Der Romanheld als Stalker

Tilman Rammstedt In seinem neuen Roman versucht der Bachmann-Preisträger eine Schreibkrise zu bewältigen und schickt E-Mails an Bruce Willis

Zusammen mit ein paar anderen Schriftstellern, Lektoren und Übersetzern betreibt Tilmann Rammstedt ein Literaturatelier am Prenzlauer Berg in Berlin. Das Büro trägt den würdevollen, vielleicht auch etwas großspurigen Namen Adler & Söhne. Er klingt wie ein literarisches Versprechen, klingt nach Geschichte und Handwerk. Eine Legende hat das Büro schon: Früher war ein Zigarrenladen hier drin, Heiner Müller ging ein und aus. Heute kommt Thomas Pletzinger zum Arbeiten oder Saša Stanišić. Saša Stanišić gewann einmal fast den Deutschen Buchpreis. Tilmann Rammstedt erhielt 2008 für seinen Roman Der Kaiser von China den Bachmann-Preis (obwohl das Buch witzig ist).

Neulich war bei Adler & Söhne noch Licht. Am Fenster stand eine Gestalt, es war ein wenig schummrig, und trotzdem erkannte ich sofort diesen verlorenen Blick, eine Judith-Herrmann-Melancholie im Jungengesicht. Den Umschlag seines neuen Romans Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters ziert er wie ein Markenzeichen.

Zwischen E-Mail-Roman und Roadmovie

Da stand also Tilmann Rammstedt, und vor ihm im Schaufenster war ein Buch ausgestellt. Ein in den USA und nun auch bei uns gefeierter Roman, Die Kunst des Feldspiels von Chad Harbach. Harbachs Debüt gilt als Überraschungserfolg, als epischer Wurf über einen Jungen, dessen Schicksal der Baseball ist. Reiner Zufall: Harbach ist wie Rammstedt 1975 geboren, Die Kunst des Feldspiels ist bei Dumont erschienen, Rammstedts Hausverlag.

Kein Zufall: Es wurde vom Kollegen Johann Maas ins Deutsche übertragen. Das Fenster adelt die gute Übersetzung. Man kann aber auch etwas anders assoziieren: Dass Rammstedt der große epische Wurf mit seinem neuen Roman nicht gelungen ist. Das zeigt schon sein bescheidener Umfang an. Gelungen ist er aber auch nicht durch die Hintertüre, denn explizit geht es um eine Schreibkrise, die zur Sinnkrise führt und zur Beziehungskrise oder umgekehrt – auf eine Art hängt das ja alles zusammen.

Umstandslos lässt sich davon nicht erzählen. Es braucht ein Konstrukt. Entstanden ist eine Mischung aus E-Mail-Roman und Roadmovie featuring ein Bankberater, der eine Bank überfällt und mit einem Protagonisten, der wie der Autor heißt. Rammstedt überfällt in seinem Roman keine Bank. Er ist verzweifelt und schreibt manisch Mails an Willis. Der traurige Held ist eine Art liebenswerter Stalker. Nur einmal schreibt er an seinen Verlag (das Buchprojekt muss verschoben werden), an seine Frau (er wird nie wieder nachts anrufen), an seinen Zahnarzt (dann knirschen halt die Zähne).

Rammstedt ist ein gediegener Lakoniker

Das liest sich schon deshalb kurzweilig, weil man ahnt, dass die Krise einen autobiografischen Hintergrund hat. Es steckt darin aber auch gutes Handwerk, Rammstedt ist ein gediegener Lakoniker. Nach Skript montiert er in den Roman: eine Persiflage auf den Erfolg und das Buchbusiness, auf die Allerweltssinnkrise und Psychotherapie, eine ironische Rezeption der Glamour-Presse: Ein amerikanischer Actionheld hat selbstverständlich auch depressive Seiten.

Das ist süffig, amüsant, komisch und ein wenig tragisch, ja, das ist sehr, sehr nett. Aber in diesem Punkt unterscheiden sich Bücher nicht von Menschen: Nett finden heißt, es fehlt etwas, diesem Buch hier fehlt die Seele. Da hilft auch nicht, wenn Fantasie und Manie manchmal perfekt verschwimmen. Wie es sich für ein Roadmovie gehört, ist viel Tempo drin, wird ins Aberwitzige beschleunigt. Willis und Rammstedt werden von der Polizei gejagt, ein Hund wird erschossen und auf der Flucht mitgeschleppt.

Die Hoffnung stirbt dann zuletzt. Vielleicht wird doch noch alles gut, vielleicht fällt dem Autor endlich ein Plot auf die Füße, das Marketing beim Verlag hat schließlich längst das Buchcover gestaltet. So viel Ironie auf den Betrieb muss sein. Es geht aber auch anders: „Vorsätze, Verpflichtungen und alles Sehnsüchtige machen sich davon, der Missmut, die penetrante Traurigkeit, der Stolz, die Entschiedenheit. Und eigentlich sollte doch jetzt genug Platz sein für alles andere, aber da ist kein Platz, alles wird nur kleiner, bis es wieder passt, und nichts ist still und nichts ist leer und nichts dringend, außer nun zu gehen, sofort zu gehen“, steht sehr schön und an einer Stelle. Man fragt sich, ob man das Buch noch einmal lesen sollte, vielleicht hat man noch mehr poetisch Existentielles darin übersehen. Man müsste dann aber all die Passagen mit dem Bankberater überspringen. Das Buch springt am Ende von Seite 156 auf epische 999. Witzig ist das schon.

Katharina Schmitz porträtierte im Freitag zuletzt die Autorin Iris Hanika

Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters Tilman Rammstedt Dumont 2012, 155 S., 18,99 €

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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