Zum Glück sind die Deutschen klüger

Wiedervereinigung Schlagloch West, kleine Rente Ost lauten die Stereotype, die gerne gegeneinander in den Medien ausgespielt werden. Neue Zahlen befeuern die Debatte
Ausgabe 19/2014
Zum Glück sind die Deutschen klüger

Foto: imago/ CommonLens

Das würde sich kein Milchmädchen trauen, aber die Welt am Sonntag hat Mut. Zwei Billionen Euro, teilte uns das Springer-Blatt jetzt mit, habe die Einheit bisher gekostet. Als Zeugen ließen sich ein paar Wissenschaftler zitieren, zum Beispiel vom „Forschungsverbund SED-Staat“, der am SED-Staat offenbar nicht mehr genug zu forschen hat.

Nein, das ist unfair: Wer den SED-Staat erforscht, darf auch dessen Erbe zu berechnen versuchen. Nur an Kampagnen dieser Art sollten sich Wissenschaftler nicht beteiligen, das gilt für die DDR-Experten genauso wie für das ifo-Institut oder das DIW, mit deren Zahlen das Blatt ebenfalls hantierte.

Dazu stellen sich zwei Fragen. Erstens: Finden die Einheitspathetiker von Springer und Kollegen nun plötzlich, man hätte es aus Kostengründen besser lassen sollen mit der Einheit? Sind sie etwa verkappte Lafontainisten, die im Nachhinein lieber ein bisschen länger zwei getrennte Wirtschaftsräume beibehalten hätten? Nein, natürlich nicht. Zweite Frage: Wollen sie uns mit diesen Zahlen, um es höflich auszudrücken, eine Botschaft vermitteln? Antwort: Ja.

Vielleicht stimmt ja sogar die Summe von zwei Billionen Euro in einem Vierteljahrhundert, die nun so gruselig-genüsslich verbreitet wird. Es fragt sich nur, was die Medien zusammenzählen und was sie von den Kosten hinterher wieder abziehen – oder eben nicht.

Wenn, sagen wir, ein Autokonzern für ein Werk im Osten eine Subvention erhält, dann geht die entsprechende Summe in die Kostenrechnung ein. Wenn der Konzern für die Gewinne aus diesem Werk seine Steuern bezahlt (und nicht erfolgreich vermeidet), zieht man diese Einnahme von den Subventionskosten ab. Was aber ist mit dem Gewinn, der nach Steuern in Wolfsburg anfällt, in Stuttgart oder Rüsselsheim? Der ist Privatsache und damit für Milchmädchen uninteressant. Im Furor der Ost-West-Perspektive ist die Verwandlung öffentlicher Mittel in privaten Reichtum offenbar aus dem Blick geraten. Ebenso wie die verlängerte Werkbank mit Niedriglohn und die Quelle gut qualifizierten Personals, als die die neuen Länder vielen Firmen eben auch noch dienten.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, das Märchen von den übergroßen Opfern des Westens durch die Erzählung vom Osten zu ersetzen, der nichts anderes sei als das Opfer. Notwendig wäre es, die einseitige Ost-West-Perspektive zu überwinden und die Spaltungen dort zu suchen, wo sie sind.

Der Focus hat, als er die neueste Springer-Kampagne begierig aufgriff, die eigentlich gemeinte Botschaft treffend illustriert. „Mehr als eine Billion Euro flossen in ostdeutsche Sozialsysteme“, titelte die Online-Ausgabe; darunter war groß die „Schuldenuhr“ des Bundes der Steuerzahler zu sehen. Da war die Wirtschaftsförderung schon herausgerechnet, es zählten nur noch Renten, Arbeitslosengeld und andere Sozialleistungen. Man sieht: Es geht manchen Medien und ihren „Experten“ darum, die Opfer der sozialen Spaltung in diesem Land – in Ost und West! – mit Sündenböcken für ihre Lage zu versorgen. Mein Schlagloch West, deine nagelneue Autobahn Ost. Meine miese Rente Ost, deine Luxusrente West und so weiter und so fort.

Kann es sein, dass die Deutschen dumm genug sind, auf so etwas hereinzufallen? Nein, so verbreitet ist der Beruf des Milchmädchens nicht. Nicht im Westen und nicht im Osten. Zum Glück.

Stephan Hebel ist Buchautor und politischer Publizist

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