Als Mitte der neunziger Jahre die Konzerne erkannten, dass mit dem Internet gut Geld zu verdienen ist, war ich ein aufstrebender freier Journalist. Eines Tages bekam ich Post von meinem damaligen Hauptarbeitgeber: Die Rechtsabteilung der FAZ bat mich, eine beiliegende Erklärung unterschrieben zurückzusenden. Ich sollte ihnen die Rechte an meinen bisher erschienenen Texten für die Verwertung im Web abtreten. Fünf Mal kam die gleiche Post mit der gleichen Erklärung. Ich habe nicht unterschrieben. Die FAZ vermarktet dennoch stets die Beiträge online und kassiert von den Nutzern Gebühren. Ohne Beteiligung des Urhebers.
Nach der Lektüre von Monika Dommanns Buch Autoren und Apparate habe ich begriffen: Die Vorgänge sind ärgerlich, aber vollkommen
sind ärgerlich, aber vollkommen normal. Urheberrechte an künstlerischen Erzeugnissen – Noten, Texte, Bilder – sind seit der Verbreitung des Buchdrucks an das Medium gebunden, das sie in Umlauf bringt. Ein „Recht“ im Sinne einer geldwerten Vermarktung fordert daher nicht nur der Schöpfer des Gedruckten, sondern auch der Drucker selbst, also zum Beispiel ein Verlagshaus. Diese im mechanisierten Herstellungsprozess seit dem 16. Jahrhundert angelegte Splittung sorgte im Verlauf der Mediengeschichte für immer neue Verwerfungen. Denn zwischen den Schöpfer und den Rezipienten schoben sich immer neue Medien und deren Hersteller – und sie alle forderten ihr eigenes geldwertes Recht ein.Auf diese Weise entfremdeten die Apparate den Autor von seiner Arbeit, ja drängen ihn förmlich an den Rand, obwohl er sie zwingend braucht, um der Welt sein Werk zu übermitteln. Ein Dilemma. Wer heute ein Buch schreibt, muss daher mit Tantiemen zwischen fünf und zehn Prozent vom Nettoladenpreis zufrieden sein. (Ob alternative Formen des Publizierens on demand, im Selbstverlag, im Netz daran etwas ändern, bleibt abzuwarten.)Das Buch der Zürcher Historikerin Dommann ist eine hochinteressante Tour de Force durch die Medien- und Verwertungsgeschichte von Kunst, Literatur und Musik seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Man wird mit der Macht von Apparaten konfrontiert, die heute im Museum stehen und denen man nicht ansieht, dass sie das Rechtssystem der Menschheit einst ins Wanken brachten.Walzen und GrammofonEs beginnt mit der Erfolgsgeschichte der Schweizer Spieldosen, die 1850 den Markt eroberten, ohne die Urheber der verbreiteten Musik zu berücksichtigen. Es folgen Einblicke in die Ent- und Verwicklungen des ab 1870 genutzten Mikrofilms, forciert von den großen amerikanischen Bibliotheken, um eigene Bestände durch Filmkopien historischer europäischer Codices zu bereichern, offiziell zu Forschungszwecken. Doch wer sollte von der Vermarktung der Filme profitieren? Die für die Reproduktion verantwortlichen Bibliotheken argumentierten: sie selbst. Dann geht es weiter mit Walzen, Orchestrions und dem Grammofon. Wenn die Noten des auf einer Schallplatte eingespielten Musikstücks das urheberrechtlich geschützte „Original“ darstellen, welchen Status hat dann die Aufnahme? 1907 erfand der deutsche Jurist Ernst Eisenmann das Urheberrecht des „ausübenden Künstlers“, das zur Schwächung des bis dato gültigen Noten-Copyrights führte, dafür dem vom Automaten gespeicherten Interpreten ein eigenes Recht anerkannte, das „weit wichtiger (sei), als die in den Notenblättern erhaltene Aufstapelung bloßer schriftmässiger Aufzeichnung derselben Technik.“ Was aber, wenn auf Platten zum Beispiel Volksstücke zu hören sind? Ganz einfach: Ihre „wilden“ Urheber wurden vom Verwertungsrecht nicht berücksichtigt. Der Profit am Verkauf solcher Platten ging ganz an die Phonoindustrie.Seit die Technik die Welt beherrscht, hat die Vermarktung von Bildern, Texten und Stücken einen Spin bekommen, der Länder- und Kulturgrenzen in einer Geschwindigkeit überwindet, dass Regelungsversuche der jeweiligen Markt- und Mediensituation hinterherhecheln. Das Gezerre um das „Google Books Settlement“ zeigt es. Mit seiner Scanorgie schaffte das Unternehmen Fakten. Und während die Anwälte über Kontinente und divergierende Rechtssysteme hinweg Definitionen verschoben, verbrämte Google die Sache als Bildungsaktion im Dienst der Menschheit. Am Ende der Fallbeispiele in Dommanns Mediengeschichte der Rechtsnormen steht fast immer die gütliche Einigung, bei der der Urheber den Kürzeren zieht, Medienunternehmen aber freie Hand zur Vermarktung ihrer Produkte bekommen.So fühlt man sich beim Lesen der Studie an die russische Taktik im Umgang mit der Krim erinnert. Wer sich durch territoriale Neuordnung die Macht über ein Gebiet sichert, hat bei der staatsrechtlichen Nachverhandlung – vulgo: der Legitimierung – eine gute Ausgangsbasis. Auch der spitzfindigste Jurist wird den Okkupator nicht hinter einen gewissen Status quo zurückdrängen, denn Kompromisse liegen naturgemäß irgendwo in der Mitte. Dass uns das Putinregime hier auf staatsrechtlicher Ebene vorführt, wie sonst kapitalistische Unternehmen mit Urheber- und Autorenfragen umgehen, dass wir also einen Spiegel vorgehalten bekommen, kann uns nicht gefallen. So recken wir umso heftiger den Finger gen Russland, um von der eigenen Position abzulenken. Auch die kürzlich kolportierte Meldung, die eifrigsten Industrieplagiatoren nach den Chinesen seien die Deutschen, passt da ins Bild. Nachdem man lange gegen die Copy-and-paste-Mentalität im Reich der Mitte gewettert hatte, ist es auf Seiten hiesiger Industrieverbände mittlerweile auffällig still.Solche politischen und wirtschaftlichen Vorgänge im Kopf, lässt sich Dommanns Studie förmlich als Allegorie lesen. Besonders schlecht kommen die Juristen weg. Ethisch gerechte Normen waren solch instrumentalisierter Juristerei fremd. Wenngleich Dommanns Untersuchungszeitraum mit Erfindungen wie dem Fotokopierer endet, also lange bevor das Internet marktwirtschaftliche Relevanz bekam, ist man durch die Lektüre mit den seit 200 Jahren Justitia verpflichteten Akteuren derart vertraut, dass man sich die Zukunft des Medien-, Urheber- und Verwertungsrechts ausmalen kann. Sollte daher der Rezensent für seine Arbeit von der FAZ jemals Tantiemen erhalten, wäre es schlicht ein Wunder.