Zugriff nach Konfetti-»Angriff«

Demmin am 8. Mai: Polizei räumte für Neonazi-Fackelzug die Straße frei

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Bündnis in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) zeigte am Tag der Befreiung, dass Neonazis nicht willkommen sind. Die Polizei setzte das Demonstrationsrecht der rechten Fackelträger brutal durch.

Der Charme der Ostseeküste soll die politischen Gespräche zwischen Angela Merkel und François Hollande erleichtern. Die Kanzlerin hat den französischen Präsidenten zum zweitägigen »privaten« Besuch in ihren Wahlkreis eingeladen. Die Ereignisse, die sich am Donnerstagabend im nahen Demmin abgespielt haben, werden dabei sicher keine Rolle spielen.

In Demmin hatte das Aktionsbündnis 8. Mai zum friedlichen Protest aufgerufen, weil die »volkstreue Bewegung« es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen lassen wollte, »an das Unrecht, welches unserem Volk zum Ende des 2. Weltkrieges durch die Besatzer angetan wurde, zu erinnern«. Schon zum sechsten Mal in Folge marschierten die Neonazis mit Fackeln auf. Doch nicht sie wurden von der Polizei verfolgt.

»10 oder 15 junge Leute hatten sich in der Nähe des Luisentors auf die Straße gesetzt. Es waren Franzosen. Sie wollten - wie viele andere - gegen die Nazis protestieren und haben mit Konfetti geworfen«, berichtet Jeannine Rösler, Landtagsabgeordnete der Linkspartei von Mecklenburg-Vorpommern über den 8. Mai. »Dann sind Polizisten auf die ›Blockierer‹ los. Rabiat, ohne Warnung. Mit einem schlanken jungen Mann beschäftigten sich gleich drei Beamte. Ein Mädchen schrie, man solle ihn doch in Ruhe lassen, doch auch sie wurde festgehalten. Man zog den Mann an eine Betonumzäunung, zwei Polizisten knieten auf ihm. Später sahen wir ihn da regungslos liegen, gefesselt. Ein Sanitäter wollte helfen, es boten sich Dolmetscher an, man ließ sie nicht durch. Es dauerte ewig, bis ein Krankenwagen kam. Er brachte den bewusstlosen Mann in ein Greifswalder Krankenhaus.« Rösler habe versucht, die Polizisten zur Mäßigung anzuhalten. Vergeblich. Die behelmte Truppe war mit Wasserwerfern und Hundestaffeln aufmarschiert.

Die Polizei stellte am gestrigen Freitag die Situation naturgemäß anders da: Bereits vor dem Marsch der Neonazis hätten Demonstranten die rund 170 Rechtsextremisten angegriffen, lautet die polizeiliche Rechtfertigung für ihr rabiates Vorgehen. Insgesamt wurden fünf Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes und Landfriedensbruchs eingeleitet. Die Rede war außerdem von einem linksgerichteten Demonstranten, der die Polizisten attackiert haben soll und gegen den nun ermittelt werde.

Damit könne unmöglich jener junge Mann gemeint sein, den sie am Boden liegen sah, sagt Rösler. Und sie erkennt auch nicht, dass es eine »wachsende Gewaltbereitschaft« gegeben habe, die von aus Berlin und Hamburg Zugereisten ausgegangenen wäre. Und selbst wenn: Der junge Franzose gehörte - wie sich recherchieren lässt - mit Sicherheit nicht dazu. Der wiederum hat am Freitag auf eigenen Wunsch das Krankenhaus wieder verlassen und einen Anwalt beauftragt.

Für die Neonazis ist Demmin stets ein willkommenes Ziel für Demonstrationen. Nach Kriegsende war es in der Hansestadt zu Übergriffen sowjetischer Soldaten und zu einem Massenselbstmord gekommen. Einwohner ertränkten sich in der Peene. Historiker sprechen von 1500 bis 2000 Opfern, das Regionalmuseum hat durch Eintragungen in einem Friedhofsbuch und einem standesamtlichen Sterbebuch 500 Tote nachgewiesen. Das sei nicht vergessen, doch man wolle nicht dulden, dass Neonazis daraus Kapital schlagen, sagen Vertreter des Aktionsbündnisses, zu dem Bürger der Stadt, Vereine, Gewerkschaften und Parteien gehören. Am Donnerstag fand man sich auch zu einer Friedensandacht, zu Mahnwachen und einem Stadtspaziergang zusammen. Auch der Landesrabbiner der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, William Wolff, nahm an den friedlichen Aktionen teil.

Die müssten in den kommenden Jahren fantasievoll und friedlich fortgeführt werden, meint Peter Ritter, der innenpolitische Sprecher der Schweriner Linksfraktion. Alle Demokraten dürften auch weiterhin nicht zulassen, dass Geschichte von den Nazis umgedeutet wird. Rechtsextremistisches Denken und Handeln müsse von den Plätzen und Straßen nicht nur in Demmin verschwinden. Allerdings, so meint Ritter auch, wäre es »wünschenswert«, dass sich wieder mehr Demminer Bürger aller Altersgruppen und Weltanschauungen dafür engagieren.

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