Bildung ist wie Fußball

Schulwesen Die Bildungspolitik der Bundesrepublik ist ein Flickenteppich. Zeit für eine Vereinheitlichung?
Ausgabe 19/2014

Auf Einladung der Kultusministerin trifft sich in Nordrhein-Westfalen ein runder Tisch, um über die Zukunft des Gymnasiums zu beraten: Soll es acht oder neun Jahre dauern? Das achtjährige Gymnasium war bis vor kurzem noch der große Hit in Deutschland. Eingeführt werden konnte es nicht überall zugleich. Da war der Föderalismus im Weg. Seit einiger Zeit ist das achtjährige Gymnasium nicht mehr sehr beliebt. Zurück zum neunjährigen Gymnasium kann man jetzt aber auch nicht überall. So macht man es hier mal so, dort mal anders und in Düsseldorf eben mit einem runden Tisch.

Schon erhebt sich darüber wieder das Geschimpfe auf den Föderalismus als Widersacher der Bildungspolitik. Deutschland – ein Flickenteppich, lautet das Schlagwort. Aber ist das berechtigt? Ist dem Föderalismus nicht vielmehr dafür zu danken, dass mancher Unfug, der in den vergangenen 40, 50 Jahren im Schulwesen Einzug halten sollte, dort nur begrenzt Platz greifen konnte, weil eben die Länderhoheit in Bildungsfragen ein einheitliches Durchregieren verhinderte?

Schaut man auf die Bildungsgeschichte der Bundesrepublik und der DDR, begegnet man zwei Modellen, die beide ihre Erfolge und ihre Misserfolge zeigen. In der alten Bundesrepublik waren die Ergebnisse sehr unterschiedlich, in der DDR einheitlich. Leute von links, auch solche, die dem Staat Ulbrichts und Honeckers keineswegs kritiklos gegenüberstanden, rühmen bis heute die Leistungen der Schulen in der DDR. Das hört man in jeder Bildungsdebatte etwa des Deutschen Bundestages. Gerühmt wird die Effizienz des Unterrichts, der Erfolg bei den Schülern. Das geschieht gewiss zu Recht. Aber wer diesen Schülern mehr als die Hälfte der aktuellen Weltliteratur vorenthält und auch den Zugang zu weiten Teilen philosophischer, historischer und belletristischer Literatur überhaupt, der kann kaum Anspruch darauf erheben, auf den Schulen umfassende Bildung zu vermittelt zu haben. Da können Gysi oder Claus behaupten, was sie wollen. Das ist Ausbildung für den Arbeitsmarkt. Das mag kurzfristig den Betriebsleitern in unterbesetzten Werken gefallen. Darüber, ob es langfristig nicht Defizite bewirkt, muss diskutiert werden. Es lag und liegt nicht nur am Antikommunismus des materiell stärkeren Westens, dass den vielen bedeutenden historischen oder philosophischen Büchern aus den Jahren der alten Bundesrepublik kaum eines aus der DDR gegenübersteht.

Man kann – bös, aber nicht ganz falsch – die Ausbildungseffizienz solcher Schulen als Bereitstellung von Menschenmaterial für den Arbeitsmarkt bezeichnen. Das war auch in der alten Bundesrepublik versucht worden. In den 60er-Jahren kämpften der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Seit an Seit gegen das bürgerliche Gymnasium: der SDS, weil es bürgerlich war, der BDI, weil es humanistisch war. Zuerst setzten SPD und FDP gemeinsam in Nordrhein-Westfalen eine daran orientierte Schulpolitik durch. Mit dem Ergebnis, dass inerhalb von wenigen Jahren das Bundesland im Bildungsbereich von einer Spitzenposition auf einen Platz bei den Schlusslichtern herabsank. Den hat es bis heute inne.

Wir haben in Deutschland Jahrzehnte einer immer wieder ausufernden Pädagogik- und Didaktikdiskussion hinter uns. Die einst gigantische Zahl von Broschüren und Traktätchen ist längst geschrumpft, die Institutionen dafür sind geblieben. Gegen dieses Unheil war der Föderalismus ein Segen. Es war nicht die Verwissenschaftlichung der Schulpolitik, die den jüngsten Bildungsschock hervorrief. Es war Pisa. Aber auch manche Folgerungen, die aus Pisa gezogen wurden, haben wenig mit Bildung zu tun. Evaluiert die Bildungspolitik zugunsten der Bildung!

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