Das Märchen vom Trio: Kundgebungen zum NSU-Umfeld in Dresden

addn.me 14.07.2013 22:17 Themen: Antifa Blogwire
Während in Sachsen das Thema Nationalsozialistischer Untergrund zunehmend aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses verschwindet, haben am vergangenen Freitag rund 70 Menschen an drei unterschiedlichen Orten an das "Märchen vom Trio" erinnert. Nachdem vor dem Einkaufszentrum Mälzerei im Stadtteil Pieschen rund 20 Nazis unter den Augen der unmotivierten Polizei die Kundgebung mit Verweisen auf die Verbindungen des NSU zum Nazi-Netzwerk "Blood & Honour" immer wieder störten und Fotos von den Kundgebungsteilnehmerinnen und Teilnehmern machten, konnten die nachfolgenden beiden Kundgebungen ohne Naziprovokationen stattfinden. Dafür revanchierte sich die Polizei schließlich vor der Wohnung des langjährigen V-Mannes und NSU-Unterstützers Thomas Starke, indem eine übermotivierte Beweissicherungs-und Festnahmeeinheit versuchte, Personen von der für die angemeldete Kundgebung genutzte Straße zu vertreiben.
Der Auftakt einer Reihe von Kundgebungen unter dem Motto: "Das Märchen vom Trio - NSU in Dresden und Sachsen: einer Rede wert!" fand unweit des Einkaufszentrums Mälzerei im Stadtteil Pieschen statt. In der ersten Etage des Kaufhauses befindet der bei Nazis beliebte Laden "Neverstraight Clothes", der neben vielen, besonders in der Naziszene beliebten, Modemarken auch einschlägig bekannte Musik und Merchandise rechter Bands verkauft. Dies kommt jedoch nicht von ungefähr, schließlich ist Betreiber Sebastian Raack Mitglied der südbrandenburgischen NSHC-Band "Outlaw" und bewegte sich gemeinsam mit Mitbetreiber Michael Lorenz im Dunstkreis des Nazi-Netzwerks "Blood & Honour", welches sich zum Ziel gesetzt hatte, Nazi-Ideologie durch Musik zu verbreiten und einen führerlosen Widerstand zu organisieren. Das im Jahre 2000 verbotene Netzwerk und seine Mitglieder gelten heute als wichtige Verbindungsstellen zum untergetauchten Nazitrio. Die Verbindung zur rechten Musikszene wird am Beispiel von "Neverstraight Clothes" vor allem dadurch deutlich, dass der Laden auch als Sitz des Labels OPOS Records dient, welches seit 2007 zu einem bedeutenden Label für Nazimusik in Sachsen und darüber hinaus bekannt geworden ist und in seinem Onlineauftritt Musik von Bands wie Moshpit, Brainwash oder Hope for the Weak vertreibt. Bei der Kundgebung erzeugten die etwa zwanzig auf der gegenüberliegenen Straßenseite versammelten Nazis um Ronny Thomas, Christian Leister und Ladeninhaber Raack eine beklommene und bedrohliche Atmosphäre. Trotz offensichtlicher Störversuche verhielt sich die Polizei zunächst sehr zurückhaltend und ließ die Nazis gewähren.

Nach etwa einer Stunde zogen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebung weiter zum Schloßplatz im Zentrum der Stadt, wo in einem Redebeitrag zunächst an die zehn Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds erinnert wurde. Dabei wurde auch auf die derzeitige Situation von Menschen mit Migrationshintergund Bezug genommen, welchen aktuell weder gesellschaftlich, noch politisch oder rechtsstaatlich eine ausreichend sichere Bleibeperspektive geboten wird. Thematisch setzten sich ein zweiter Redebeitrag mit dem kollektiven Versagen der Sicherheitsbehörden und der behördlichen Verhinderung einer umfassenden Aufklärung auseinander. So haben Verfassungsschutzbehörden nachweislich nicht nur Nazinetzwerke finanziell gefördert, sondern bewegten sich mit unzähligen V-Leuten ebenso im direkten Umfeld von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, die eigentlich Licht ins Dunkel bringen sollen, werden durch die verantwortlichen Landesämter für Verfassungsschutz regelrecht torpediert. Auf der Veranstaltung wurde nun auch die zu Beginn noch sehr zurückhaltend agierende Polizei aktiv und drohte einigen teilnehmenden Personen vor der Schloßkirche mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, da sie mit ihrer Anwesenheit auf der Treppe der Kirche eine angrenzende Chorveranstaltung gestört haben sollen. Der Initiativkreis "Sachsens Demokratie" kritisierte in einer Pressemitteilung das Verhalten der eingesetzten Beamtinnen und Beamten "angesichts des Desasters bei den Ermittlungen als Skandal".

