2.000 Leben: Barth in der NS-Zeit

M.Kay 10.04.2012 04:24 Themen: Antifa Blogwire
Die Stadt Barth selbst ist re­la­tiv un­schein­bar. Auch im NS-​Reich hatte sie an­fangs keine Be­deu­tung, erst mit dem Bau eines Flie­ger­hors­tes süd­lich der Stadt, der am 10. Juli 1936 in Dienst ge­stellt wurde, wurde die Stadt auch für In­dus­trie­un­ter­neh­men in­ter­es­sant.
Im No­vem­ber 1943 wurde das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger in Barth als Au­ßen­la­ger des Frau­en­kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ra­vens­brück ge­baut und soll­te die drin­gend be­nö­tig­ten bil­li­gen Ar­beits­kräf­te für die Hein­kel-​Wer­ke, die unter an­de­rem den deut­schen Bom­ber He110 bau­ten, lie­fern. Die Le­bens-​ und Ar­beits­be­din­gun­gen waren für die Häft­lin­ge, wie in allen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, er­nied­ri­gend und le­bens­feind­lich. Die ers­ten 200 Ge­fan­ge­nen aus Bu­chen­wald wur­den ähn­lich wie spä­ter an­kom­men­de Häft­lin­ge in Ba­ra­cken aus 15 Qua­drat­me­tern je zu 20 Per­so­nen ge­pfercht. Als Zu­de­cke be­ka­men sie je­weils eine dünne Woll­de­cke, eine harte Stroh­ma­trat­ze sowie ein klei­nes Kopf­kis­sen. Ver­lor ein Häft­ling etwas davon, wurde es ihm nicht er­setzt. Ins­ge­samt wur­den im Laufe des Krie­ges über 7.​000 Häft­lin­ge aus 20 Na­tio­nen in Barth fest­ge­hal­ten.

Die Ver­pfle­gung der In­sas­sen war mehr als un­zu­rei­chend. In der Regel be­ka­men die Häft­lin­ge nicht mehr als einen Liter dün­ner Kar­tof­fel-​,Kohl- oder Steck­rü­ben­sup­pe. Ab und an gab es dazu Er­satz­kaf­fee sowie etwa 100 Gramm Er­satz­brot und we­ni­ge an­de­re Dinge. Hun­ger war auf Grund der schwe­ren kör­per­li­chen Ar­beit und der schlech­ten Er­näh­rung des­halb der stän­di­ge Be­glei­ter der Zwangs­ar­bei­ter_In­nen. Viele er­la­gen den Stra­pa­zen des Ar­beits­all­ta­ges, er­krank­ten an Tu­ber­ku­lo­se oder wur­den ein­fach von den SS-​Wa­chen er­schos­sen. Die Ver­sor­gung der La­ger­in­sas­sen war für den Bart­her KZ-​Kom­man­dan­ten nicht von In­ter­es­se, da kran­ke Häft­lin­ge ein­fach nach Ra­vens­brück zu­rück­ge­schickt und durch neue er­setzt wur­den. Nach­dem so­wje­ti­sche Trup­pen auf Barth vor­rück­ten, wurde das Lager am 30. April 1945 ge­räumt. Ins­ge­samt fünf To­des­marsch­ko­lon­nen wur­den in Rich­tung Ros­tock los­ge­schickt – drei Ko­lon­nen mit Män­nern und zwei mit Frau­en. Nach­dem auch die letz­ten SS-​Wa­chen ge­flo­hen waren, waren noch etwa 800 Frau­en im Lager zu­rück­ge­blie­ben. Diese mach­ten sich auf in die be­nach­bar­te Stadt, wo sie von be­waff­ne­ten Hit­ler-​Jun­gen, die wohl als ein­zi­ge noch ernst­haft an den „End­sieg“ glaub­ten, auf­ge­grif­fen. Eine Er­schie­ßung der Frau­en konn­te nur durch das Ein­grei­fen der Rib­nit­zer Be­völ­ke­rung ver­hin­dert wer­den. Auch die zwei­te Frau­en­ko­lon­ne kam wäh­rend des Mar­sches frei.

An­ge­schlos­sen an den Flie­ger­horst war auch das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Sta­lag Luft I, in dem meh­re­re tau­sen­de al­li­ier­te Flie­ger in­ter­niert waren. Nach der Flucht der SS-​Mann­schaf­ten be­tra­ten ei­ni­ge von ihnen als erste das ehe­ma­li­ge Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. In man­chen Räu­men fan­den sie Men­schen, die schon seit Tagen tot waren. Neben den Lei­chen stan­den Fol­ter­in­stru­men­te, mit denen Kno­chen ge­bro­chen wer­den soll­ten. Für etwa zwei Wo­chen ver­wal­te­ten die Flie­ger das Lager selbst, ver­such­ten die Ver­pfle­gung zu or­ga­ni­sie­ren und den Ver­letz­ten zu hel­fen.
Als die so­wje­ti­schen Trup­pen ein­tra­fen, hal­fen die Pi­lo­ten wei­ter bei der Ver­sor­gung. Noch Wo­chen nach der Be­frei­ung des La­gers star­ben Men­schen an den Fol­gen der Be­hand­lung durch die SS. Und trotz­dem waren die so­wje­ti­schen Sol­da­ten längst nicht mehr so er­schro­cken, wie Pi­lo­ten der west­li­chen Al­li­ier­ten. Sie hat­ten be­reits die KZs in Polen und den Ge­bie­ten der So­wjet­uni­on ge­se­hen, wo Mil­lio­nen Men­schen er­mor­det wur­den. Der Fas­sungs­lo­sig­keit war in­zwi­schen Trau­er und auch Wut ge­wi­chen.

Die meis­ten Bart­her wol­len bis zum Kriegs­en­de nichts von den Zwangs­ar­bei­ter_In­nen und ihrem Leid auf dem Flie­ger­horst Barth ge­wusst haben. Mehr als ein Ver­such des Selbst­be­tru­ges dürf­ten die meis­ten die­ser Äu­ße­run­gen nicht sein. Der Horst und das KZ waren nicht weit von der Stadt Barth ent­fernt. Der wirt­schaft­li­che Auf­schwung, der durch die An­sied­lung ver­schie­de­ner Rüs­tungs­un­ter­neh­men zu Stan­de kam, hatte die über­gro­ße Mehr­heit der Men­schen blind für das Elend an­de­rer ge­macht. An der Bart­her Ge­denk­stät­te steht des­halb noch heute mah­nend in meh­re­ren Spra­chen auf schwe­ren Stein­plat­ten ge­schrie­ben:

In Barth wur­den über 2.​000 Men­schen für die Pro­fit­in­ter­es­sen des Hein­kel­kon­zerns zu Tode ge­quält.

Bild: Die KZ-​Ge­denk­stät­te in Barth.
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