Das Mormonentum, in Deutschland eher mit Kopfschütteln betrachtet (die jungen Missionare auf dem Fahrrad!) und manchmal zur Sekte oder zum Kult abgestempelt, hat in den USA einigen Erfolg beim Kampf um Respektabilität. Aus diesem konservativen Glaubensbollwerk könnte nun sogar der nächste US-Präsident kommen.
Der Glaube eines Kandidaten ist in den Vereinigten Staaten nicht nebensächlich. Obwohl die organisierte christliche Religion, also die Kirchen, seit Jahren Einfluss verliert an Agnostiker, Atheisten, „Andersgläubige“ und Leute, die sich ihre Spiritualität selber zusammenbasteln: Es gilt, um Präsident zu werden, muss man gläubig sein. Das bestätigen serienweise Umfragen. Details des Glaubens sind nicht so wichtig, aber i
ig, aber irgendwie „judeo-christlich“ muss der Bewerber schon sein. Unklar ist, ob gerade das den gegenwärtigen republikanischen Spitzenreiter qualifiziert: Mitt Romney, 64 Jahre alt, Sohn eines Autoindustriellen, Pionier des Heuschreckenkapitalismus mit seiner Firma Bain Capital, einer der Koordinatoren der Olympischen Winterspiele von Salt Lake City (Utah) im Jahr 2002, Gouverneur von Massachusetts zwischen 2003 und 2007, geschlagener Präsidentschaftskandidat im internen Wettbewerb der Republikaner 2008 – und Mormone.Man bleibt unter sichDas heißt, Mitt Romney wäre der erste mormonische US-Präsident, sollte er die Vorwahlen überstehen und gegen Barack Obama gewinnen. Doch viele Wähler haben ein ungutes Gefühl. 42 Prozent der Befragten sagten dem Public Religion Research Institute, sie hätten Probleme bei dem Gedanken, ein Mormone könnte Staatschef werden. Die Ressentiments gibt es aus unterschiedlichen Gründen: Konservative Christen werden sie nicht los, weil sie das heftig missionierende Mormonentum für eine nicht-christliche Religion halten. Eher fortschrittlich orientierte Zeitgenossen meinen, dass man es mit der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ mit einer der konservativsten Glaubensbastionen der USA zu tun habe. Mormonen seien zutiefst hierarchisch, zudem fänden manche Rituale hinter verschlossenen Türen statt. Und die Männer hätten das Sagen.Bis in die siebziger Jahre hinein galten schwarze Mormonen als Mormonen zweiter Klasse. Diese Kirche kämpfte damals auch gegen den vorliegenden amerikanischen Verfassungszusatz zur Gleichberechtigung der Frau. Heute kämpft sie mit eben solcher Vehemenz gegen die Homo-Ehe. Und sie verfügt über sehr viel Geld: Gläubige spenden zehn Prozent ihres Einkommens. Bei Romney waren das im vergangenen Jahr 2,6 Millionen Dollar.So kommentierte June Barnes, eine kritische Autorin zum Thema Mormonentum: Bei gesellschaftspolitischen Fragen kümmere sich „die mormonische Kirche nicht um die Trennung von Kirche und Staat“. Vielmehr mobilisiere sie ihre beträchtlichen Ressourcen für politische Ziele, dabei entwickle der einzelne Mormone eine Gefolgschaft, die an das Verhalten von Schafen erinnere.Gegenwärtig leben an die sechs Millionen Mormonen in den USA, vorrangig in Utah und in den anderen Staaten des Westens. Sie stellen knapp zwei Prozent der Bevölkerung. Man bleibt größtenteils unter sich. Die Familie ist wichtig, man hat viele Kinder (Mitt und seine Ehefrau Ann haben fünf Söhne). Nach Umfragen wählen drei Viertel der Mormonen republikanisch. Ihr politischer Einfluss ist beträchtlich. Im US-Kongress stellen sie fünf der 100 Senatoren.Das Mormonentum kann als die „amerikanischste“ aller Religionen gelten – sie entstand 1830 in einer Zeit religiöser Umwälzungen im Bundesstaat New York. Erweckungsprediger gründeten neue Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Dass dabei der ungebildete Bauernsohn Joseph Smith 1827 von einem Engel namens Moroni eine neue Heilige Schrift erhalten haben will, wurde seinerzeit nicht als ungewöhnlich empfunden. Die drei Jahre später von Smith ins Leben gerufene „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ gründet sich seither auf dieses Buch Mormon und auf die laut Kirchenlehre unvollständige Bibel. In der Lehre der Mormonen spielt Nordamerika eine wichtige Rolle in der Heilsgeschichte; so sei der Garten Eden mit Adam und Eva in Wirklichkeit im heutigen Bundesstaat Missouri gewesen und Jesus Christus nach seiner Auferstehung den Menschen in Amerika erschienen.Schluss mit der PolygamieMitt Romney ist mittlerweile der dritte Mormone, der für das Präsidentenamt kandidiert. 1968 versuchte es bereits Mitts Vater George Romney. Er unterlag bei den republikanischen Vorwahlen gegen Richard Nixon, der Romney senior dann aber für die Zeit zwischen 1969 und 1973 zum Bauminister in seiner Regierung berief.Der erste mormonische Präsidentschaftskandidat war 1844 der offenbar außerordentlich charismatische Joseph Smith selber. Er wurde im Juni des gleichen Jahres von einer aufgebrachten Menschenmenge gelyncht – ein Zeichen dafür, dass die schnell wachsenden und mit anderen Kirchen konkurrierenden Mormonen einst heftig angefeindet wurden, auch wegen der von Smith selber praktizierten Vielehe. Aus Angst vor Repressalien flohen die Mormonen schließlich in den Westen der USA. Erst 1890 – unter Druck der Administration in Washington – erließ die Kirchenführung der Glaubensgemeinschaft Weisung, dass jetzt Schluss sei mit der Polygamie.Nach Kirchenangaben mischt sich die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ im Augenblick überhaupt nicht in den Wahlkampf ein. Umfragen nach den Vorwahlen in Iowa, South Carolina, Florida und Nevada zeigen, dass Mitt Romney bei evangelikalen Christen – eigentlich republikanische Stammwähler – nicht wie gewünscht überzeugen kann. Es zeichnet sich ab, dass Konkurrent Newt Gingrich nach seinen Niederlagen in Florida und Nevada offenbar das Thema Religion in den Vordergrund rücken will. Man müsse „unsere Religion“ verteidigen, insistiert er.Romney verkündet im Gegenzug, er sei allein wegen seiner bewiesenen unternehmerischen Fähigkeiten der wählbarste unter den republikanischen Anwärtern, vorzugsweise für Bürger aus der politischen Mitte Amerikas. Mag sein – bei den Hauptwahlen im November hätte er aber gegen den Demokraten Barack Obama keine Chance, sollten die Rechtschristen am Wahltag zu Hause bleiben. Er kann nur hoffen, dass deren Empörung über den „Sozialisten“ im Weißen Haus so stark ist, dass sie die Sache mit dem Mormonentum einfach beiseite schieben.