Zum Abschluss der Kundgebungstour ging es noch in den Süden der Stadt, wo in Naußlitz auf der Saalhausener Straße bis vor wenigen Monaten noch das Ex-"Blood & Honour" Mitglied Thomas Starke gemeinsam mit seiner Familie gelebt hat. Der wegen Unterstützung des Nationalsozialistischen Untergrunds ebenfalls in den Fokus der Ermittler geratene Mann hatte nicht nur 1,1 Kilogramm Sprengstoff an das NSU-Trio geliefert und sie nach ihrer Flucht aus Jena bei einem Freund in Chemnitz einquartiert, sondern arbeitete von Ende 2000 bis Anfang 2011 als Vertrauensperson (VP) für das Berliner Landeskriminalamt. In seiner Nachbarschaft in einem beschaulichen Wohngebiet ahnte wohl niemand etwas davon, dass Starke schon seit Beginn der 90er Jahren tief in die Strukturen des Nazinetzwerks von "Blood & Honour" verwickelt war und sich dort beispielsweise für die Produktion der Landser-CD "Ran an den Feind" mitverantwortlich zeigte. Im Unterschied zur ersten Kundgebung, bei der die sächsische Polizei die Nazis nicht daran hindern wollte, die Kundgebung zu stören, versuchte sie am dritten Versammlungsort, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von der Straße zu drängen. Erst im weiteren Verlauf und nach telefonischer Rücksprache mit der Stadt konnte die angemeldete Kundgebung auf der Straße stattfinden. Während Flugblätter in die Briefkästen der umliegenden Häuser verteilt wurden, informierte die Initiative "Sachsens Demokratie" in einem Redebeitrag Starkes Nachbarschaft noch einmal über dessen Vergangenheit in der rechten Szene und seine Rolle im derzeit am Münchner Oberlandesgericht verhandelten Prozess gegen Beate Zschäpe und zahlreiche mutmaßliche Unterstützer des Terrortrios.
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Ergänzungen

Das “Märchen vom Trio” entzaubert. Kundgebung

dd 15.07.2013 - 13:22
Das “Märchen vom Trio” entzaubert. Kundgebungen zum Nationalsozialistischen Untergrund in Dresden



Jeweils etwa 70 Menschen haben heute an Kundgebungen mit dem Titel “Das Märchen vom Trio – NSU in Dresden und Sachsen: einer Rede wert!” in Pieschen, der Innenstadt und in Löbtau teilgenommen. Ziel der Veranstaltung war es, ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, dass auch Dresden und Sachsen mit den Ereignissen um die Mordserie des “Nationalsozialistischen Untergrundes” verbunden sind und eine Auseinandersetzung damit dringend notwendig ist. Jahrelang hatte sich das “NSU-Trio” Sachsen als Rückzugs- und Ruheraum ausgesucht und auf ein aktives Unterstützer_innen-Netzwerk zurückgreifen können.

Dabei mussten sie wiederholt ihre Versammlungsrechte gegenüber der Polizei stark machen. Am ersten Kundgebungsort versuchten etwa 20 Nazis aus dem Umfeld des Ladengeschäfts “Never Straight Clothes” die Kundgebung zu stören. Darunter auch der Besitzer Sebastian Raack und der stadtbekannte Gewalttäter und Nazi Ronny Thomas. Die Polizei zeigte daran jedoch keinerlei Interesse und ließ die Nazis gewähren. Auch am zweiten und dritten Kundgebungsort verhielten sich die Beamten unkooperativ. So verlangten sie unter anderem entgegen des Auflagenbescheids die Räumung einer Straße, die Demonstranten sollten sich lediglich auf den Fußweg stellen. Zudem wurde die Kundgebung durch die Beamten anlasslos abgefilmt.

Das aktive Unterstützer_innennetzwerk war Thema am ersten Kundgebungsort. Im Kaufhaus Mälzerei in Dresden-Pieschen befindet sich das Geschäft Neverstraight – Tattoos, Bodypiercing and Clothes. Dort gibt es Kleidung verschiedenerNazi-Marken zukaufen, genauso wie CDs und Merchandise von Nazibands. Zu diesem Geschäft gehört ebenfalls das Label OPOS Records mit einem angeschlossenem Online-Versandhandel. Es ist eines der wichtigsten Labels für Nazimusik in Sachsen. Inhaber von Label und Laden ist Sebastian Raack. Sein Mitbetreiber ist Michael Lorenz. Beide sind keine Unbekannten, sondern Mitglieder bekannter NS-Hatecorebands. Beide standen in Verbindung mit dem Nazinetzwerk Blood & Honour. Raack war Inhaber des Postfachs der B&H Sektion Süd-Brandenburg und der Nachwuchsorganisation White Youth Deutschland. Lorenz war Mitglied der B&H Sektion Sachsen und wurde 1999 sogar letzter Sektionsleiter bis zum Verbot. Heute ist klar, dass Mitglieder des Nazinetzwerks Blood & Honour eine zentrale Rolle in der Unterstützung der drei Untergetauchten Jenaer Nazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe spielten. Das Nazinetz unterstützte den NSU, maßgeblich: mit Papieren, Wohnungen, Waffen und Sprengstoff. Und mit Raak und Lorenz sind ehemalige Mitglieder dieses Netzwerks bis heute hier in Dresden aktiv – im gleichen Geschäftsfeld wie Blood&Honour.

