Bericht RefugeeMarch Traiskrichen-Wien

* 25.11.2012 20:39 Themen: Antirassismus
Nach einer Reihe von Flüchtlingsprotesten in Österreich und international wurde mit nur 1 Woche Vorbereitungszeit beschlossen, einen Refugee March von größten Flüchtlingslager in Österreich in Traiskirchen in das 35 km entfernte Wien zu machen.

Unmittelbarer Grund für die Proteste sind die untragbaren Zustände im Lager selbst, die unfairen Verfahren sowie generell der respektlose Umgang mit Flüchtlingen* in diesem Land.
Kontrolle vor der Demo



Schon vor Beginn der Demo gab es Aufregung. Im Lager Traiskirchen wurden kurzfristig Anwesenheitskontrollen angesetzt. Sollten Menschen zu dieser -laut Bewohner_innen sehr ungewöhnlichen Maßnahme- nicht anwesend sein, laufen sie Gefahr, die Grundversorgung zu verlieren. Natürlich wurde von Behördenvertreter_innen ein Zusammenhang mit der Protestaktion dementiert. So konnte die Demo erst mit 2-stündiger Verspätung beginnen.



Lautstarker Widerstand



Doch sobald die Angst überwunden war und die Demo startete, merkte mensch schnell, welche Bedeutung diese Aktion für die Flüchtlinge hatte. Es war eine Befreiungsaktion, die Isolation des Lagers zu durchbrechen. Sehr lautstark und dynamisch nahmen ca. 200 Flüchtlinge und 50 Unterstützer_innen die 35 km in Angriff. Auch vereinzelte rassistische Pöbeleien konnten der kämpferischen Stimmung nicht schaden.

Manche mussten unterwegs -u.a. wegen fehlender Winterkleidung- aufgeben, dafür kamen auch langsam mehr und mehr Unterstützer_innen, sodass mit 300-350 Menschen Wien erreicht wurde.

Beim Asylgerichtshof wurde der Marsch von zwischen 250 und 350 Menschen erwartet. Ergebnis des Zusammentreffens war ein minutenlanges Freudengeschrei. Gerade hier in den Außenbezirken gab es auch lautstarke Unterstützung von Passant_innen und Bewohner_innen.



Repression



Doch hier, beim Asylgerichtshof, fing auch eine verschärfte Repression seitens der Polizei an. Sie meinte, die Menschenmenge (hier 500-700 Menschen) auf eine Fahrspur drängen zu müssen. Von nun an wurde die Demo in einem Wanderkessel, zeitweise mit 3-reihigen Spalier an der Spitze begleitet. Enge Begleitung auch von Polizeifahrzeugen sorgte dafür, dass die Außenwirkung der Demo stark beeinträchtigt wurde. Mehrmals wurde die Demo von der Polizei grundlos -laut Polizeifunk, weil die Aktion zu dynamisch war- aufgehalten.

Dazu kam, dass es Gerüchte über eine weitere Anwesenheitskontrolle am Abend im Lager Traiskirchen gab. Klar war, dass es am nächsten Morgen wieder Kontrollen geben wird. Auch wenn ein Sprecher des Innenministeriums aussagte, dass es keine Abendkontrolle geben würde und die Teilnahme an einer Demo eine Entschuldigung für das Fernbleiben sei, und somit keine Konsequenzen nach sich ziehe, lösten diese Gerüchte Angst und Besorgnis bei vielen der Flüchtlinge aus.



Das Ende des Marsches: ein Camp



Im Zentrum, auf der Ringstrasse, änderte sich das Bild abermals. Es gab einen längeren Stop, wo Flüchtlinge diskutierten, ob und wie es weiter bzw. zurückgehe. Zwar zogen die meisten Menschen weiter -durch weitere solidarische Menschen war die Demo sogar größer geworden, am Ende waren es fast 1 000 Menschen- , doch die bis dahin lautstarke Stimmung war großteils weg.

Die Polizei zog sich hier wieder etwas zurück, dafür gab es im Zentrum wieder vermehrt rassistische Kommentare von Passant_innen.

Das Ende des Marsches war der Votivpark neben der Hauptuni, wo bereits von solidarischen Menschen ein Camp aufgebaut worden ist. Mehrere Zelte, eine große Vokü und mehrere Bänke zum Ausrasten erwarteten die erschöpften Menschen, die seit über 9 Stunden unterwegs waren.

Trotz der ständigen Einschüchterungen blieben mehr als 50 Flüchtlinge sowie ein Handvoll Unterstützer_innen im Camp. Das Camp soll zumindest bis nächste Woche bestehen bleiben, es soll ein Ort des Widerstandes und der Zusammenlebens sein, wo die Isolation der Flüchtlinge durchbrochen wird. Der Blog zum Camp nennt sich  https://refugeecampvienna.noblogs.org/

In der Zwischenzeit gibt es für Montag ein Programm: Um 12:00 gibt es einen Solidaritätsbesuch des Kabarettisten Josef Hader, um 16:00 gibt es eine Demo von der Hauptuni über das Parlament zum Omofuma-Gedenkstein. Im Moment gibt es hier ein Plenum, von der nahen Votivkirche hängt ein riesiges "Kein Mensch ist illegal!"-Transparent.



Medienecho



Bereits im Vorfeld der Demo gab es eine umfangreiche Berichterstattung in praktisch allen größeren Zeitungen des Landes. So nahm auch die Demo selbst einen großen Raum ein, wobei zu sagen ist, dass mit Ausnahme des Standards durchwegs mit rassistischen Motiven und Unterstellungen gearbeitet wird (kein Grund zum Demonstrieren, stürmen Wien, Pannenserie, Protestaktion mit Fragezeichen,...). Viele Leser_innen und Kommentarschreiber_innen schloßen sich diesem Konsens an, sodass z.B. das Krone-Forum (vergleichbar mit Bild in Deutschland) geschlossen werden musste. In diesem Umfeld ist es nicht verwunderlich, dass es von Rassist_innen und Nazis zu Morddrohungen kommt.




Fazit



Zwar ist es durchwegs möglich, dass diese Proteste scheitern und es zu einem weiteren rassistischen Backlasch hierzulande kommt, dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit des Protestes. Gerade die Aktionen der Lagerleitung zeigen exemplarisch, welcher Willkür und Respektlosigkeit viele Flüchtlinge ausgesetzt sind. Der Marsch selbst war ein grandioser Ausdruck migrantischer Selbstorganistion und die bei weitem lautstärkste, kämpferischste und dynamischste Demo der letzten Zeit in Wien.



* ich bin altmodisch, und verwende weiterhin das Wort "Flüchtlinge", da es mir sinnvoll erscheint, den aktiven Teil einer Flucht zu betonen.

P.S. Der gleiche Bericht findet sich mit ein paar Links hier:
 https://linksunten.indymedia.org/de/node/72324
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Ergänzungen