Russland dankbar sein

Syrien Präsident Wladimir Putin hat sich beim EU-Russland-Gipfel in seiner Syrien-Politik nicht umstimmen lassen. Nun sollte der Westen auf Realpolitik setzen

Die Syrien-Politik des Westens balanciert auf einem gefährlichen Grat. Sie ist darauf angewiesen, dass Russland und China im UN-Sicherheitsrat bei ihrem Veto gegen jede Form des militärischen Eingreifens bleiben. Wenn nicht, müssten den ungestümen Ankündigungen dieser Tage bald Tatkraft folgen. Frankreichs Präsident zum Beispiel müsste umgehend losmarschieren oder sich des Wortbruchs schmähen lassen. Die Drohung des neuen Staatschefs mit einer Militäraktion gegen Syrien wirkt irritierend, scheint aber gegen Vollzug zuverlässig geschützt. Es müsse ein UN-Mandat geben, das eine Intervention legitimiere, meinte François Hollande in einem Fernsehinterview. Zwar sagte er nicht dazu, dass Russen und Chinesen ein solches Mandat und damit auch militärisches Vorgehen verhindern werden. Aber das stand im Raum.

Erneuter Einstieg

Sollte der Westen Russland und China nicht dankbar sein, die sie ihn daran hindern, Syrien von außen zu „befreien“? "Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen. Als ob die alten nicht gelanget hätten", ließe sich Bertolt Brecht aus An meine Landsleute zitieren. In der Tat, das Land mit der gemeinsamen Grenzen zu Israel, dem nervösen Libanon, dem NATO-Staat Türkei, dem von terroristischer Gewalt gezeichneten Irak und dem wenig stabilen Jordanien anzugreifen, käme einem Vabanque-Spiel gleich.

„Wenn du die Politik eines Landes verstehen willst, wirf einen Blick auf die Landkarte“, schrieb einst Napoleon. Wenn du einem Land den Krieg erklären willst, tue das erst recht, ließe sich ergänzen. Eine Syrien-Intervention, die nun wegen des zunehmend blutigen Bürgerkriegs diskutiert wird, würde nicht nur einen regionalen, sondern einen globalen Konflikt zur Folge haben. Davon abgesehen – erfolgversprechend erschiene ein Kampfeinsatz nur dann, käme es zu einem Truppenaufgebot, das dem Aufmarsch gegen den Irak Saddam Husseins im März 2003 gleichen würde.

Seinerzeit kommte die "Koalition der Willigen" unter Führung der USA über eine Luftarmada gebieten und Bodentruppen von mehr als 200.000 Mann in Marsch setzen. Ein solches Ensemble ist derzeit nicht in Sicht. Es sei denn, man hat frei werdende Verbände aus dem Afghanistan-Korps der NATO im Blick. Allerdings wollte Barack Obama im Wahlkampf um die zweite Präsidentschaft mit dem Ausstieg am Hindukusch punkten. Wie käme da ein erneuter Einstieg im Nahen Osten an?

Öl ins Feuer

Auch die Falken in der Arabischen Liga werden es sich gut überlegen, Assads Armee in offener Feldschlacht zu fordern. Der syrische Machthaber verfügt im Unterschied zu den Streitkräften Saudi-Arabiens, Katars oder der Vereinigten Arabischen Emirate über Erfahrung aus den gegen Israel geführten Kriegen im Juni 1967 und im Oktober 1973. Ohnehin sind Mutmaßungen über einen Alleingang der Golfmonarchien deplatziert. Die sunnitischen Autokratien werden nicht gegen Syrien losschlagen, stattdessen weiter auf den verdeckten Krieg durch Bewaffnung und Finanzierung des Anti-Assad-Lagers in Syrien setzen und Öl ins Feuer gießen.

Doch zurück zu Russland. Wenn Präsident Putin nicht allein eine Intervention blockiert, sondern auch schärfere Sanktionen gegen das Assad-Regime verweigert, sollte der Westen sich auf Realpolitik verlegen. Die mit Sanktionen beabsichtigte Isolation Syriens wird sowieso nicht zu haben sein. Im Arabischen Raum ist sie auszuschließen. Bashar al-Assads Verbündete im Iran, im Irak und im Libanon wissen nur zu genau, was eine Erosion Syriens und ein möglicher regime change bedeuten. Die regionale Balance wäre zu ihren Ungunsten – hin zum historischen Gegner Saudi-Arabien und den dort herrschenden Wahhabiten verschoben, einer der wahrlich fundamentalistischen Spielarten des Islam.

Zum Steigbügelhalter für deren Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten zu werden, sollten sich Frankreich, aber auch die USA und Deutschland genau überlegen. Was man an Wasser in diesen Wein gießt, lässt sich beim besten Willen nicht mehr herausschütten. Möglicherweise werden Gefahren für Israel heraufbeschworen, von denen man sich heute noch keinen Begriff macht.

Das zu schreiben, hat nichts mit einer Verteidigung des Assad-Regimes zu tun, sondern ist ein Plädoyer für den Annan-Plan, der eine Vorstufe für den inneren Ausgleich in Syrien sein kann. Die Chancen dazu schwinden freilich von Tag zu Tag.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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