Berlin - Antirassismusdemo am 10.12.2011

Bernd Kudanek alias bjk 12.12.2011 14:55 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Demo gegen den alltäglichen Rassismus in unseren Köpfen

Der Internationale Tag der Menschenrechte (  http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte ) hat offenbar selbst in der linken Berliner Szene trotz der Nazimorde und der wieder aktuellen NPD-Verbotsdebatte eine beschämend geringe Resonanz. Wie sonst ist zu erklären, daß auf der von über 50 Organisationen und Initiativen getragenen und vom Berliner Migrationsrat (  http://www.migrationsrat.de/index.php?option=com_content&view=frontpage&Itemid=61/ ) veranstalteten Anti-Rassismus-Demo in den Mittagsstunden am Marx-Engels-Forum nur 800 - 1000 und bei der Abschiebeknast-Demo in Grünau (  http://de.indymedia.org/2011/12/321692.shtml ) am späten Nachmittag nur 400 - 500 Menschen eingefunden haben?! Am Wetter kann es nicht gelegen haben, denn es war mit etwa 5° und einer leichten Brise zwar ziemlich frisch aber Sonne und Wolken ließen eher an Spätherbst als an den baldigen Winter denken.
Als ich gegen 11 Uhr an der Kreuzung Karl-Liebknecht-Straße / Spandauer Damm eintraf, war dort vor lauter Polizei-Wannen und den leider üblichen Polizeiposten zunächst mal nix von einer Demo zu sehen. Die Polizeiposten standen aber nur frierend herum und nahmen nach meinen Beobachtungen auch keine Filzkontrollen "verdächtiger" Personen vor. Ob's daran lag, daß sie entsprechende Order hatten oder weil es keine "verdächtige" Personen gab, sei mal dahingestellt. Jedenfalls später während des Demonstrationszuges in Richtung Brandenburger Tor hielt sich die in ihrer Massivität wieder mal völlig überzogene Polizeipräsenz weitgehend im Hintergrund. Es kam auch zu keinen Zwischenfällen, weder seitens der Polizei und schon gar nicht aus den Reihen der DemonstrantInnen.

Wie auch immer, sehr bald entdeckte ich dann kurz vor der Karl-Liebknecht-Brücke eine rote DIDF-Fahne mit gelbem Logo und drumherum die ersten Demo-TeilnehmerInnen. So nach und nach wurden wir dann deutlich mehr als nur die anfänglichen ca. 300 Personen. Aus Gesprächen entnahm ich, daß einige Leute zuerst vergeblich am Alexanderplatz gesucht hatten, weil's so in einigen Medien gemeldet war. Wohltuend war, daß bis auf ein, zwei Flaggen der PDL keine politischen Parteien die Demo mit ihren Fahnen vereinnahmen wollten. Antifa-, DIDF- und selbst rote Flaggen sind zwar politisch links einzuordnen aber haben keinen Bezug auf Parteien. Trotzdem bat die Demoleitung später alle Fahnenträger, sich hinter den Lauti einzureihen. Nicht nur ich fand das eigentlich schade, denn Front- und Seitentranspis entfalten doch gerade durch gleichzeitige vielfältige Flaggenpräsenz ihre kraftvolle Wirkung. Ein Fahnenträger mit seiner roten Flagge ließ sich auch durch mehrere Lauti-Durchsagen nicht beirren und blieb im vorderen Drittel hinter dem Fronttranspi - bis zum Schluß übrigens.

Um an die Morde der NSU-Terrorgruppe zu mahnen, stellte sich eine Gruppe mit weißen T-Shirts, auf denen die Mordopfer abgebildet waren, einige Meter vor das Fronttranspi und bald darauf startete die Demo, die T-Shirt-Gruppe immer vorweg. Viele aussagekräftige Transparente und betroffen machende Plakate sollten vor allem den PassantInnen unsere Botschaft erklären, sie zum Nachdenken anregen und sie aufrütteln. Das ist nach meinen Beobachtungen weitgehend gelungen, nur eine junge Frau sah ich an der Kreuzung Unter den Linden / Glinkastraße, die bei unserem Anblick verständnislos den Kopf schüttelte. Die meisten anderen schienen ernsthaft interessiert oder waren zumindest nicht ablehnend, auch wenn nicht alle die Flugis entgegen nehmen wollten.

Auf mich machte das Plakat mit der Überschrift "Die schwer durchdringbare Parallelwelt der Deutschen schützt die Killer" (Foto 25 + 26) den nachhaltigsten Eindruck. Denn es zeigt schonungslos den alltäglich stattfindenden Rassismus in unserer Gesellschaft auf. Hier vor allem muß nach meiner Überzeugung der Hebel angesetzt werden, ein Umdenken - sei es noch so mühevoll - muß in unserer Gesellschaft erfolgen. Foto 26 prangert die wichtigsten Mißstände an! Ein Verbot der NPD allein reicht nicht, solange in unseren Köpfen, in unserer Sprache und unserem alltäglichen Handeln noch weiterhin diskriminierende Begriffe wie Gastarbeiter, Ausländer, Sozialschmarotzer herumgeistern und von Schlimmerem noch immer die leider alltägliche Rede ist.

Es gab auf Zwischenkundgebungen Redebeiträge in mehreren Sprachen, die diesen latenten Rassismus thematisierten. Es wurden auch die Namen von über 180 von rechten Gewalttäter ermordeten Menschen verlesen. Geradezu typisch für den alltäglich praktizierten Rasssimus (nicht nur) in der BRD ist dabei, daß die deutschen Behörden nur etwa 40 Mordopfer gezählt haben wollen. Böse Zungen behaupten ja schon immer, daß die BRD in Wirklichkeit nichts als eine demokratisch getarnte Brutstätte faschistischer Umtriebe ist. Denn längst ist Allgemeinwissen, daß Adenauer an alle wichtigen Schaltstellen überzeugte Alt-Nazis, selbst wenn sie noch so schlimme Menschenrechtsverbrechen begangen hatten, platziert hat. So konnten sich mit Wohlwollen des Finanzkapitals bei CDU/CSU/FDP und Teilen der SPD der dumpfe Antikommunismus, Linkenhaß und anderes faschistoides Gedankengut bis heute in Militär, Justiz, Polizei und Geheimdiensten etc. pp nicht nur halten sondern (schein)demokratisch verbrämt weiterentwickeln. Zum Beispiel wurde der überzeugte Alt-Nazi Theodor Maunz (  http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Maunz ), der in den 30er Jahren das Naziregime juristisch zu legalisieren versuchte, in der Adenauer-BRD hochgeachteter (statt geächteter) Mitverfasser des BRD-Grundgesetzkommentars zur Presse- und Meinungsfreiheit. So ganz nebenbei war er auch juristischer Berater des berüchtigten Gerhard Frey (  http://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Frey_%28Politiker%29 ) und dessen Nationalzeitung (  http://de.wikipedia.org/wiki/National-Zeitung_-_Deutsche_Wochenzeitung ) - - - mittlerweile sind "WIR" übrigens dabei, die EU zur endgültig demokratiebefreiten großdeutschen Merkozy-EU zu formen - alternativlos, versteht sich.

Bezüglich der Demo wäre noch zu erwähnen, daß nur wenige kämpferische Parolen skandiert wurden, eine davon war, "Ob Ost ob West, nieder mit der Nazipest". Aber vielleicht wollte ja die Demoleitung den Schwerpunkt bewußt vor allem auf eher mahnendes Aufrütteln hauptsächlich durch Argumente auf Transpis und Plakate legen. Schade, daß nur relativ wenige Linksorientierte sich zum Mittun aufraffen konnten. Die Veranstalter hofften auf mindestens 3.000 Menschen. Dabei hätte gerade die Berliner PDL nach ihrem Wahldesaster sehr viel mehr Menschen als die, die sowieso immer auf Demos dabei sind, aktivieren müssen. In anderen Städten sind teilweise mehrere Tausend Menschen gegen Rassismus auf die Straße gegangen. Offenbar hat der Tag der Menschenrechte innerhalb der Berliner GenossInnen keine besondere Priorität und Wahlen stehen auch nicht unmittelbar an - tja ... ... ...

Alle 52 Fotoimpressionen der Anti-Rassismus-Demo sind unter  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/22/28547631#28547631 eingestellt. Sämtliche Demo-Fotos dürfen für nichtkommerzielle Zwecke bei namentlicher Nennung des Knipsers und Angabe der Quelle gerne heruntergeladen, gespeichert und weiterverbreitet werden.

Bernd Kudanek alias bjk
 http://freies-politikforum.carookee.com
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Ergänzungen

mögliche Gründe für geringe Beteiligung

zippo 12.12.2011 - 15:49
ich denke nicht, dass die zahlreichen in berlin aktiven linksradikalen, antifaschist_innen autonomen, anarchist_innen sich so wenig an der demo beteiligten, weil sie nicht "wollten" oder nicht "motiviert" waren. ich denke, das liegt eher an dem immernoch leider recht großen betreiben von teilbereichspolitik. eine vernetzung ist kaum vorhanden, besonders ausbaufähig ist sie meines erachtens nach zwischen antira-bewegungen und anarchistischen / autonomen gruppen. besonders wichtig wäre es aber gerade dort. plakate für die demo habe ich nirgends gesehen, auch keine flyer und auch in viel benutzten medien wie dem "stressfaktor" habe ich (wenn ich mich nicht irre) nichts gesehen.
das heißt aber nicht, dass nicht auch innerhalb "weißer" politischer kontexte etwas getan werden muss! gerade weil diese "szenen" oftmals aus überwiegend "weißen" bestehen, muss hier sehr viel mehr reflexion, austausch, vernetzung und zusammenarbeit betrieben werden.

hoffen wir, dass die beteiligung bei der nächsten demo größer sein wird:
SA, 17.12. 13 Uhr Hermannplatz Berlin Neukölln
Demo gegen Polizeigewalt, Nazis und Faschisten, organisiert von der Oury Jalloh Ini

SA. Demo in Berlin

Gegen Polizeigewalt, Nazis und Faschisten 12.12.2011 - 15:50
|| ** Demo gegen Polizeigewalt, Nazis und Faschisten **||
|| ** Samstag, den 17. Dezember 2011 **||
|| ** Start 13 Uhr || **Hermannplatz Berlin Neukölln **||

Liebe Aktivist_innen,

Seit Anfang November ist bekannt, dass Nazis seit 1998 mindestens 10
Menschen in der BRD ermordet haben. Die Ermordeten bzw. ihre Eltern waren
aus Griechenland oder der Türkei zugewandert. Die Verfassungsämter und
Polizei hatten angeblich nichts von diesem Nazi-Netzwerk gewusst, obwohl
1998 in von der Zelle angemieteten Räumen Rohrbomben, Sprengstoff und
Waffen gefunden wurden. Bis zum Tod zweier Mitglieder des aufgedeckten
Nazi-Netzwerks wurde so von den Ermittlungsbehörden nach einer
"Türkenmafia" gesucht. In den Medien wird noch heute bzw. heute wieder das
menschenverachtende Bild "Dönermorde" für die Mordserie benutzt.
Es gab offensichtlich diverse Kontakte zwischen VS und Nazis, u.a. stammten
gefälschte Pässe von Behörden. Trotzdem wird versucht, der Öffentlichkeit
die absurd anmutende Behauptung unterzuschieben, es handele sich nur um ein
Versagen der Ermittlungsbehörden. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Staat
sehenden Auges die Nazis hat wissentlich agieren - also morden - lassen:
Teilweise waren VSler_innen bei den Morden anwesend. Durch ihr Suchen nach
einer "Drogen- und Wettmafia" verwischten die Behörden zudem die Spuren zu
den wahren Tätern.

Dies passt genau mit dem Verhalten staatlicher Organe zusammen, wenn
Menschen durch rassistische und menschenverachtende Polizeigewalt sterben.
Die Medien lesen den staatlichen Organen vom Mund ab und berichten
unreflektiert davon, wie viele Drogen die Todesopfer genommen hätten oder
ob sie ein Küchenmesser bei sich trugen. Die Poizeibeamt_innen hätten
dagegen nur ihren Dienst getan und die_der Verstorbene sei selbst an
ihren_seinem Tod schuld - so das öffentliche Fazit.
Selbst bei "Fällen" wie Christy Schwundeck, die im Jobcenter in
Frankfurt/Main am 19.05.2011 sitzend von Polizeibeamt_innen erschossen
wurde, wird behauptet, sie habe die Beamt_innen mit einem Küchenmesser
angegriffen und verletzt. Genauso wie bei Oury Jalloh, Dennis etc. wußte
die Staatsanwaltschaft - ohne jegliche Ermittlungen - wie es dazu kommen
konnte, das ein Mensch durch Einwirkung von Polizist_innen starb. Die
Ermittlungen werden eingestellt oder nur durch Druck der Communities, die
sich hinter die Angehörigen oder Freund_innen von Opfern tödlicher
Polizeigewalt stellen, zur Eröffnung eines Verfahrens gezwungen. In diesen
Verfahren wird dann versucht, anhand absurder Konstrukte darzustellen,
warum die Beamt_innen nicht am Tod von z.B. Oury Jalloh Schuld sein
konnten. Im Fall um Oury Jalloh findet, selbst nachdem das BGH die
Freisprüche des ersten Oury-Jalloh-Prozesses aufhob, in der andauernden
Revision vor dem Landgericht Magdeburg dasselbe traurige Spiel wie im
Prozess vor dem Dessauer Landgericht in den Jahren 2007 und 2008 statt. Es
reicht!

Wir, die Initiative In Gendenken an Oury Jalloh e.V., wollen mit euch
gemeinsam gegen Nazi - und Staatsgewalt demonstrieren. Die Vertuschung der
rassistischen Morde, ausgeübt von Nazis, und die Freisprüche für
Polizeibeamt_innen nach rassistischen und menschenverachtenden Tötungen
sind zwei Seiten derselben blutigen Medaille. Wir lassen uns nicht mundtot
machen und kämpfen weiter gegen Rassismus, Diskriminierung,
Residenzpflicht, gegen rassistische Polizeigewalt und gegen die
Kriminalisierung von Aktivist_innen. *Demo gegen Polizeigewalt, Nazis und
Faschisten

|| ** Demo gegen Polizeigewalt, Nazis und Faschisten **||
|| ** Samstag, den 17. Dezember 2011 **||
|| ** Start 13 Uhr || **Hermannplatz Berlin Neukölln **||

** "Break the Silence!" | Initiative In Gedenken an Oury Jalloh e.V.*

Hier die Rockenaufschrift der T-shirts

miriam 12.12.2011 - 19:13
.... die auch auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt als Mahnung fungierten.

Fotos: Demo gegen Abschiebeknäste

Umbruch Bildarchiv 16.12.2011 - 17:15
am 10.12.2011 nach Berlin-Grünau gibt es auch unter
 http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/101211abschiebeknast.html

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so — detlev

politopa — christin

in Sachen Politopa — Bernd Kudanek alias bjk

präzise — zu sein

Fragen über Fragen — Vincent Raven