhaltlich den Unterschied aus – zwischen einem in der Zeitung oder im Netz gelesenen (vielleicht sogar ausgedruckten) Kommentar von Jutta Roitsch oder einem Feuilleton von Wolfram Schütte? Die Gedanken sind schließlich weiter frei; the medium ist eben nicht the message. Und die alten Autorinnen und Autoren stehen längst Gewehr bei Fuß, um an „ihrer FR“ weiter mitzuarbeiten – notfalls sogar ohne Honorar.
Gewiss, wir haben heute eine andere Form von Öffentlichkeit – eine pluralere, weniger geordnete als in den Hochzeiten der guten, alten FR. Doch das Bedürfnis nach Meinungsbildung und Orientierung ist dadurch nicht geringer geworden. Das beweisen etwa die täglichen „Nachdenkseiten“ des SPD-Linksabweichlers Albrecht Müller. Sie haben eine immense Nachfrage – und inzwischen kann die kleine Redaktion von dem Projekt sogar fast leben. Es wäre daher aller Ehren wert, ein derartiges virtuelles FR-Projekt – etwa wie die „Huffington Post“, aber eben von links-liberaler Ausrichtung – auf die Beine zu stellen. Wenn es denn tatsächlich stimmt, wie ein kluger Kommentator im Internet (sic!) schreibt, dass die Zeitung dann verloren hatte, als der Laptop auf dem Frühstückstisch stand – dann muss man die Zeitung, oder genauer: das Prinzip Zeitung, eben endlich in den Computer bringen, als virtuelle Redaktion. Die FR ist tot, es lebe die FR.de!