Sehnsucht trifft auf Willen

Mit Real und Atletico Madrid treffen zwei sehr unterschiedliche Klubs im Finale der Champions League aufeinander

  • Frank Hellmann, Lissabon
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Madrider Stadtduell des Champions-League-Finals von Lissabon kommen die Trennlinien zwischen Real und Atletico klar zum Vorschein.

Inzwischen ist es unmöglich geworden, in der portugiesischen Hauptstadt dem Trubel ums anstehende innerspanische Champions-League-Finale zu entkommen. Die Touristen aus aller Welt, die sonst die Flaniermeile Rua Augusta zwischen Rossio und Triumphbogen bevölkern, haben das Terrain einer jüngeren Generation überlassen, die die Hemden ihrer Helden tragen. Am Samstag sollen es mehr als 100 000 sein. Die Mehrzahl von ihnen hat keine Karte fürs Estadio da Luz ergattern können, also folgen sie den Fähnchen an den Straßenzügen hin zum Praça do Comércio, wo sich Lissabon zum Rio Tejo weiträumig öffnet. Das Reiterdenkmal von König José I in der Platzmitte ist trotzdem eng umstellt: Hier können seit Donnerstag beim offiziellen »Champions Festival« kleine Fußballturniere auf Kunstrasen gespielt werden. Am Samstagabend wird im großen Stil Public Viewing veranstaltet, was vor allem dazu dient, die Geldgeber dieses aufgebauschten Großereignisses ins rechte Licht zu rücken.

Zu den meistfotografierten Objekten gehören zwei versetzte mannshohe Tafeln, auf denen jeweils fünf Spieler der Endspielteilnehmer abgebildet sind. Das Quintett unter dem Aufdruck Real Madrid CF zu identifizieren, ist leicht. Von links blicken Fábio Coentrão, Gareth Bale, Cristiano Ronaldo, Angel di Maria und Karim Benzema hinab. Das tapfere Häuflein unter der Aufschrift Club Atletico de Madrid zu verifizieren, kommt einem Ratespiel gleich. Ja, das könnte Kapitän Gabi sein. Und auch Diego Costa ist dabei. Oder nicht? Spätestens hier zeigt sich, dass die Trennlinien zwischen den Finalisten viel schärfer verlaufen als gedacht. Da sind die unterschiedlich ausgeprägten Klubs, die bekanntlich sogar das spanische Königshaus spalten: König Juan Carlos ist für Favorit Real, Kronprinz Felipe für Atletico.

Hier die einst Galaktischen, dieser prosperierende, inzwischen immerhin halbwegs profitable Unterhaltungsbetrieb Real, der aus dem historischen Kontext als »weißes Ballett« unter seiner Legende Alfredo di Stefano nach Weltgeltung strebt. Der Stars und Sternchen wie Zinedine Zidane, Luis Figo oder David Beckham zeitgleich anstellte und nun keinen Geringeren als Cristiano Ronaldo mitbringt, der als Weltfußballer in die Heimat seiner Jugend zurückkehrt. Die Königlichen machen 500 Millionen Euro Umsatz, waren 13 mal im Finale des Wettbewerbs und gewannen ihn neunmal. Es ist zur Obsession gewachsen, die Sehnsucht nach »La Decima« (der Zehnten) im Estadio da Luz endlich zu stillen.

Auf der anderen Seite die »Colchoneros«: der im ärmeren Süden der spanischen Hauptstadt beheimatete und beliebte, aber finanziell nicht auf Rosen gebettete Arbeiterverein Atletico, der seinen Spitznamen aus einst gebräuchlichen rot-weißen Matratzen ableitet. Ihr bester Spieler, der eingebürgerte Brasilianer Costa, ist angeschlagen und hat sich an eine Wunderheilerin gewandt, um fit zu werden. Nur einmal hatte Atletico die Hand am Henkelpott, bis Bayern Münchens »Katsche« Schwarzenbeck in letzter Minute alle Träume zerschoss. 40 Jahre ist das her.

Dass 2014 ein Verein mit einem Budget von 120 Millionen Euro diese Bühne betreten darf, gilt in der von finanzieller Großmannssucht dominierten Königsklasse als Aufstand. Reals Sehnsucht stellt Atletico unbeugsamen Willen entgegen.

Für die unterschiedlichen Charaktere der Mannschaften stehen ihre Trainer. Carlo Ancelotti ist der Ruhepol bei Real. Der Italiener versucht den Druck von seinen vielen Stars zu nehmen. Der 54-Jährige kann darauf verweisen, dass er die Champions League als Spieler und Trainer bereits je zweimal gewann. Wenn es geht, soll die künstlerische B-Note nicht zu kurz kommen - Ancelotti weiß das auch. Hier und da passt er Reals Taktik zwar den Gegebenheiten an, ohne aber die Ideale seines Arbeitgebers zu verraten, wie es sein Vorgänger José Mourinho tat.

Diego Simeone ist der Antreiber bei Atletico. Dem Argentinier ist Opferbereitschaft wichtiger als Ballbesitz. Wenn es nicht anders geht, scheint Atleticos Spielverderbern fast jedes kämpferische Mittel recht. Simeone hat nichts dagegen, wenn seine Überfalltaktik wie eine Weiterentwicklung der Mourinho-Schule aussieht.

Und wie gehts nun aus am Samstag in Lissabon? Ancelotti meint: »Mit der richtigen Einstellung wird alles gut.« Simeone glaubt an mehr Leidenschaft bei den seinen. »Die Chancen stehen 50:50.«

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