350 bei Protest gegen Lager in Horst (MV)

egal 16.01.2012 15:52 Themen: Antirassismus
Am vergangenen Samstag fand vor dem Erstaufnahme- und Abschiebelager in Horst (bei Boizenburg) eine erfolgreiche Kundgebung mit 350 Teilnehmenden gegen die dortigen menschenverachtenden Bedingungen und Lagerunterbringung im Allgemeinen statt.
350 Menschen – darunter Flüchtlinge, die dort zwangsweise untergebracht sind, und Unterstützer_innen aus Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg - demonstrierten damit gegen die schlechten Bedingungen in dem dortigen Lager und forderten eine sofortige Schließung des Lagers.
Mit Kleiderspenden, heißen Getränken, Verpflegung und Musik wurde versucht, etwas Abwechslung in den tristen Lageralltag zu bringen. Einige waren durch die Musik sogar zum Tanzen angeregt. Kinder und Jugendliche spielten Fußball und andere Spiele. Mit Kreide und Farbe wurde die Lagertristesse auch optisch verschönert und der Unmut über die Situation kreativ geäußert.
In verschiedene Sprachen wurden Redebeiträge gehalten, die eine grundlegende Kritik an der deutschen und europäischen Asylpolitik artikulierten und Bewegungsfreiheit für alle Menschen forderten.
Die Flüchtlinge erhielten über das offene Mikrophon selbst die Möglichkeit, über ihre Situationen zu berichten: Ein junger Flüchtling sagte, er kann viel berichten, zum Beispiel "dass die Kinder hier nicht zur Schule gehen können; darüber, dass der Strom im Lager nachts ausgestellt wird, damit sich niemand heimlich Tee kochen kann (…)". Grundsätzlich kritisierte er im Namen der Flüchtlinge: „Wir sind nach Deutschland gekommen und dachten, wir hätten hier Menschenrechte. Doch wir haben sie nicht gefunden!“. Für Flüchtlinge gelten keine Menschenrechte in Deutschland und der EU, stellte er deprimiert fest.

Isolation, Entmenschlichung, Ausgrenzung - Menschenrechte ?

Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992 wurde die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge von den Behörden bewusst in die Abgeschiedenheit nach Horst verlegt. Dort existiert sie beinahe 20 Jahre (seit 1.4.1993), immernoch als eine bewusste Entscheidug der Behörden für Ausgrenzung von Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft. Dieser Fehlschluss aus dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992 führt für die dort untergebrachten Menschen zu konkreten Missständen, Ausgrenzung, psychischen und physischen Krankheiten und vieles mehr.
Die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Lagern wie Horst oder Jürgenstorf (bei Stavenhagen) grenzen die Menschen aus, degradiere sie zu Menschen zweiter Klasse und machen sie nicht zu letzt psychisch und physisch krank. Die rassistische Abschreckungspolitik der Behörden hat ihre Wirkung.
Die Flüchtlinge leben in Horst unter gefängnisähnlichen Bedingungen.
Nicht nur der äußere Anschein bestätigt das: Ein mit Stacheldraht umsäumter Zaun umgibt das Gelände, Wachen am Eingang, die jeden kontrollieren, ein Drehkreuz, dahinter kasernenartige Blöcke. Weit entfernt von Beratungsangeboten und Unterstützung von Dolmetscher_innen, sollen dort Flüchtlinge ein extrem bürokratisches und schwieriges Asylverfahren beginnen, dessen negativer Ausgang nicht selten auf die ersten Schritte in Horst zurück zu verfolgen ist. Selbst staatlich geförderte UnterstützerInnen wie z.B. Flüchtlingsräte erhalten keinen Zugang zum Gelände und sind gezwungen ihre Beratungsangebote außerhalb des Geländes, u.a. auf dem Parkplatz, durchzuführen.
Hinzu kommt, dass die Flüchtlinge in Horst fast vollständig ihre Privatsphäre und Selbstbestimmung aufgeben müssen: Mehrpersonenzimmer für bis zu 6 Personen, vorgeschriebenes Essen in der Kantine zu vorgeschriebenen Zeiten; keine Freizeit- oder Beschäftigungsmöglichkeiten. Ein monatliches „Taschengeld“ von 40,- lassen zudem kein keinen Kontakt in andere Städte und so gut wie keine eigene Versorgung zu. Selbst schulpflichtige Kinder und Jugendliche sind hier untergebracht ohne jede Möglichkeiten des Lernens. Möglichkeiten die deutsche Sprache zu lernen, sind gesetzlich nicht vorgesehen. Die völlig unzureichende medizinische Versorgung beruht in der Regel auf die Vergabe von Schmerztabletten – auch bei schweren psychischen oder physischen Krankheiten und Verletzungen, die beispielsweise durch die Flucht entstanden sind – und findet meist ohne Übersetzung statt. Zudem werden nötige Überweisungen zu Fachärzten selten ausgestellt.
Das eine „Integration“ in Deutschland nicht erwünscht ist und stattdessen eine Abschreckungspolitik bevorzugt wird, ist nicht zu übersehen.
Der Aufenthalt soll maximal drei Monate betragen – in der Realität sitzen doch die Menschen dort meistens viel länger fest.

