Zu den kulturellen Wurzeln sexualisierter Gewalt
Bild: Heidenröslein
Mehr als jeder andere Vorfall der letzten Jahre hat der Artikel der „Stern“-Journalistin Laura Himmelreich über ihre nächtliche Begegnung mit Rainer Brüderle eine hitzige Debatte über Formen von und Umgang mit Sexismus und sexueller Belästigung in unserer Gesellschaft ausgelöst.[1] Die Auseinandersetzung selbst war überfällig, nicht wenige ihrer Facetten sind jedoch befremdlich. Dazu zählt beispielsweise die Behauptung, die Unterscheidung zwischen Kompliment und Belästigung könne nur Hochbegabten zugemutet werden. Doch auch bei denjenigen, die grundsätzlich bereit sind, Sexismus als gesellschaftliches Problem ernst zu nehmen, ist eine große Müdigkeit zu spüren. Passend zu dem Umstand, dass „Opfer“ schon seit Jahren ein Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen ist und die Diffamierung durch Begriffe wie „Opferindustrie“ und „Opferabo“ inzwischen auch das Feuilleton erreicht hat, wird eine einfache Lösung verlangt: Frauen sollten den Spieß doch schlicht umdrehen, dem Mann auf Augenhöhe begegnen und aus der (zugeschriebenen) Rolle des Objekts heraustreten.
Individuelles Problem oder gesellschaftliche Struktur?
So nachvollziehbar diese Wunschvorstellung zunächst zu sein scheint, so realitätsfern ist sie. Könnte die zugeteilte Position jederzeit verlassen werden, wäre es ein Spiel und kein Machtverhältnis.