B: Der Tanz beginnt nackig (1: handdrugstore)

R-oland I-onas B-ialke 05.04.2012 11:33 Themen: Freiräume Medien Repression Soziale Kämpfe
Im April 1971 gründete sich das "handdrugstore" in der Motzstrasse in Berlin-Schöneberg als direkte Auswirkung des Berliner Randgruppenkongress vom 7. und 8. Februar 1970. Dieses fast schon vergessene Projekt gilt als einer der Grundsteine der Hausbesetzungen und selbstverwalteten Jugendzentren in Deutschland. Doch auch die Gründe, warum das "handdrugstore" unterging, wurden fast vergessen.
Die Jugendfreizeitheime (JFH) waren in West-Berlin bis 1971 fast die einzigen Jugendclubs, in denen Jugendliche kostenlos ihre Freizeit verbringen können. Die Jugendfreizeitheime waren eine staatliche Einrichtung, von den Bezirken finanziert, dem Jugendamt unterstellt, und von ihnen durch eine Heimleitung verwaltet. Bekannte Jugendfreizeitheime waren oder sind z.B. das SJZ Drugstore (Schöneberg), das Statthaus Böcklerpark (Kreuzberg) oder das JFH Köpenickerstrasse (Kreuzberg). Die Jugendfreizeitheime hatten u.a. die Aufgabe Jugendliche vor "schädlichen Einflüssen" zu schützen.

Am 7. und 8. Februar 1970 beim Randgruppenkongress in Berlin, versuchten sich Gruppen aus dem (westdeutschen) Bundesgebiet, vor allem aber aus Berlin, in Sachen "Randgruppenarbeit" zu vernetzen und auszutauschen. Mit Randgruppen bezeichnete man u.a. Heimkinder, Treber, Gammler, Menschen aus der "Dritten Welt", Obdachlose, Gefangene, Suchtkranken und Prostituierte. Während des Kongresses wurde schnell klar, dass viele Gruppen von ihrem eigenen Thema überfordert waren, selbst zu wenig Bezug hatten und methodische Fehler machten, die für die soziale Arbeit stellenweise destruktiv wirkten.

Die Vernetzung lief stockend, doch trotzdem kam etwas dabei herum. Die damaligen Aktiven konnten erkennen, dass sich die staatliche Arbeit in den Jugendfreizeitheimen zu einem Fiasko entwickelte. Dort kam es zu Schlägereien, Drogenmissbrauch und Repression gegen Treber - d.h. gegen Ausreisser und Ausreisserinnen, die noch nicht volljährig waren (damals ab 21) und gegen Menschen, die sich "sexuell befreien" wollten (und damit gegen das Gesetz oder vorherrschende Ordnung verstiessen). Wer damals "auf Trebe" war hatte keine Papiere, wer sich nicht an den geschlechtlichen und zwischengeschlechtlichen Normen orientierte, fand kaum Arbeit. Und so prostituierten sich viele dieser Menschen.

Im April 1971 enstand in Berlin ein selbstverwalteter Verein, der "hand drugstore e.V.", mit eigenen Laden: Das "handdrugstore" in der Berliner Motzstrasse. Im Laden sollten "Randgruppen" durch "Hilfe zur Selbsthilfe" Unterstützung und einen Vernetzungsort bieten. In den Räumen wurde auch gefeiert. Letztendlich wurde versucht junge Frauen und Männer von der Prostitution fernzuhalten. Damals war die Prostitution verboten, und als Schutz vor Gewalt, Überfälle und Polizei boten sich den Prostituierten Zuhälter an. Dass diese ebenso den Prostituierten Gewalt antaten und sie ausbeuteten, stellte sich dann für sie erst später heraus.

Der florierende Strassenstich in der Kurfürstenstrasse war vom "handdrugstore" nur einen Katzensprung (sechs Häuserblöcke) entfernt. Und einige Banden der Organisierten Kriminalität sahen ihr Geschäft bedroht. Da das "handdrugstore" die jungen Leute über die Prostitution aufklärte und einen alternative Amüsierbetrieb darstellte, war es ihnen ein Dorn im Auge. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen im Umfeld des "handdrugstore", u.a.waren Dealer und Zuhälter im Laden, wurde Mitte 1971 das "handdrugstore" von Banden des organisierten Verbrechens angegriffen und fast vollkommen zerstört. Bis Herbst 1971 blieben die meisten Besucher und Besucherinnen weg, kamen nur Wenige in den Laden, da die Angst vor weiteren Angriffen präsent war. Die Aktiven des "handdrugstore" entschlossen sich Schutzgeld an das Verbrechersyndikat" zu zahlen.

Einige Aktive bereicherten sich auch an der Kasse, sodass eine hunderte Mark teure Registrierkasse angeschafft wurde. Eine klare Misswirtschaft wurde erkennbar. Trotz eines relativ netten Vermieters, der die inzwischen auf einen fünfstelligen Betrag angewachsenen Mietschulden, stundete. Knapp ein Jahr nach der Gründung wurde das "handdrugstore" geschlossen. Der Berliner Senat wollte die etwa benötigten 80.000 Mark zur Erhaltung nicht aufbringen, wenn er nicht an der Verwaltung beteiligt wird. Aus eigener Kraft war es nicht möglich das "handdrugstore" zu erhalten.

In dem Protokoll der Deligiertenversammlung West-Berliner Jugendzentren vom 15. September 1972 im "Tanzclub Flamingo" heisst es nur noch: "Nach dem Drugstore in der Motzstrasse wegen finanzieller Unklarheiten und Schweinereien zugemacht hat, hat die alte Drugstore-Mannschaft es in langen Verhandlungen geschafft den Drugstore in der Potsdamerstrasse wiederzueröffnen. Der Drugstore ist als ein Kommunikations- und Resozialisierungszentrum gedacht. Neben den Arbeitsgruppen, die für Kommunikation sorgen sollen gibt es eine Wohngemeinschaftsgruppe, die Wohnungen für entlassene jugendliche Gefangene aus der Plötze besorgen soll. Ferner sollen Arbeitsplätze beschafft werden. Auch schon vor der Eröffnung haben Kontakte mit den offiziellen Gefangenenvertretern in der Plötze bestanden. Finanziell klappt es beim Drugstore besser als bei den anderen Jugendzentren."

Nachdem die Aktiven das "handdrugstore" schliessen mussten, und einige Monate um ein neues Jugendzentrum verhandelten, konnten sie die Räume des JFH Drugstore in der Potsdamer Strasse 180 mitnutzen. Inzwischen war ein neuer Verein gegründet worden (S.S.B. e.V.) und weitere Projekte in Anlauf genommen.

Film zum Thema von Ulrike Meinhof:  http://www.youtube.com/watch?v=IIEz4NKiOnU

VERGESST NICHT !!

Der Tanz beginnt nackig.

REVOLUTIONÄRE 1.MAI-DEMONSTRATION 2012

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BERLIN

ZUM STRASSENSTRICH IN DER KURFÜRSTENSTRASSE

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