"die im Dunkeln sieht man nicht" - seit 2005 auch Abschiebelager

Seit 2005 befindet sich auf dem Gelände zugleich die sogenannte „Landesgemeinschaftsunterkunft“, die de facto den Charakter eines Abschiebelagers einnimmt und in anderen Orten „Ausreisezentrum“ bezeichnet wird. Menschen, die „offensichtlich unbegründet“ in Deutschland aufhältig sind und von Abschiebung bedroht sind, dürfen hier maximal 12 Monate untergebracht sein. Auch das wurde in der Vergangenheit immer wieder überschritten. Gegen all diese Probleme richtete sich bereits mehrfach Protest, zuletzt im Spätsommer 2010 indem einige Flüchtlinge in den Hungerstreik traten. Doch eine wesentliche Verbesserung der Situation im Lager Horst blieb bisher aus.
Das abgelegene Lager wird neben MV seit 2006 auch durch die Stadt Hamburg genutzt. Dies sollte allerdings mit dem letzten Koalitionsvertrag auslaufen. Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg hatte sich Anfang 2011 darauf geeinigt, den Vertrag Ende 2012 auslaufen zu lassen. Doch kaum im Amt will der SPD-geführte Senat Hamburgs indes die Unterbringung von Flüchtlingen in Horst fortsetzen. Und das obwohl sich an der Situation – deren Unzumutbarkeit u.a. die SPD noch im letzten Jahr selbst festgestellt hat- seither nichts verändert hat.
Wärend die meisten der sogenannten "Dschungelcamps" in MV abegschafft wurden, verstößt das vom Land betriebene Lager in Horst eindeutig gegen die eigene Verordnung von 2001: „Um die Teilnahme am Gemeinschaftsleben zu ermöglichen, dürfen Gemeinschaftsunterkünfte nur in oder im Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil eingerichtet werden.“ (§2 Abs. 2 der Gemeinschaftsunterkunftsverordnung M-V 2001).
Dabei machen die (infra-)strukturellen Bedingungen des Lagers, die zum einen vom Standort herrühren, zum anderen von den dort geschaffenen Bedingungen, deutlich, dass eine Verbesserung der Lebenssitutation der Flüchtlinge – wenn gewollt – nur durch eine Verlegung in eine größere Stadt hergestellt werden kann. Beispielsweise in Rostock hätten Flüchtlinge soziale und rechtliche Beratung und Unterstützung, sowie Möglichkeiten der Partizipation am gesellschaftlichen und politischen Leben.

Flüchtlinge, Unterstützer_innen, der Flüchtlingsrat Hamburg, sowie die Stop_it! Kampagne fordern daher die sofortige Schließung der Landesgemeinschaftsunterkunft Nostorf/Horst für Flüchtlinge aus Mecklenburg-Vorpommern und die Verlegung der „Zentralen Erstaufnahme“ in eine größere Stadt wie Rostock, in der Flüchtlinge maximal 3 Monate untergebracht werden.

Gegen Lagerunterbringung und Abschiebung !
Für Bewegungsfreiheit, freie Wohnungswahl und eine menschliche Asylpolitik !
Für das Leben !
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Ergänzungen

weitere infos zu flüchtlingslagern in mv

alles käse 17.01.2012 - 11:26
.. findet ihr auf dem noch recht jungen blog der stop_it! - kampagne:

 http://stopitkampagne.blogsport.de/

Interview in der Jungen Welt

sowieso 17.01.2012 - 22:06
Interview der Jungen Welt mit dem Flüchtlingsrat Hamburg:

 http://www.jungewelt.de/2012/01-18/033.php