Zweiter Anlaufpunkt war der Schloßplatz in der Dresdner Innenstadt. In einem ersten Redebeitrag stand zunächst die Erinnerung an die Opfer des NSU im Vordergrund. Skandalisiert wurden zudem die Ermittlungsmethoden der Sicherheitsbehörden, genausowie die behördliche Verhinderung der Aufklärung nach dem Aufliegen des NSU. Dass die derzeitige Situation gesellschaftlich, politisch und rechtsstaatlich keine ausreichend sichere Perspektive für Menschen mit Migrationshintergund bietet, war für die Kampagne Anlass, auf dem Schloßplatz zu demonstrieren.
Die Polizei zeigte hier erschreckend mangelnde Senisbilität. So durften die Reden nicht eine andere angrenzende Chorveranstaltung stören und Demonstrant/innen, welche sich vor der Schloßkirche mit Sprüchen wie “Solidarität mit den betroffenen Migrant/innen” stellten, wurde eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch angekündigt. Die Treppe gehört, so der Inspektor der Schloßkirche nicht zum Kundgebungsort und sei deshalb zu verlassen. Tobias Naumann von der Kampagne Sachsen Demokratie meinte dazu: “Wir sind heute hier um uns mit den Angehörigen der Opfer zu solidarisieren und zu fordern, dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden muss. In dieser Gesellschaft ist Rassismus Alltag und das muss aufhören. Dass es sich die Polizei nicht nehmen lässt den Ablauf der Demonstration zu stören, ist angesichts des Desasters bei den Ermittlungen ein Skandal”.

Dritter und letzter Kundgebungsort war die Saalhausener Straße 33 in Dresden Löbtau, wo jahrelang einer der frühesten Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds wohnt – Thomas Starke. Er war einer der Wegbegleiter der drei aus Jena geflüchteten Nazis. Er war seit den frühen 1990ern mit ihne bekannt, zeitweise war er mit Zschäpe liiert. Nach eigener Aussage besorgte er einen Schuhkarton gefüllt mit 1,1 kg TNT-Sprengstoff und überließ ihn den drei Nazis in Jena. Anfang 1998 wurde der Sprengstoff, mittlerweile zum Bau von Rohrbomben genutzt, in der Garage von Zschäpe durch die Polizei sichergestellt. Die Nazis jedoch konnten sich absetzen. Erste Wahl auf der Flucht war Chemnitz und wiederum ihr langjähriger Bekannter Starke. Der quartierte die Gesuchten bei einem Freund ein. Heute behauptet Starke, der Kontakt zu den Dreien sei nur wenige Wochen später abgebrochen. Jedoch hat er noch 1999 eine an ihn herangetragene Spende für die Untergetauchten abgelehnt. Die Begründung damals: die drei würden jetzt “jobben” und benötigten kein Geld. Nur einen Monat zuvor begangen sie ihren ersten Überfall auf eine Postfiliale. Als die Polizei wegen einer CD der Band “Landser” Starkes Wohnung durchsuchte, fand sie einen Notizblock mit den Namen von Mundlos und Zschäpe, sowie ihren Kontaktdaten. Lange Jahre war Starke da schon in der organsisierten Nazisszene aktiv. Nach einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe wegen diverser Überfälle und einer versuchten schweren Brandstiftung Mitte der 1990er führte ihn sein Weg zu CC88 und von dort zum sächsischen Ableger des Blood&Honour-Netzwerks. Gemeinsam mit Jan Werner gehörte er zur Führungsriege der Sektion Sachsen. Blood & Honour beschränkte sich keineswegs auf den Vertrieb von Nazimusik und die Organisation von Konzerten. Das Netzwerk verfolgte ebenso den Aufbau militanter Terrorzellen.

 http://www.sachsens-demokratie.net/2013/07/12/das-marchen-vom-trio-entzaubert-kundgebungen-zum-nationalsozialistischen-untergrund-in-dresden/