Täter Kurras Inzwischen ist erschöpfend geklärt, wer am 2. Juni 1967 in Westberlin beim Tod des Studenten Benno Ohnesorg die Fäden zog. Die DDR-Staatssicherheit war es nicht
Der 2. Juni 1967 in Westberlin gehört zu den historischen Daten, über die jeder Bescheid zu wissen glaubt wie über das Wetter. In Berlin wurde damals doch der Ohnesorg erschossen, heißt es allenthalben. Das Problem ist nur, dass die Umstände, wie der Student Benno Ohnesorg zu Tode kam, zum Teil im Dunkeln liegen und vertuscht werden. Inzwischen ist immerhin geklärt, dass Ohnesorg vom Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras von hinten erschossen und der Tathergang durch ein Komplott von Polizei, Politik und Justiz jahrzehntelang manipuliert wurde.
Doch der Reihe nach: Der Tod Ohnesorgs war ein Fanal, aber nicht der Beginn oder die Wurzel der Studentenbewegung. Das Fanal trug zu ihrer Radikalisierung bei, hat jedoch ebenso die staatliche Repression angeheizt. Teile der
Teile der Studentenbewegung verabschiedeten sich nach dem Mord an ihrem Kommilitonen in den Untergrund, verlegten sich auf terroristische Praktiken oder versackten intellektuell im Campus-Maoismus. Die staatliche Seite rüstete ihrerseits auf – mit polizeilichem Equipment, Verfassungsschutz und repressiven Gesetzen. In der ernsthaften Forschung setzte sich die Meinung durch, dass der 2. Juni 1967 ein Schlüsseldatum darstellt.Trübe HalbweltDas ist insofern erstaunlich, als die Ungereimtheiten bei den Ermittlungen und bei der juristischen Abwicklung des Falles Kurras enorm waren. Der Berliner Senat verfügte noch in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 1967 eine Nachrichtensperre über die Berliner Krankenhäuser, damit Angehörige und Journalisten nicht nachforschen konnten, was mit den verletzten Studenten geschehen war, die gegen den Besuch des Schahs vor der Westberliner Deutschen Oper demonstriert hatten. Die Absperrungen dort besorgte die Polizei in Abstimmung mit iranischen Geheimpolizisten – jenen „Jubelpersern“, die mit Holzknüppeln und Dachlatten bewaffnet waren. Der Schweizer Dokumentarfilmer Roman Brodmann hat das Zusammenspiel von Westberliner und persischer Prügelgarde unter der Parole „Füchse jagen“ im Film Der Polizeistaatsbesuch (1967) festgehalten.Während die Nachrichtensperre Bilder und Informationen verhinderte, lief der mutmaßliche Täter Kurras frei herum, ließ die Kleider, die er bei der Tat trug, reinigen und wechselte das Magazin seiner Waffe aus, bevor er sie abgab. In zwei Prozessen gegen Kurras wollten die als Zeugen geladenen Polizisten gar nichts gesehen haben. Kurras wurde zweimal freigesprochen und kehrte 1971 in den Polizeidienst zurück. Zwar mussten nacheinander der Polizeipräsident, der Innensenator und der Regierende Bürgermeister wegen zahlreicher Ungereimtheiten zurücktreten, aber insgesamt zeigten sich Polizei, Justiz und Politik im „Fall Kurras“ als trübe Halbwelt, in der mit krimineller Energie Beweise vernichtet und Zeugenaussagen unterdrückt wurden. Das ist seit fast 45 Jahren für all jene klar, die sich den Kopf nicht von der Springer-Presse und anderen konservativen Blättern vernebeln ließen.Dabei blieb es bis zum Mai 2009, als Mitarbeiter der damaligen Birthler-Behörde die Kurras-Akte der DDR-Staatssicherheit entdeckt hatten und ein Papier verfassten, in dem sie mitteilten, dass Kurras seit 1955 IM bei der Stasi war und seit 1964 SED-Mitglied. Der 17 Bände starke Aktenbestand gab zwar für die Hintergründe und den Hergang von Kurras‘ Tat nichts und für die Person des Täters nur wenig her, aber das reichte für sensationelle Berichte, wonach die Geschichte wieder einmal umgeschrieben werden müsse, wie Klaus Schroeder, Arnulf Baring und die Welt umgehend mitteilten. Willige Zeitungsredaktionen und der Berliner Forschungsverbund SED-Staat sprangen auf den Zug auf und bereiteten das an sich belanglose Material zur sensationellen Story auf – Tenor: „Stasi steckt hinter dem Mord an Ohnesorg!