Zwischen Nebenwiderspruch und Gedöns

Auf den Blockupy-Aktionstagen wurde die »Care Revolution« ausgerufen

  • Jan Tölva
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch die soziale Reproduktion steckt in der Krise: Die Aufgaben zwischen Frau und Mann, Staat und privat müssen neu verteilt werden, fordern Feministinnen.

»Die Krise« steht im Fokus vieler aktueller Politikansätze und der gegenwärtigen europaweiten Aktionswoche des Bockupy-Bündnisses. Gemeint ist damit meist die Krise der Wirtschaft, die von vielen als Krise der Überproduktion verstanden wird. Doch der Begriff schließt auch andere Bereiche der Gesellschaft ein, die sich in der Krise befinden und die eine ebenso große Aufmerksamkeit verdienen.

Von einer »Krise der sozialen Reproduktion« zum Beispiel spricht das Trouble Everyday Collective aus Berlin in seinem gleichnamigen Buch, das vor einigen Wochen erschienen ist. Das Kollektiv blickt dabei mit einer dezidiert feministischen Perspektive auf das Thema »soziale Reproduktion«, zu der alle Tätigkeiten gehören, die der Aufrechterhaltung der individuellen wie auch der gesellschaftlichen Arbeitskraft dienen, also im Wesentlichen die Hausarbeit sowie jede Form von Pflege- oder Betreuungstätigkeiten.

Mit dem gleichen Thema befasste sich auch der Care-Revolution-Aktionstag, der im Rahmen der Aktionswoche am vergangenen Sonntag in Berlin-Kreuzberg stattfand. Nahziel der Care Revolution ist es, Fragen der Reproduktionsarbeit stärker in die laufenden Debatten einzubringen. Der Begriff »Care« kann dabei in etwa mit »Sorgearbeit« übersetzt werden. Gemeint sind damit all jene reproduktiven Tätigkeiten, die sich nicht auf sich selbst, sondern auf eine andere Person beziehen, also ein weites Feld, das vom Kochen und Putzen für andere über Kinderbetreuung bis hin zur Altenpflege und darüber hinaus reicht.

»Der zentrale Unterschied zwischen Sorgearbeit und anderen Formen der Arbeit ist, dass Sorgearbeit nicht so einfach wegrationalisiert werden kann, ohne dass es einen qualitativen Unterschied gibt«, sagt Tina Reis, eine derjenigen, die den Aktionstag organisiert haben. Anders gesagt - Roboter können Autos vielleicht genauso gut zusammensetzen wie Menschen, aber für jemanden, der auf ambulante Pflege angewiesen ist, ist der zwischenmenschliche Kontakt im Rahmen der Pflege ein entscheidender Teil derselben - das macht den »qualitativen Unterschied«.

Im offiziellen Aufruf zu den Blockupy-Aktionstagen fehlt dieses Thema allerdings vollkommen. Ein bisschen wirkt es so, als sei, wenn es um Kapitalismuskritik geht, die Frage, wer sich um die Kinder und die Alten kümmert, wer kocht und wer putzt, für viele noch immer irgendetwas zwischen Nebenwiderspruch und Gedöns, wie es einst der damalige Kanzler Gerhard Schröder formulierte. »Wir wollen uns in die Proteste einbringen«, sagt Reis daher, »aber wir wollen auch Kritik an ihnen üben.« Feministische Perspektiven müssen viel stärker einbezogen werden, so Reis.

Es geht aber nicht nur um Frauenfragen. Wenn man beim Betrachten der ökonomischen Prozesse auch die Reproduktion und die Sorgearbeit mit in den Blick nimmt, verändert sich zwangsläufig der Blickwinkel aufs große Ganze. Es ist ja kein Zufall, dass gerade viele Tätigkeiten, die als typisch weiblich gelten, besonders schlecht bezahlt werden, dass gerade dort ein großer Teil der Beschäftigungsverhältnisse prekär ist und dass in eben diesem Bereich viele oft noch schlechter bezahlte und teilweise illegalisierte Migrantinnen arbeiten.

In Workshops und Diskussionsrunden ging es am Sonntag um Überlastung von Pflegepersonal in Krankenhäusern, Sexarbeit und alternative Wohnkonzepte. »Es waren ziemlich viele und auch sehr unterschiedliche Leute da«, zog Reis ein positives Resumee, »und es ist immer gut, wenn Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen miteinander ins Gespräch kommen.«

Um »Bedürfnisse und das gute Leben« muss es gehen, fordert in diesem Zusammenhang das Trouble Everyday Collective. Ohne den Bereich der Sorge dürfte keines von beiden zu haben sein, denn Menschen brauchen andere Menschen, die sich beizeiten um sie kümmern. Eine Kritik, die das vergisst, muss nahezu zwangsläufig eine unvollständige sein.

trouble everyday collective: Die Krise der sozialen Reproduktion. Kritik, Perspektiven, Strategien und Utopien. Unrast Verlag Münster, 78 Seiten, 7,80 €.

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