Nur im Notfall gilt Plan B

Stehvermögen Trotz aller Unwägbarkeiten führen deutsche Firmen ihre Ukraine-Geschäfte weiter wie gehabt. Einige Mittelständler investieren sogar
Ausgabe 19/2014
Nur im Notfall gilt Plan B

Bild: Alexander Khudoteply / AFP

Laut der Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI), die Auslandsmärkte analysiert, bietet die Ukraine „deutschen Unternehmen durch die Kehrtwende Richtung Westen neue Möglichkeiten“, so ein GTAI-Bericht vom 24. April. Das Land könne dank des Assoziierungsabkommens mit der EU Schritt für Schritt „zu einem zweiten Tschechien“ werden.

Der deutsche Schleifmittelspezialist Klingspor ist da deutlich vorsichtiger. Seit 2010 unterhält das Unternehmen eine Filiale in Welyki Mosty an der Grenze zu Polen und errichtet gerade eine dritte Halle, um Diamant-Trennscheiben zu fertigen. Man baue „mit gebremstem Schaum“, meint Roland Kaschny, Ukraine-Chef der Firma. „Ich treffe mich häufig mit anderen Unternehmern. Alle haben einen ‚Plan B‘, bei dem davon ausgegangen wird, dass die östlichen Regionen verloren gehen.“

Für Thomas Baumann, Referatsleiter Russland beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), sind Sezessionsszenarien „viel zu spekulativ“. Auf der Krim sei zwar Schaden entstanden, „aber wir sollten nicht so weit gehen, den Fall für die Ostukraine weiterzuspinnen“. In der Westukraine dagegen, wo sich unter anderem deutsche Zulieferer für die EU-Automobilindustrie niedergelassen hätten, sei die Lage stabil und überschaubar. In diesem Raum beschäftigt Klingspor gut 300 Mitarbeiter, ein Zehntel der weltweit fast 3.000 Angestellten des Unternehmens. Derzeit, so Roland Kaschny, könne man bei den Ausfuhren von der ökonomischen Talfahrt des Landes profitieren, da die ukrainische Griwna etwa 50 Prozent an Wert verloren habe. „Wenn Betriebe Devisen einnehmen, sind für sie die Lohnkosten, die sie weiter in Griwna zahlen, durch den günstigen Wechselkurs klar niedriger.“ Auch Klingspor nutze diesen Windfall-Profit, wenn auch begrenzt, da man 40 Prozent seiner hiesigen Produktion in der Ukraine selbst absetze – auf der Krim mit steigender Tendenz.

Was für exportorientierte Firmen Zusatzgewinn ohne Zusatzleistung bedeutet, ist aus Sicht der Ukrainer ein drastischer Abschlag bei ohnehin kargen Löhnen. Ende 2012 lag der durchschnittliche Bruttoverdienst bei 3.000 Griwna, zum damaligen Kurswert etwa 290 Euro. Nicht ohne Grund setzt das World Economic Forum die Ukraine von der Wettbewerbsfähigkeit her – sie ergibt sich aus dem Verhältnis von Lohn und Produktivität – unter 148 Staaten auf Platz 26, vor Polen und Deutschland. Im Moment jedoch sind 3.000 Griwna nur noch 190 Euro wert. Mit harten Folgen für die Bevölkerung an Ladentheken und Zapfsäulen. Auch die Subventionen für Gas werden nach den Kreditbedingungen von IWF und EU abgeschmolzen. Für den DIHK-Experten sind damit soziale Verwerfungen absehbar, trotzdem gäbe es Anreize für Neuinvestitionen, etwa beim EU-Ukraine-Projekt „Energieeffiziente Stadt“.

Mit einem jähen Rückzug der gut 2.000 deutschen Unternehmen, die im Ukraine-Geschäft aktiv sind und seit 1994 rund sieben Milliarden Euro investiert haben, ist nicht zu rechnen. Auch wenn in den letzten Jahren einige wegen fehlender Rechtssicherheit das Land verlassen haben.

So wurden Ende Februar Fälle bekannt, nach denen deutsche Filialen verstärkt von Kriminellen bedroht seien. Die Quarzwerke Gruppe aus Frechen bei Köln, die in der Provinz Winnyzja südwestlich von Kiew seit 2006 produziert, berichtete Entsprechendes. Thomas Baumann vom DIHK relativiert die Vorkommnisse. „Es handelte sich um einen Versuch früherer Anteilseigner, die bereits herausgekauft worden waren, die Lage auszunutzen.“ Reale Gefahren gäbe es kaum. Was nichts daran ändere, dass Neuinvestitionen momentan vielfach auf Eis gelegt würden. „Es gibt keine Garantien, ob die Ostukraine künftig noch der ukrainischen Rechtsprechung unterliegt“, glaubt Baumann.

Leichtfertig will niemand seine Zelte abbrechen. Auch nicht die deutsche Leoni AG. Seit 2004 nutzt der Kabelspezialist Standortvorteile und lässt in seiner westukrainischen Niederlassung Nezhukhiv etwa 5.000 Menschen für sich arbeiten. „Wir produzieren dort Kabelsätze und Bordnetzsysteme für die europäische Automobilindustrie. Die Verarbeitung in der Ukraine verlangt einen hohen Anteil an manueller Arbeit und ist kein besonders umsatzstarker Bereich“, sagt Leoni-Sprecher Sven Schmidt. Doch denke in der Unternehmensführung niemand an Aufgabe der Ukraine-Aktiva. Auch Klingspor setzt weiter auf den Standort Westukraine und lässt bei Neuinvestitionen sogar seine polnischen Werke links liegen. Trotzdem gibt es einen „Plan B“.

Jan Opielka ist polnischer Autor und pendelt zwischen seinem Land und der Ukraine

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden