Castor Schottern: Neues zu Massenverfahren

mensch 06.01.2012 00:28 Themen: Atom Repression Ökologie
In den 1.700 Verfahren wegen der Unterzeichnung der Erklärung von Castor Schottern 2010 bietet die Staatsanwaltschaft erste Einstellungen gegen „Spenden“ von 50,-€ an. Die Kampagne Castor? Schottern! empfiehlt sich „auch gegen diese abgemilderte Form der Repression gemeinsam und politisch zur Wehr setzen“.
Als 2010 die Kampagne Castor? Schottern! an die Öffentlichkeit ging und ganz offen die massenhafte Sabotage der Castor- Schienen ankündigte schäumten Staatsanwaltschaft und Innenministerium. Die Anzahl der Unterstützer_Innen der Erklärung stieg als die Aufnahme von Ermittlungsverfahren öffentlich verkündet wurde von 200 binnen weniger Monate auf 1.700 Gruppen und Einzelpersonen.

Die Staatsanwaltschaft steht angesichts der Masse und Entschlossenheit offenbar vor einem ernsthaften Problem. Einerseits zieht sich allein die Verschickung von Anhörungsbögen an alle Beschuldigte mittlerweile 1 ½ Jahre hin und hat außer viel Arbeit für Polizeibehörden nichts gebracht. Fast alle Beschuldigten sollen die Schreiben auf Anraten der Kampagne ignoriert haben. Den Beschuldigten in einem Prozess tatsächlich die Unterschrift nachzuweisen dürfe so extrem Schwer werden. Außerdem wäre die schiere Anzahl der Verfahren ein ernsthaftes Problem für die Gerichte. Andererseits droht bei einer sang- und klanglosen Einstellung der Verfahren ein Gesichtsverlust der Ermittlungsbehörden. Wurde 2010 doch noch mit hohen Haftstrafen gedroht:

„Der Sprecher der Staatsanwaltschaft zum Grund für die Ermittlungen: Nicht nur das tatsächliche Begehen von Sabotage, sondern auch der Aufruf zu Straftaten sei strafbar. Die Ermittlungsverfahren dienten auch der Abschreckung, man wolle weitere Atomkraftgegner davon abhalten, den Aufruf zu unterschreiben. Wer so offen zur Sabotage öffentlicher Einrichtungen aufrufe, könne dafür mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.“ (Hamburger Abendblatt vom 16.10.2010)

Ohne das es zu einem einzigen Prozess gekommen ist hat die Staatsanwaltschaft jetzt ersten Beschuldigten eine Einstellung der Verfahren angeboten. In einem Fall wurde als Gegenleistung eine „Spende“ von 50 ,- € an den Verein „Den Kindern von Tschernobyl“ gefordert. Weitere ähnliche Fälle sind bekannt.

In einem Newsletter der Schottern-Rechtshilfe wurden die „Angebote“ nun öffentlich gemacht. Die Kampagne bewertet die Einstellungsangebote darin als gute Nachricht: „die Staatsanwaltschaft scheint langsam einzusehen, dass sie nicht tausende AtomkraftgegnerInnen vor Gericht stellen, geschweige denn verurteilen kann.“ Dennoch wird geraten dem Angebot nicht zu Folgen. „Trotzdem wird mit dem Angebot einer "Spende" als Auflage der Verfahrenseinstellung noch den Eindruck aufrecht erhalten, dass das mutmaßliche Unterzeichnen der Schottern-Erklärung irgendwie bestraft gehört. […] Denn wenn gezahlt wird, gestehen wir irgendwie ein, dass wir diejenigen sind, die etwas wiedergutmachen müssten - nicht die Atomkonzerne und deren Verbündete in Politik und Wirtschaft. Deswegen rufen wir euch dazu auf, auf dieses Angebot nicht zu reagieren. Damit bestehen wir noch einmal darauf, dass Widerstand gegen die Atomindustrie legitim ist, auch wenn er die Grenzen des Erlaubten überschreiten muss.“

Die Staatsanwaltschaft droht im Falle der Nichtzahlung damit Anklage zu erheben. Nach ansicht der Kampagne ist dies eine leere Drohung: „Sollte das eintreten gilt weiter wie bisher: Wenn viele von uns nicht zahlen, ist allein die Masse der Anklagen ein wahnsinniger Aufwand (die Versendung der Anhörungsbögen hat ein Jahr gedauert!) - und jetzt zahlt sich aus, dass viele auf die Anhörungsbögen nicht reagiert haben. Denn vor Gericht könnte die Staatsanwaltschaft kaum nachweisen, dass ihr tatsächlich so eine Erklärung unterzeichnet habt, wenn ihr zur Sache weiter die Aussage verweigert.“ Außerdem heißt es „Unser Ziel als Kampagne wäre [...], dass wir uns auch gegen diese abgemilderte Form der Repression gemeinsam und politisch zur Wehr setzen. Die Entscheidung liegt jetzt aber bei euch.“

Alte Übersicht zu Repression bei Castor Schottern 2010:
 http://de.indymedia.org/2010/12/296845.shtml
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Ergänzungen

Material

mensch 06.01.2012 - 01:52
taz, 04.01.2012
Atomprotest überfordert Staatsanwaltschaft
Gigantischer Aktenberg
 http://www.taz.de/Atomprotest-ueberfordert-Staatsanwaltschaft/!84971/

Gegen Anti-Atom-AktivistInnen, die aufgerufen haben, Steine aus den Gleisbetten zu entfernen, soll nicht länger ermittelt werden. Stattdessen sollen die Aktivisten spenden.von Martin Kaul

Ein Atomkraftgegner versucht Schotter, aus dem Gleisbett zu entfernen. Bild: dapd

BERLIN taz | Nach den erfolgreichen Protesten gegen den letzten Castortransport ins niedersächsische Gorleben rufen Anti-Atom-AktivistInnen jetzt zum Kräftemessen mit der Lüneburger Staatsanwaltschaft auf. Hintergrund ist: Noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft in hunderten Fällen gegen Unterzeichner eines Solidaritätsaufrufs aus dem Jahr 2010. Damals hatten über 1.500 Personen einen Brief unterzeichnet, in dem dazu aufgerufen wurde, bei den Atommülltransporten Schottersteine aus den Gleisbetten zu entfernen. Damit werden die Streckenabschnitte für den Zug unpassierbar.

Wie die Rechtshilfe der Kampagne "Castor Schottern" nun mitteilt, hatten in den vergangenen Wochen zahlreiche Unterzeichner Post von der Staatsanwaltschaft bekommen. In einem im Internet verbreiteten Aufruf heißt es, die Staatsanwaltschaft biete Unterzeichnern des Aufrufs an, "das Verfahren gegen Zahlung einer Spende an gemeinnützige Organisationen einzustellen".

Tatsächlich hat die Lüneburger Staatsanwaltschaft bereits zahlreiche Fälle gegen Zahlung eines solchen geringfügigen Betrags eingestellt. Das muss sie wohl auch: Denn der massenhafte Ungehorsam aus dem Jahr 2010 macht der Behörde noch immer zu schaffen. Mit der Bearbeitung des gigantischen Aktenberges geht es nur schleppend voran.

Zu einem Gerichtsverfahren ist es noch in keinem einzigen Fall gekommen. Dass die Staatsanwaltschaft die Schotter-AktivistInnen doch noch vor Gericht zerren könne, erscheint schon aus pragmatischen Gründen kaum vorstellbar. Schon 2010 hatte ein Behördensprecher der taz gesagt, es gehe vor allem um eine "abschreckende Wirkung".

Aus dieser Lage will die Kampagne "Castor Schottern" nun Kapital schlagen. In ihrem Aufruf heißt es: "Die Staatsanwaltschaft scheint langsam einzusehen, dass sie nicht tausende AtomkraftgegnerInnen vor Gericht stellen, geschweige denn verurteilen kann. (…) Deswegen rufen wir euch dazu auf, auf dieses Angebot nicht zu reagieren. Damit bestehen wir noch einmal darauf, dass Widerstand gegen die Atomindustrie legitim ist, auch wenn er die Grenzen des Erlaubten überschreiten muss."

Um die Behörde weiter auf Trab zu halten, so heißt es weiter, würde die öffentliche Auseinandersetzung sowohl von der Kampagne "Castor Schottern" als auch von den beteiligten Gruppen unterstützt.

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Der Newsletter:
Liebe Schotterfreundinnen und -freunde,

kaum ist der diesjährige Castor nach 126 Stunden in Gorleben angekommen, meldet sich die Staatsanwaltschaft wieder in Sachen Castor Schottern 2010. Ersten Menschen, die damals die Erklärung im Internet unterzeichnet haben sollen, bietet sie an, das Verfahren gegen Zahlung einer Spende an gemeinnützige Organisationen einzustellen. Das ist schon mal eine gute Nachricht - die Staatsanwaltschaft scheint langsam einzusehen, dass sie nicht tausende AtomkraftgegnerInnen vor Gericht stellen, geschweige denn verurteilen kann.

Trotzdem wird mit dem Angebot einer "Spende" als Auflage der Verfahrenseinstellung noch den Eindruck aufrecht erhalten, dass das mutmaßliche Unterzeichnen der Schottern-Erklärung irgendwie bestraft gehört. Und dass mensch mit einer möglichen Unterschrift etwas falsches getan hätte. Gleichzeitig gäbe es so eine Rechtfertigung für die absurden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: Denn wenn gezahlt wird, gestehen wir irgendwie ein, dass wir diejenigen sind, die etwas wiedergutmachen müssten - nicht die Atomkonzerne und deren Verbündete in Politik und Wirtschaft. Deswegen rufen wir euch dazu auf, auf dieses Angebot nicht zu reagieren. Damit bestehen wir noch einmal darauf, dass Widerstand gegen die Atomindustrie legitim ist, auch wenn er die Grenzen des Erlaubten überschreiten muss. Die Kampagne Castor Schottern und die sie tragenden Gruppen würden diese öffentliche Auseinandersetzung unterstützen.

Wir können verstehen, wenn sich Menschen dafür entscheiden, sich mit der Spende Ruhe zu verschaffen und würden das niemandem zum Vorwurf machen. Unser Ziel als Kampagne wäre aber, dass wir uns auch gegen diese abgemilderte Form der Repression gemeinsam und politisch zur Wehr setzen. Die Entscheidung liegt jetzt aber bei euch.

In den Einstellungsangeboten, die nach unserem Stand bisher erst einzelne Menschen bekommen haben, verlangt die Staatsanwaltschaft eine Spende von 50 Euro. Die Frist, in der bezahlt und die Zahlung gegenüber der Staatsanwaltschaft nachgewiesen werden soll, betrug etwas mehr als einen Monat. Für den Fall der Nichtzahlung droht sie, Anklage zu erheben. Sollte das eintreten gilt weiter wie bisher: Wenn viele von uns nicht zahlen, ist allein die Masse der Anklagen ein wahnsinniger Aufwand (die Versendung der Anhörungsbögen hat ein Jahr gedauert!) - und jetzt zahlt sich aus, dass viele auf die Anhörungsbögen nicht reagiert haben. Denn vor Gericht könnte die Staatsanwaltschaft kaum nachweisen, dass ihr tatsächlich so eine Erklärung unterzeichnet habt, wenn ihr zur Sache weiter die Aussage verweigert.

Sollten Menschen, die die Zahlung der Spende verweigern, dann tatsächlich Strafbefehle oder Anklagen bekommen, gilt natürlich weiterhin, dass niemand mit den konkreten und finanziellen Folgen allein bleibt - dafür werden wir alle gemeinsam sorgen.

Bitte meldet euch, wenn euch auch solche oder andere Schreiben erreichen, schreibt uns eure Fragen und Gedanken und auch, wenn ihr euch für oder gegen das Bezahlen entschieden habt. In einigen Städten und Regionen hatten sich Betroffene der Ermittlungsverfahren schon vernetzt - vielleicht ist es jetzt an der Zeit, sich noch einmal vor Ort auszutauschen, wie ihr jeweils und gemeinsam vorgehen wollt, falls die Einstellungsangebote auch an euch gehen.

Solidarische Grüße und einen schönen Jahresausklang
die Schottern-Rechtshilfe