“Allerdings war schon der Ausgangspunkt der Studie von Birthlers Leuten lächerlich. Ihre Frage, wie die Geschichte gelaufen wäre, wenn die Studenten von 1967/68 gewusst hätten, dass Kurras SED-Mitglied war, hatten die längst mit einer Gegenfrage beantwortet. In einem Flugblatt des AStA der Freien Universität hieß es unmittelbar nach dem Tod von Ohnesorg: „Ulbrichts Bürokraten-Regime erschießt Menschen an der Mauer. Unterdrückt jetzt Albertz (der regierende Bürgermeister – R.W.) mit Hilfe der Polizei die ernsthafte politische Opposition gegen seine Politik durch Mord?“Der Aktenfund beförderte jedenfalls, dass im Mai 2009 das Thema „Kurras/Ohnesorg“ ins mediale Schwungrad geriet. Innerhalb von zwei Wochen standen in den wichtigsten Zeitungen rund 30 Berichte, der größte Teil davon in alarmierendem Ton: „Wir haben uns alle geirrt“, schrieb der Historiker Götz Aly in der Zeit vom 28. Mai 2009. Wer „wir“ und wer „alle“ waren, blieb unklar. Bei der FAZ wusste man es am 27. Mai genau: „Das Schwert der SED war oft dabei, wenn in der Bundesrepublik Geschichte geschrieben wurde.“ Das Blatt nutzte die Chance für eine Kampagne mit der Aufforderung an „die“ 68er, „alte Welt- und Feindbilder“ aufzugeben und „Einstellungen zu revidieren“ – also sich einzureihen in die Front jener, die nicht mehr die Hetze der Springer-Presse und den Westberliner Polizisten Kurras für den Tod von Ohnesorg verantwortlich machten, sondern die Staatssicherheit.Zu den wenigen, die nicht einstimmten in den Chor des üblichen Konformismus gehörte der Journalist und Verleger Uwe Soukup: Er sah in der neu zubereiteten Kurras-Story nur den Versuch, „den Polizeiskandal von 1967 elegant über die Mauer in den Osten (zu) entsorgen.“ Der Politikwissenschaftler Erwin K. Scheuch, ein bissiger Gegner aller Linken, vermutete schon am 7. Juni 1967, was nun – am 23. Januar 2012 – durch Recherchen des Spiegel und neue Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Gewissheit geworden ist. Scheuch schrieb damals: „Wir werden irgendwann wissen, ob eine Verschwörung bei Berliner Polizisten bestand.“Wendiger Wahrheiten Wie weit diese Verschwörung ging, hat Uwe Soukup schon in seinem Buch Wie starb Benno Ohnesorg? (2007) skizziert. Für seine plausiblen Hypothesen erntete er von Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat nur Hohn und Spott. Heute werden Soukups Hypothesen durch den Spiegel und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft fast vollständig bestätigt. Es gibt Fotos, die zeigen, dass Helmut Starke – der Einsatzleiter am 2. Juni 1967 – und ein namentlich bekannter Polizist direkt neben dem Opfer Ohnesorg standen, als Kurras schoss. Starke leugnete im ersten Kurras-Prozess, am Tatort gewesen zu sein. Der Teil der Schädeldecke von Ohnesorg, der das Einschussloch zeigt, ist ebenso verschwunden wie andere Beweisstücke. Aus dem Todesschuss wurde im amtlichen Totenschein eine „Gewaltverletzung durch stumpfe Gewalteinwirkung“. Der Arzt, der den Schein ausstellte, sagt dem Spiegel heute, er habe auf Anweisung seines Chefs gehandelt.Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Wolfgang Schöne, der Polizeireporter der Springer-Zeitung B.Z., am 2. Juni 1967 die Fotos gemacht hat, die jetzt die kriminelle Verschwörung von Politik, Justiz und Polizei ans Licht bringen und den Spekulationen von konservativen Kommentatoren und neoliberal gewendeten 68ern, die 2009 die Stasi als Ersatztäter erfanden, den Boden entziehen. „Die in linken und linksliberalen Kreisen gepflegte Legende, dass Benno Ohnesorg als Opfer eines systemisch begründeten Polizeimordes anzusehen sei, ist widerlegt“, schrieb Götz Aly großspurig 2009.„Wahrheiten“ sind wendig. Damals mordete gleichsam die Stasi, heute – knapp drei Jahre später – gelten auch für Götz Aly „die neuen Erkenntnisse“ (Frankfurter Rundschau 31. 1. 2012), die im Detail zwar neu, aber im Wesentlichen seit über 40 Jahren bekannt sind. Seine „Wahrheiten“ von gestern hat Götz Aly plötzlich vergessen. Ein Lehrstück über Instant-Journalismus.
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